Neuer "Tatort"-Kommissar Denis Moschitto: "Technik wird im Film oft falsch dargestellt"
Denis Moschitto übernimmt die Rolle des neuen "Tatort"-Kommissars an der Seite Wotan Wilke Möhrings. Als Cyber-Experte sieht man ihn im "Tatort: Ein guter Tag / Schwarzer Schnee". Moschitto ist selbst Technik-Nerd. Im Interview erklärt er, warum sich das Internet falsch entwickelt hat.
Denis Moschitto, Kölner mit türkischen und italienischen Wurzeln, ist schon lange im Filmgeschäft. Lange Jahre galt er als Kultdarsteller. Auch weil Moschitto, der mittlerweile selbst Filme macht, sich immer wieder für interessante Rollen entscheidet und sie auf besondere Weise verkörpert. Im vorweihnachtlichen Krimi-Zweiteiler "Tatort: Ein guter Tag / Schwarzer Schnee" (Sonntag, 21. Dezember, 20.15 Uhr, Das Erste) verkörpert der 48-Jährige nun erstmals den wunderlichen Cyber-Spezialisten Mario Schmitt an der Seite von Kommissar Falke, gespielt von Wotan Wilke Möhring. Seine Figur soll auch in Zukunft in den NDR-"Tatorten" dabei sein. Praktischerweise hat Moschitto selbst einen Background als Technik-Nerd. Seit seiner Jugend beschäftigt er sich mit Computertechnik. Ein Gespräch über Autismus-Vorurteile, die stiefmütterliche Behandlung von Technik in der Kunst und darüber, warum der digitale Raum immer deprimierender wird.
prisma: Haben Sie Ihre Rolle als neuer "Tatort"-Ermittler an der Seite Wotan Wilke Möhrings bekommen, weil Sie früher selbst Computer-Hacker waren?
Denis Moschitto: Das glaube ich nicht. Ich habe eine Vergangenheit als Technikfreak, war aber kein wirklicher Hacker. Auch heute interessiere ich mich noch sehr für Technologie. Mittlerweile ist das nichts Ungewöhnliches mehr. In meiner Jugend galt man als Nerd, wenn man sich mit Modems und Computern beschäftigt hat.
prisma: Kannten Sie Wotan Wilke Möhring vorher? Er hatte ja schon einige Co-Ermittler, die dann immer irgendwann gegangen sind ...
Moschitto: Ich kenne Wotan lange und mag ihn sehr gerne. Wir haben zwar, glaube ich, nie zusammen gedreht, sind uns aber immer mal wieder über den Weg gelaufen. Mir ist auch klar, dass es sein "Tatort" bleibt. Wotans Figur wird weiterhin im Mittelpunkt stehen.
"Die Kunst hat es geschafft, Autismus als eine Art Superpower zu verkaufen"
prisma: Weil "Tatort"-Kommissar immer noch ein Booster für die Bekanntheit eines Schauspielers ist?
Moschitto: Einmal das. Dazu bedeutet es regelmäßige Arbeit in einem angenehmen Umfeld. Trotzdem stehe ich nicht so sehr im Mittelpunkt, dass ich sonst nichts anderes machen könnte.
prisma: Ihr Technik-Nerd Mario Schmitt hat autistische Züge. Ist das nicht ein bisschen viel Klischee?
Moschitto: Zunächst mal war die Rolle so geschrieben – und ich fülle sie aus. Ich mag die Figur aber trotzdem. Sie ist mit ihren seltsamen Macken für humoristische Momente zuständig, den sogenannten "comic relief". Wenn Mario Schmitt zum Arzt gehen würde, weiß ich aber nicht, ob der ihm Autismus diagnostizieren würde. Es ist eine Spektrumserkrankung. Viele Menschen haben gewisse autistische Züge und funktionieren dennoch unauffällig im Alltag. So wie Mario Schmitt, der seine Arbeit bei der Polizei ja in der Regel gut erledigt.
prisma: Warum sind Autisten als Filmfiguren so beliebt?
Moschitto: Vielleicht weil wir Sonderlingen gerne zuschauen. Auch deshalb, weil es die Kunst geschafft hat, Autismus als eine Art Superpower zu verkaufen – was sie definitiv nicht ist. Viele Leute leiden unter ihrem Autismus und sind weit weg von extremen Inselbegabungen oder anderen tollen Fähigkeiten. Ich kenne aber auch viele Leute, die regelmäßig wie Mario Schmitt in Fettnäpfchen treten – und das sind definitiv keine Autisten. Er ist einfach ein Nerd und nicht besonders begabt, wenn es ums soziale Miteinander geht.
"Ich empfehle, Mario Schmitt nicht auf den einen Song festzulegen"
prisma: Seit seinem ersten "Tatort" hat Kommissar Falke "Sympathy For The Devil" von den Rolling Stones als Klingelton auf dem Handy. Mario Schmitt hört nun U2 unter seinen großen Kopfhörern, wenn er sich konzentriert. Wird das Ihr Erkennungsmerkmal?
Moschitto: Ja, wir hören nun in der finalen Filmfassung "Where The Streets Have No Name", einen Song von U2. Trotzdem muss ich eine Film-Illusion kaputtmachen. Beim Drehen habe ich gar nichts gehört. Die Musik wurde den Kopfhörer-Szenen erst später zugefügt.
prisma: Welche Musik würde denn unter Ihren privaten Kopfhörern laufen?
Moschitto: Ich bin großer Bach-Liebhaber, und zu jenen Szenen, über die wir reden, würde Bach sicher gut passen. Ich kann Fugen nur jedem empfehlen. Aber ich höre auch ganz andere Musik. Ich würde den "Tatort"-Machern empfehlen, Mario Schmitt nicht auf den einen Song festzulegen. Jeder normale Mensch hört doch unterschiedliche Musik und nicht immer nur dasselbe.
prisma: Man könnte irgendwann Mario Schmitt-Playlists veröffentlichen, wenn das Ganze zum "Tatort"-Kult würde ...
Moschitto: Das ist eine sehr gute Idee, die ich auf jeden Fall weitergebe.
"Bei Technikfragen wird den Leuten im Film immer noch viel Quatsch erzählt"
prisma: Kommen wir zurück zum Technik-Nerd. Cyber-Sicherheit ist mittlerweile ein Riesenthema ...
Moschitto: Ich bin bei Cyber-Sicherheit nicht "up to date", wüsste aber, wie ich dies schnell ändern könnte. Jeder muss sich heutzutage mit dem Thema Sicherheit im digitalen Raum befassen, weil sich das Verbrechen stark in diesen Bereich hineingedrängt hat. Genauso wie jede kriminalistische Ermittlung heute mit Technik zu tun hat. Den Meisterdetektiv, der alles mit Intuition und schlauem Kombinieren löst, gibt es so nicht mehr. Unsere Welt ist so von Technik durchdrungen, dass man sich auch bei der Polizei intensiv damit auseinandersetzen muss.
prisma: Hat Technik im "Tatort" – oder allgemein im Film – genügend Raum?
Moschitto: Das ist eine gute Frage, über die ich mir schon öfter Gedanken gemacht habe. Ich finde, Technik wird im Film oft falsch dargestellt. Man hat als Zuschauer den Eindruck, dass viele Autoren ihre technischen Ideen im Drehbuch selbst nicht so recht verstanden haben. Oder dass einem Technik als eine Art Magie vorgeführt wird. Ich finde, das ist weder aufrichtig noch zeitgemäß. Niemand würde es durchgehen lassen, wenn Ärzte im Film Unsinn erzählen oder beim Operieren nicht wüssten, welche Handgriffe sie zu tun haben. Man stelle sich vor, der Chirurg käme mit einem Wagenheber in den OP. Nein, bei Technikfragen wird den Leuten im Film immer noch viel zu viel Quatsch erzählt.
prisma: Was finden Sie als Technik-Nerd gegenwärtig am spannendsten?
Moschitto: Natürlich Künstliche Intelligenz. Ich war schon immer ein Science Fiction- und Technik-Nerd. Schon als Kind habe ich mir gewünscht, mit Maschinen zu sprechen. Also genau das, was wir seit ein paar Jahren nun tatsächlich tun. Was unsere Zukunft stark prägen und verändern wird. Natürlich sehe ich auch die Nachteile.
"Man denkt die ganze Zeit nur noch: Was willst du mir verkaufen?"
prisma: Nämlich?
Moschitto: Für mich ist das größte Risiko im Zusammenhang mit KI, dass wir aufhören könnten, eigene Entscheidungen zu treffen. Für die Menschheit wäre das ein echtes Desaster. Es wird in naher Zukunft so sein, dass jeder von uns eine persönliche Sprach-KI an der Seite hat, die uns besser kennt als wir uns selbst. Sie wird ständig Vorschläge machen, was wir an unserem Tag und in unserem Leben verbessern könnten. Das halte ich für ebenso verführerisch wie gefährlich.
prisma: Wie enttäuscht sind Sie, dass sich das Internet von der Vision eines besseren Miteinanders und einer Informationsquelle für alle zu einem digitalen Schlachtfeld zu entwickeln scheint?
Moschitto: Das finde ich in der Tat sehr traurig. Natürlich wollen wir nicht vergessen, dass das Netz viel Gutes gebracht hat. Es hat unser Leben bereichert und einfacher gemacht. Trotzdem muss man seit Jahren feststellen: Das Internet wird immer schlimmer. Der Hass in den sozialen Medien, die ganzen Betrügereien – und selbst ohne diese beiden Dinge muss man konstatieren: An jeder Ecke will jemand was von dir. Überhaupt leben wir in einer Zeit, in der ständig jemand etwas von uns will. Man soll etwas tun, damit der andere einen Erfolg hat. Kaufen, bewerten, liken und so weiter. Wenn ich bei Amazon etwas suche, sind die ersten zehn Seiten Anzeigen. Alle Plattformen, auf denen man sich bewegt, werden immer schlechter und schlechter. Das ist in der Tat eine sehr deprimierende Entwicklung.
prisma: Woran liegt das?
Moschitto: Am kommerziellen Wettrennen, das irgendwann mal gestartet wurde. Als der Kapitalismus immer globaler wurde und alle sagten: Wir müssen das machen, wir müssen härtere Saiten aufziehen, denn die anderen tun es ja auch. Am Ende leiden wir alle als Menschen drunter, weil wir in einer immer lebensfeindlicheren Welt leben. Bei mir erzeugt das eine Menge Frust. Man kann den Plattformen nicht mehr vertrauen, man kann anderen Menschen im digitalen Raum nicht mehr vertrauen. Man denkt die ganze Zeit nur noch: Was willst du mir verkaufen? Warum möchtest du schon wieder meine Zeit, um damit Geld zu verdienen? Es ist kein schönes Menschenbild, in das wir da hineingeschlittert sind.
"Oh Gott, Fremde! Was wollen die hier? Mir etwas wegnehmen?"
prisma: Ist das ein Zeitphänomen oder wird dieses Misstrauen von nun an bleiben?
Moschitto: Dass wir in keinen besonders optimistischen Zeiten leben, muss ich niemanden erzählen. Blöderweise habe ich das Gefühl, dass auch abseits des digitalen Raums Menschen keinen besonders guten Ruf mehr haben. Wenn ich daran denke, wie man früher von Fremden dachte und sprach, die von weit her kamen und die Neues aus der Welt zu berichten hatten: Das fand man spannend und hat sich auf die Leute gefreut. Das ganze Konzept der Gastfreundschaft beruht auf diesem Interesse aneinander. Heute denkt man: "Oh Gott, Fremde! Was wollen die hier? Mir etwas wegnehmen?" Man traut Menschen alles zu. Also bleibt man am besten für sich, daheim am Handy oder Computer. Das ist schon eine Entwicklung, die sehr weh tut, denn ich kenne die Welt noch ganz anders. Heute gibt es ja sogar die Position, dass die Erde besser dran wäre ohne Menschen.
prisma: Und ist das so?
Moschitto: Nein, natürlich nicht. Der Erde ist es ziemlich egal, ob wir Menschen da sind oder nicht, denn sie hat kein Bewusstsein. Anders als wir, die wir uns immer mehr selbst hassen – als Gattung. Ich finde, das ist ein ganz gefährlicher Trend.
prisma: Was hat die rasante technische Entwicklung damit zu tun?
Moschitto: Mit Sicherheit hat sie einen großen Anteil daran. Das Internet war der absolute Globalisierungsbeschleuniger und hat den Kapitalismus noch mal sehr viel schneller und intensiver gemacht. Hinzu kamen die sozialen Medien, die für mich die Eigenschaft haben, uns eine Welt vorzugaukeln, die es gar nicht gibt. Wenn ich mich im privaten Umfeld umschaue, gehen die meisten Leute durchaus fein miteinander um. Im digitalen Raum aber herrschen "Mord und Totschlag". Oder man verkauft sich als so glücklich und erfolgreich, dass es fast schon absurd und schwer zu glauben ist. Uns wird im Netz eine sehr viel schlechtere Welt verkauft als die, in der wir leben.
Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH