Hintergrund-Check zum Krimi

Tatort" aus Frankfurt: Wie stark ist das rechte Netzwerk wirklich in der Polizei?

11.09.2023, 09.20 Uhr
von Eric Leimann

Der Frankfurter "Tatort: Erbarmen. Zu spät." kam an zahlreichen Stellen nicht wie ein Krimi daher, sondern wie ein Roadmovie. Fast der ganze Film spielte in der Dunkelheit. Gesucht wurde eine Leiche und gefunden wurde ein rechtes Polizei-Netzwerk. Wie viel Wahrheit steckt im Frankfurter "Tatort"? Hier gibt es die Hintergrundinfos zum Krimi. 

Eigentlich wirkte der bis auf wenige Szenen binnen einer Nacht spielende "Tatort: Erbarmen. Zu spät." lange Zeit wie ein Roadmovie. Als hätte man einen alten Jim Jarmusch-Film ins ländliche Hessen verlegt. Doch dann platzte die Bombe: Es ging um eine Verschwörung rechter Terror-Polizisten mit gesellschaftlichen Umsturz-Fantasien.

Darum ging es im "Tatort: Erbarmen. Zu spät."

Hört sich verrückt an, aber leider hat man gerade in Frankfurt und Hessen "Erfahrungen" mit solchen Geschichten. Welche rechten Gruppen und Netzwerke wurden bisher in der Polizei aufgedeckt? Wer ist der Filmemacher hinter diesem – auch ästhetisch – außergewöhnlichen "Tatort", und auf welches hessische "Kulturgut" spielt der Titel des Krimis an?

Streifenpolizist Simon Laby (Sebastian Klein), den man in den ersten Szenen bei seiner Arbeit kennenlernt, soll einem Verbrechen zum Opfer gefallen sein. Seine Leiche habe man in der wald- und ackerreichen Region der Wetterau nahe Frankfurt verscharrt. Das jedenfalls behauptet ein gewisser Schilling (Niels Bormann), der sich bei der Polizei gemeldet hat, weil er – wie er sagt – bei der Tat zugegen war. Dies allerdings im stark angetrunkenen Zustand, weshalb der labile Mann Mühe hat, Kommissar Brix (Wolfram Koch) den Ort, an dem die Leiche liegt, zu zeigen.

Auf ihrer Fahrt durch die Nacht entdeckt die Gruppe um Brix und seine Kollegin Janneke (Margarita Broich) schließlich ein Prepper-Lager in einem Waldhaus, das auf geplante Terrortaten schließen lässt. Was hat Brix' ehemaliger Kollege Radomski (Godehard Giese) damit zu tun?

Worum ging es wirklich?

Lange Zeit lässt der clever konstruierte Krimi Bastian Günthers (Buch und Regie) sein Publikum im Unklaren darüber, wohin dieses nächtliche Roadmovie wohl führen mag. Gibt es überhaupt eine Leiche? Und wer ist überhaupt der seltsam derangierte Zeuge? Warum reagiert Brix so unglaublich dünnhäutig?

Bastian Günther, 49, ist ein besonderer Filmemacher, der es liebt, sein Publikum auf intelligente Art zu herauszufordern. Fast schon legendär ist sein Sonntags-Krimi für den hessischen Brix-Kollegen Murot (Ulrich Tukur) von 2015. Im "Tatort: Wer bin ich?", einem Film-im-Film, begegnete der Schauspieler Tukur seiner Rolle Murot und die beiden diskutieren darüber, was Realität bedeutet. Ganz so philosophisch wird es in "Erbarmen. Zu spät" nicht. Trotzdem erzeugt die Entdeckung eines äußerst skrupellosen, gewaltbereiten rechten Netzwerks innerhalb der Polizei eine subtile und ziemlich unangenehme Drohkulisse. Ein Krimi, der einen über die Brüchigkeit unseres Staates nachdenken lässt.

Was hat es mit dem seltsamen Titel auf sich?

Filmemacher Bastian Günther ist kein waschechter Hesse, denn er kommt aus Hachenburg im Westerwald (Rheinland-Pfalz). Die hessische Grenze liegt von dort aber nur wenige Kilometer entfernt. Offenbar nah genug, dass der junge Bastian, Jahrgang 1974, von der hessischen Rock-Institution Rodgau Monotones gehört haben dürfte, deren Old School-Rap Hommage und Partyhymne "Die Hesse komme" 1984 ein Hit in ganz Deutschland war. Ein Lied, das noch heute vor jedem Heimspiel der Frankfurter Eintracht im Stadion gespielt wird.

In dem frühen Rock-Rap-Crossover-Hit heißt es im Refrain: "Erbarmen – zu spät / Die Hesse komme!" Angespielt wird im Song auf die Coolness ("Unser David Bowie heißt Heinz Schenk"), aber auch die Härte der Hessen. Letztere Erkenntnis ist dann wohl die Brücke zwischen dem launigen, fast 40 Jahre alten Partysong und der Brutalität der Umstürzler im gar nicht witzigen staatsfeindlichen Komplott der Hessen-Polizisten im "Tatort: Erbarmen. Zu spät".

Was weiß man über rechte Polizeinetzwerke?

"Erbarmen. Zu spät" ist bereits der zweite "Tatort" in diesem Jahr, der eine rechte Verschwörung in der Polizei thematisiert. Der zu Ostern gesendete Berliner Zweiteiler "Tatort: Nichts als die Wahrheit" mit Mark Waschke und Corinna Harfouch versuchte sich – mit eher bescheidenem Erfolg – am Genre des klassischen Polit-Thrillers mit Verschwörungs-Polizisten und "Staatsdienern". Da strahlten Godehard Giese und seine hessischen "Bad Cops" schon deutlich mehr unangenehme Bedrohung aus.

In "Erbarmen. Zu spät" greift Günther die sich häufenden "Einzelfälle" auf, die immer wieder von Polizisten und Bundeswehr-Soldaten berichten, wenn es um aufgedeckte rechte Netzwerke und manche Prepper-Gruppen geht. Dazu sagt Filmemacher Günther: "Das reale Leben war die Inspiration. Die Vorgänge rund um die Polizeiwache 1 in Frankfurt und die NSU 2.0-Drohbriefe waren und sind immer noch verstörend. Auch wenn schlussendlich ein Schuldiger – kein Polizist – festgenommen und verurteilt worden ist, bleiben viele offene Fragen. Ich möchte nicht alle Polizisten über einen Kamm scheren, die meisten sind bestimmt gute Leute. Aber wie viele Einzelfälle sind ein Netzwerk?"

Wie geht es beim hessischen "Tatort" weiter?

Die Frankfurter Ermittler Janneke und Brix kann man 2023 noch einmal sehen. Der Fall "Kontrollverlust" (Buch: Elke Hauck und Sven Poser, Regie; Elke Hauck), der am zweiten Weihnachtsfeiertag zu sehen sein wird, erzählt von einer Bildhauerin (Jeanette Hain), die den eventuellen Mord ihres erwachsenen Sohnes decken könnte.

Bereits am Sonntag, 22. Oktober, findet der jährliche Auftritt von Ulrich Tukur als Wiesbadener Ermittler Felix Murot statt. Der macht im "Tatort: Murot und das Paradies" (Buch und Regie: Florian Gallenberger) gerade eine Depression durch und will der Frage nach dem Glück auf die Spur kommen. Zeitgleich werden im Umfeld der Frankfurter Bankenwelt nacheinander zwei sonderbare Leichen entdeckt. Den Toten wurde der Nabel entnommen und ein bizarrer Port gelegt, über den man sie ernähren konnte. Hessen bleibt also abgründig und seltsam!


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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