"Angst – Der Feind in meinem Haus"

Anja Kling: "Ich erlebe ab und zu Distanzlosigkeit"

von Eric Leimann

Im bösartigen ZDF-Psychothriller "Angst – Der Feind in meinem Haus" (Montag, 17. Oktober, 20.15 Uhr, ZDF) spielen Anja Kling und Heino Ferch ein Ehepaar mit zwei Kindern, dem ein seltsamer Nachbar auf die Pelle rückt. Der zunächst freundliche Stalker bedroht das Sicherheitsgefühl der gutbürgerlichen Familie. Die findet keinen Weg, das Problem auf vernünftige Weise zu lösen. Auch Rechtsmittel helfen nichts.

Der Film nach dem gleichnamigen Roman von Dirk Kurbjuweit, der im Buch eigene Erfahrungen verarbeitet, ist nicht nur spannend, er regt auch dazu an, über gesellschaftliche Ängste und Vorurteile nachzudenken. Wie sehr lassen wir uns heute überhaupt noch auf andere ein? Was passiert, wenn jemand die Sicherheitsblase des gutbürgerlichen Deutschen zu durchbrechen droht? Schauspielerin Anja Kling, 47, macht sich dazu offen Gedanken.

prisma: Frau Kling, schürt Ihr Film die Angst vorm Nachbarn?

Anja Kling: Grundsätzlich sollte man keine Angst vor dem Nachbarn haben, denke ich (lacht). Trotzdem regt diese Geschichte natürlich zum Nachdenken an. Da ist ein merkwürdiger Kauz, der deine Nähe sucht. Erst mal freundlich, man kann nichts dagegen sagen. Doch immer mehr fühlt man sich bedrängt. Und der Nachbar macht einem Vorwürfe, weil er sich zurückgewiesen fühlt. Im Prinzip ist das eine Geschichte, die jedem passieren kann. Dies ist das Gruselige daran.

prisma: Der Film beschreibt auch die Hilflosigkeit der Opfer bei bestimmten Formen des Stalkings.

Anja Kling: Ja, das stimmt. Obwohl der Stalker merkwürdige Briefe schreibt, unternimmt die Polizei nichts. Weil Sie sagt, das sind die Fantasien eines einsamen Mannes. Solange er nichts anderes tut, als der Familie selbstgebackenen Kuchen vor die Tür zu stellen, kann man ihn nicht belangen. Egal, wie bedrohlich sich dies und die Briefe, in denen er seine Zuneigung für meine Figur ausdrückt, anfühlt.

prisma: Wie finden Sie selbst das?

Anja Kling: Zunächst mal finde ich es richtig. Man kann keinen Menschen juristisch verurteilen, nur weil sich andere von einem in ihren Augen merkwürdigen Verhalten irritiert oder bedroht fühlen. Andererseits ist das für die Opfer eines Stalkers schwer auszuhalten. Solange ein Täter keine Gewalt ausübt, muss man eine Situation, die man eigentlich als unerträglich empfindet, – juristisch betrachtet – offenbar einfach aushalten.

prisma: Wie würden Sie in dieser Situation reagieren?

Anja Kling: Wir haben während der Dreharbeiten viel über diese Frage diskutiert. Anfangs war ich mir sicher, ich würde sofort wegziehen. Aber man sagt das so leicht dahin. Wenn ich ein Haus gekauft habe, in dem ich mich wohlfühle, meine Kinder haben sich eingelebt und Freunde gefunden, die eigenen Freunde sind in der Nähe – will man das alles aufgeben, nur wegen eines einzelnen Menschen, der einem unangenehm ist? Ich kann schon verstehen, dass diese Situation einen gewissen Kampfgeist bei dem auslösen kann, der sich bedrängt fühlt.

prisma: Ist Ihnen schon mal etwas in Richtung Stalking passiert?

Anja Kling: Nein. Ich erlebe ab und zu Distanzlosigkeit, aber das kann man nicht vergleichen.

prisma: Was meinen Sie?

Anja Kling: Manchmal sitzen Leute am Nebentisch, die unterhalten sich über mich, obwohl ihnen klar sein muss, dass ich sie gut hören kann. Wenn ich dann etwas sage, sind sie völlig überrascht. Weil sie denken, der Fernsehen spricht mit ihnen (lacht). Wenn ich mit meinen Kindern an der Ostsee Urlaub machen, habe ich es schon erlebt, dass sich Leute direkt an meine Decke stellen und Fotos machen, ohne zu fragen. Das empfinde ich als unangenehm. Wenn mich jemand nach einem Foto fragt, ist das völlig okay. Niemand möchte einfach so fotografiert werden. Ich sage das den Leuten dann meist auch direkt.

prisma: Und wie reagieren die?

Anja Kling: Oft überrascht. Wie gesagt, es sind nur einzelne, die vielleicht etwas naiv an die Situation herangehen, weil sie nicht zwischen Fernsehen und dem wirklichen Leben unterscheiden können. Wenn man mich fragt, ob man ein Foto machen darf, werde ich niemals nein sagen.

prisma: Der Film bietet noch eine andere Perspektive. Ein Gast der Familie, der zum Essen gekommen ist, fragt, welche Provokation eine wohlhabende, glückliche Familie für einen allein lebenden, älteren Hartz IV-Empfänger sein muss ...

Anja Kling: Ich finde diese Perspektive auch interessant. Sie spiegelt die große Anonymität wider, in der wir alle leben. Auch die Tatsache, dass wir uns mit unserem Gegenüber nicht mehr wirklich beschäftigen. Jeder kocht seinen eigenen Brei im eigenen Kämmerlein. Jeder umgibt sich mit Menschen, die einem selbst ähnlich sind. Und wenn einer nicht der Norm entspricht, will man nicht wissen, wie ist der wirklich. Der soll einen dann einfach in Ruhe lassen.

prisma: Ist das Leben in der eigenen Blase auch ein Problem unserer Zeit. Weil die Menschen immer gestresster sind und keine Kapazitäten für "ungewohnte" Menschen mehr haben?

Anja Kling: Natürlich haben sich schon immer ähnlich denkende und situierte Menschen in ihren Blasen abgeschottet. Dennoch glaube ich, dass dieser Effekt in unserer mittlerweile sehr technischen Welt deutlich zugenommen hat. Wir selber, aber natürlich auch unsere Kinder, schauen den ganzen Tag auf Bildschirme. Ich habe gerade eine Diskussion mit meiner Tochter, weil ich entschieden habe, dass um 22 Uhr ihr Handy ausgemacht wird. Das ist für sie der Nabel der Welt. Ein sehr emotionales Thema.

prisma: Man könnte auch sagen, die Art der Kommunikation hat sich verändert.

Anja Kling: Ja. Manchmal finde ich es schon ein wenig gruselig, wenn die Kinder in ihren Zimmern mit Freunden zusammensitzen und man hört kein Wort. Schaut man nach, gucken alle in ihre Handys. Man redet kaum mehr miteinander.

prisma: Glauben Sie, diese Art zu leben und zu kommunizieren, wird sich noch mal verändern?

Anja Kling: Ich hoffe es. Natürlich kenne ich diesen Sog auch. Wenn Sie gleich den Raum verlassen, habe ich bestimmt den Impuls, mal kurz meine Mails zu checken oder zu schauen, was bei Instagram los ist. Ich versuche, diesen Impuls zu kontrollieren, damit es Auszeiten gibt.

prisma: Gibt es einen Ausweg?

Anja Kling: Man muss sich selbst und seinen Kindern ein paar Regeln erarbeiten. Es muss Technikpausen im Leben geben. Mit den Kindern habe ich festgelegt, dass es handyfreie Räume gibt. Beim Essen bleibt beispielsweise die Technik vom Tisch. Ich möchte, dass wir nicht verlernen, Dinge von Angesicht zu Angesicht ausdiskutieren zu können.

prisma: Verlernt man durch eine rein digitale Kommunikation nicht auch, das Gegenüber anhand von Gestik oder Mimik zu verstehen?

Anja Kling: Ja, diese Gefahr sehe ich auch. Andererseits gibt es Hoffnung. Mein Sohn, der jetzt 17 wird, war und ist natürlich auch ein Handy- und Computerfreak. Lange Zeit hat er jedes Buch verteufelt, vor allem jene, die er in der Schule lesen sollte. Jetzt wird er älter, hat das Lesen für sich entdeckt und seine Spielekonsole verkauft.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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