Nocturama
10.02.2020 • 22:15 - 00:25 Uhr
Spielfilm, Drama
Lesermeinung
prisma-Redaktion
Ein Ballett des Zerstörungswillens: Mika (Jamil McCraven) ist Teil davon.
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Die drei Jugendlichen David (Finnegan Oldfield, Mi.), Yacine (Hamza Meziani, li.) und Sarah (Laure Valentinelli, re.) fahren mit der Métro in Richtung des Finanzviertels La Défense. Sie sind Teil einer Gruppe, die in Paris einen gefährlichen Plan verfolgt.
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Sarah (Laure Valentinelli) gehört zu einer Gruppe von jugendlichen Attentätern in Paris.
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Die Pariser Jugendlichen stammen aus unterschiedlichen Milieus, verfolgen aber dasselbe Ziel.
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Originaltitel
Nocturama
Produktionsland
F, D, B
Produktionsdatum
2016
Kinostart
Do., 18. Mai 2017
Spielfilm, Drama

Jugend auf Abwegen

Von Christopher Diekhaus

Das unkonventionelle Thriller-Drama "Nocturama" erzählt von einer Gruppe Jugendlicher, die in Paris mehrere Anschläge verübt. Die genauen Motive der Teenager bleiben allerdings schwammig.

Im Sommer 2016 waren die Anschläge von Paris und Nizza noch äußerst präsent im kollektiven Gedächtnis Frankreichs. Ausgerechnet dann kam Bertrand Bonellos Thriller "Nocturama" in die Kinos, der von einer Gruppe junger Menschen erzählt, die in Paris an symbolischen Orten eine Reihe von Anschlägen verüben. Der Regisseur gab sich Mühe, zu betonen, dass das Drehbuch bereits Jahre zuvor entstand und man den Film sowieso im fiktionalen Raum des Kinos betrachten müsse. Eindeutige Gründe für die Taten und eine Analyse der Fanatisierung liefert das Thriller-Drama allerdings nicht, was durchaus irritierend ist. Andererseits hebt sich der Film auf diese Weise auch spürbar – und manchmal wohltuend – von angestaubten Genre-Mustern ab.

Irgendetwas liegt in der Luft. Das ist schon in den ersten Szenen, die ohne Dialoge auskommen, mit Händen zu greifen. Einige Jugendliche sitzen in der Metro, wechseln die Bahn, tauschen kurze, angespannte Blicke aus, verlassen den Untergrund, werfen Handys in Mülleimer, steuern zielstrebig bestimmte Gebäude an und tragen Pakete durch die Straßen der französischen Metropole. Dass die Teenager, zwischen denen Bonello immer wieder hin- und herspringt, zusammengehören, zeichnet sich langsam ab. Ebenso wie die Vermutung, dass etwas Unheilvolles im Gange ist.

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Unterschiedliche Backgrounds – Gemeinsames Ziel

Die Aktionen werden präzise ausgeführt, sind offenbar minutiös geplant. Und ständig gibt es Zeiteinblendungen, die einen undefinierten Countdown einzuläuten scheinen. Beinahe dokumentarisch zeichnet "Nocturama" die Vorbereitungen nach, erzeugt aber trotzdem einen erstaunlichen Sog – auch befeuert von pulsierenden Elektroklängen, die der Regisseur höchstpersönlich komponiert hat.

Kurz bevor an unterschiedlichen Orten – etwa im Innenministerium – sorgsam platzierte Bomben explodieren, schleicht sich in den nüchtern gefilmten Ablauf ein surreal anmutender Rückblick ein, der die jungen Attentäter beim Tanzen zeigt. Traumversunkene Bewegungen und Gemeinschaftsgefühl verschmelzen hier auf eindringliche Weise.

Was genau diese aus unterschiedlichen Schichten und ethnischen Hintergründen zusammengesetzte Gruppe antreibt, blendet Bonello aus. Andere Flashbacks werfen dem Publikum allenfalls kleine Brocken hin, deuten eine grundsätzliche Ablehnung des Systems an, erklären letztlich aber nichts. Mit seiner provokanten und sicher diskutablen Verweigerungshaltung unterläuft "Nocturama" die Erwartungen des Zuschauers und dürfte nicht wenige frustriert zurücklassen. Gleichzeitig liegt jedoch genau darin die faszinierend-verstörende Unberechenbarkeit des Films, der das Prinzip "Show, don't tell!" konsequent beherzigt.

Orientierungslos und wütend

Da die Vorgeschichten außer Acht gelassen werden und eine sehr heterogene Rebellen-Clique im Zentrum steht, drängen sich Vergleiche mit realen Anschlägen nur am Rande auf. Konkrete Ereignisse und Bezüge interessieren Bonello nicht. Vielmehr ist er bemüht, ein grundsätzlich angespanntes gesellschaftliches Klima zu illustrieren, in dem eine orientierungslose Jugend von Wut und diffusen Aggressionen geleitet wird.

Deutlich erkennbar ist dieses Vorhaben auch im zweiten Teil des Thriller-Dramas: Nach dem Anschlag konzentriert sich die Handlung fast ausschließlich auf ein Luxuskaufhaus, das den Hauptfiguren als nächtlicher Zufluchtsort dient. Wirkte das Geschehen anfangs zumeist betont realistisch, erzeugt der Film in den Räumlichkeiten des Konsumtempels eine albtraumhaft-entrückte Atmosphäre und legt dabei die Verwirrung und Verunsicherung der Jugendlichen offen.

Leider dreht sich "Nocturama" hier des Öfteren im Kreis, lässt die Spannungskurve etwas absacken und operiert nicht immer mit glaubwürdigen Entwicklungen. Dank eines wiederum intensiven Schlussspurts brennt sich der eigenwillige, schwer fassbare Film dennoch ins Gedächtnis ein und liefert auch Tage später noch Stoff zum Nachdenken.

"Nocturama" – Mo. 10.02. – ARTE: 22.15 Uhr


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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