Interview zur zweiten Staffel

"Dark"-Schauspieler Mark Waschke: "Man spürt die Erotik des Erfolgs"

von Maximilian Haase

Berliner "Tatort"-Kommissar? Ja – aber Mark Waschke ist so viel mehr: Ein düsterer Priester etwa, als Hauptrolle in der zweiten Staffel "Dark". Oder gar Philosoph, Existenzialist und Utopist, wie sich im Interview zu der deutschen Netflix-Serie zeigt.

Er ist der schroffe, oft ziemlich abweisende Kommissar Karow aus dem Berliner "Tatort". Und doch, so muss Mark Waschke bisweilen klarstellen, existiert er als Schauspieler auch außerhalb jener überaus beliebten Figur. Nicht nur am Theater, wo sich der gebürtige Wattenscheider noch immer am meisten zu Hause fühlt. Sondern mittlerweile zudem im heißlaufenden Serienbetrieb, in dem der 47-Jährige mit "Eichwald, MdB", "8 Tage" und nun wieder mit "Dark" eindrucksvoll Spuren hinterlässt. War seine mysteriöse Figur des düsteren Priesters Noah in der ersten Staffel der deutschen Netflix-Produktion nur angerissen worden, gerät sie im zweiten Durchgang des Zeitreise-Mystery-Thrillers zur Hauptfigur. Und beflügelt den Wahlberliner zu philosophischen und politischen Exkursen über Willensfreiheit, Selbsterkenntnis und die Möglichkeit zur Veränderung der bestehenden Verhältnisse.

prisma: War nach dem Durchbruch mit der ersten Staffel "Dark" die Arbeit an der zweiten einfacher?

Mark Waschke: Man spürt die Erotik des Erfolgs, dieses: Ja, es funktioniert, wir können weitermachen! Und ich finde fantastisch, wie gerade die ganzen jungen Kollegen leidenschaftlich spielen.

prisma: Bekamen Sie das Feedback des Publikums mit?

Waschke: Ich bin nicht so oft in den Sozialen Medien unterwegs, die ja eigentlich gar nicht so sozial sind. Daher kriege ich die Reaktionen selbst nicht so mit. Aber ich bekomme immer viel erzählt – und es freut mich, dass die positiven Rückmeldungen aus ganz unterschiedlichen Ecken kommen. Ich bin etwa im Urlaub in Frankreich und in den USA drauf angesprochen worden, dass ich den Noah spiele. Das Publikum ist ziemlich divers – und hat große Lust auf berührende, archaische Geschichten. Da unterscheidet sich "Dark" von anderen Kultserien mit überschaubarem Figurenpersonal. Hier geht es um etwas, das größer ist.

prisma: Wie oft mussten Sie das komplexe Drehbuch zur zweiten Staffel "Dark" lesen, bevor Sie vorbereitet waren?

Waschke: Man könnte sich natürlich Notizen machen, um all die Familienbeziehungen und Zeitebenen zu verstehen. Aber als Schauspieler bin ich in erster Linie für meine Rolle verantwortlich. Vorbereitung heißt ja nicht nur Material und Wissen. Aber klar, ich hatte seit dem ersten Drehtag einige grundlegende Fragen. Da rief ich dann Showrunnerin Jantje Friese an – die hat dann eine Dreiviertelstunde lang geredet (lacht).

prisma: Mögen Sie die Komplexität in "Dark"?

Waschke: Das macht was mit dir. Wenn du das schaust, ist es eine körperliche Erfahrung, die zugleich auch das Hirn herausfordert. Wie Paukenschläge, die noch nachhallen. Und das Nachhallen ist dabei auch noch Teil der Botschaft. Was die da aufgespannt haben – da fragt man sich natürlich, wie die das wieder zusammengeführt bekommen. Denn dass sich deutsches Erzählen bisweilen zerfleddern kann, wusste ich vorher schon (lacht). Diese Mischung aus tollem Storytelling und philosophisch sein muss man erstmal hinkriegen.

prisma: Spielen Sie anders, wenn das Drehbuch anspruchsvoll ist?

Waschke: Ich drehe erst seit zehn, zwölf Jahren, vorher spielte ich nur Theater. Vorher verstand ich es nicht: Wie kann ein halbwegs gesunder Mensch seine Stimme, sein Bild ertragen? Auf der Bühne bist du davor gefeit. Ich merke, dass ich unterschiedlich spiele, wenn die Vorlagen und Texte unterschiedlich inspirierend sind. Wenn ich mich in manchen Filmen selbst nicht so mag, bin ich so angestrengt damit beschäftigt, eine Situation zu behaupten.

prisma: Ist es auch entscheidend, dass man in einer Serie wie "Dark" länger mit seiner Rolle beschäftigt ist?

Waschke: In der ersten Staffel hatte ich mit meiner Figur Noah nur sieben oder acht Drehtage. Das war vergleichsweise ein Witz. Und dennoch beschäftigt der Charakter viele sehr. Manche sagen ja: Mach dich rar und du bist ein Star (lacht). Aber klar: Man hat in einer Serie eine andere Verantwortung, das merkte ich auch in "8 Tage" etwa. Da hat man mehrere Bühnen gewissermaßen.

prisma: Können Sie persönlich mit ihrer Figur Noah etwas anfangen?

Waschke: Auf jeden Fall. Sonst würde ich das gar nicht machen. Ich mochte die Texte von Anfang an: Sie erinnerten mich an Schopenhauer-Schriften, die ich vor 20 Jahren gelesen hatte, und an Nietzsche-Texte, denen ich mich vor 30 Jahren widmete. Auch an vieles, was mich in den letzten fünf bis zehn Jahren sehr beschäftigte, etwa die Bücher von Yuval Noah Harari. Verschiedene Betrachtungsweisen, die unter anderem aus dem Buddhismus stammen. Zum Beispiel, dass alles mit allem zusammenhängt.

prisma: Was fanden Sie an Ihrem mysteriösen Charakter am spannendsten?

Waschke: Mich reizt an ihm die oft gestellte Frage, ob er nun ein Guter oder ein Böser ist. Das ist für mich spirituell geradezu der springende Punkt: Wenn man immer ganz klar hat, was Gut und was Böse ist, dann richtet man nicht nur Gutes an. Sondern auch sehr viel Unheil. Wegweisend an der Figur und an "Dark" ist: Diese Ambivalenz, diesen Widerspruch kann man aushalten! Dass man nicht genau weiß, wie es ist. Das besitzt eine geradezu politische Vision: Im scheinbar Bedrohlichen etwas zu entdecken, das vielleicht Rettung ist.

prisma: Inwiefern kann dieses Politische auf Serien wie "Dark" zutreffen?

Waschke: Die Popkultur ist ja auch dazu da, Sachen zu setzen, die sich scheinbar widersprechen. Das Geschichtenerzählen im Theater und im Fernsehen kann helfen, die Welt in der wir leben zu verstehen, mit ihr umzugehen – und eine Vision von einer Welt zu entwickeln, die man will. Gerade in Zeiten von Abschottung und Rückzug, von Angst und Zusammenziehen vor dem Fremden oder sogar vor dem Nicht-ganz-Vertrauten. Nur weil man die Dinge schon immer so gemacht hat – dabei redet man hier nur von den letzten 100, 150 Jahren. Diese Vorstellung sanft zu torpedieren, mit einem Plädoyer für Widersprüchlichkeit, ist für mich eine der wichtigsten politischen Botschaften überhaupt. Bei denen, die uns in den letzten paar hundert Jahren gesagt haben, wie es geht, sollte man sich keinen Rat mehr holen. Vielmehr bei denen, die sagen: Ich weiß auch nicht genau, wie es gehen könnte, aber lasst uns doch gemeinsam schauen, was funktioniert.

prisma: Klingt nach einer Abschaffung der bestehenden politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse ...

Waschke: Klar – insofern auf den Kapitalismus nicht wieder etwas folgt, an das man wieder so einen -ismus dranhängt. Aber dass dieses Wirtschaftssystem 1989 als das siegreiche hervorgegangen ist, heißt ja nicht, dass es auch das bessere, sinnvollere oder menschenwürdigere System ist. Spannend finde ich aktuell, dass das nicht mehr viel mit links-rechts oder rot-schwarz zu tun hat, sondern sich diese Ansicht im halbwegs aufgeklärten Mainstream durchsetzt. Diese Art des Wirtschaftens und Lebens grundsätzlich zu befragen.

prisma: Steckt in "Dark" nicht zusätzlich auch die große existenzielle Frage nach Leben und Tod?

Waschke: Sicher. In allen Weltreligionen und großen spirituellen Lehren geht es um die Beschäftigung mit Leben und Tod, den Tod im Leben zu spüren. Aber: In den 80er-Jahren gab es gerade in Deutschland diese Stimmung, dass wir von allen bedroht sind – Waldsterben, Pershing-Raketen. Im Sinne von: Wir sind die Opfer. Die Deutschen, als größte Täternation der Welt, haben sich da noch einmal so richtig als Leidende abfeiern können. Diese Bilder, etwa aus der deutschen Romantik, kann man nutzen – um sie zu feiern, sich aber gleichzeitig drüber lustig zu machen.

prisma: Inwiefern trifft das auf "Dark" zu?

Waschke: Im "Dark"-Kosmos besitzt zwar alles Wucht und Pathos. Aber für mich ist es so krass, dass ich beim Schauen auch lachen kann. Es ist so mutig gedacht, das man nicht nur davor sitzt und zittert und gleich heult. Apokalypse im Sinne von: Was wäre wenn? – das setzt eine Wahnsinnsenergie frei.

prisma: Hat sich Ihr Verhältnis zu Zeit und den damit zusammenhängenden Fragen verändert?

Waschke: Die Grundfragen beschäftigen mich schon, seit ich Teenager bin. Diese Kinderfragen: "Gibt es mich doppelt?", "Ist das hier nicht alles für mich aufgebaut?". Wir können eben nicht zu hundert Prozent ausschließen, dass das, was wir unser Leben nennen, die Fantasie eines Teenagers im New York des Jahres 2480 ist, der im hundertsten Stock irgendein verrücktes Spiel spielt, in dem er in die Rolle eines Schauspielers im Jahr 2019 schlüpft. Diese Lust der Serie, solche Extreme in bestimmte Richtungen zu denken, hat mich befreit. Aber mein Verhältnis zur Zeit wird eher durch biografische Ereignisse und das Älterwerden verändert (lacht).

prisma: Wie zeigt sich das?

Waschke: Ich weiß so manche Binsenweisheit, etwa "Im Hier und Jetzt leben", mehr und mehr zu preisen. Denn Leben findet immer nur hier statt!

prisma: Angenommen, Sie könnten wie in "Dark" Ihrem jüngeren Ich begegnen – was würden Sie ihm raten?

Waschke: Was mir da einfällt, wäre wieder so pathetisch-küchenkalendermäßig: "Lass es so sein, wie es ist", "Lass es ruhig zu". Das Wichtigste wäre vielleicht: "Sei lieb zu dir selbst".

prisma: "Dark" wirft auch die Frage auf, ob wir unser Leben tatsächlich steuern – oder nicht alles ohnehin schon vorbestimmt ist ...

Waschke: Einerseits ist da die Frage nach der Willensfreiheit, und zum anderen, ob dann alles determiniert ist. Die große Mehrheit der Menschen denkt wahrscheinlich, wir treffen alle freie Entscheidungen. Aber wo ist denn das Du? Wo ist die Persönlichkeit? An der Oberfläche gibt es da eine Grenze. Doch die moderne Hirnforschung und die Chaostheorie sagen übereinstimmend, dass es keine Seele gibt.

prisma: Aber wo bleibt die Hoffnung auf menschengemachte Veränderung, wenn wir Entscheidungen nicht wirklich treffen?

Waschke: Es gibt daran eine progressive und eine reaktionäre Seite. Wenn ich sage, alles ist determiniert, dann sucht man wieder einen Schuldigen, der die Fäden zieht, der alles bestimmt. Das gibt es nicht. Meiner Auffassung nach ist mit ziemlicher Sicherheit alles eine große Bewegung des einen Ganzen. Wir kommen zwar in der Erklärung künstlicher Intelligenz immer weiter. Aber nicht ein My in der Erklärung des menschlichen Bewusstseins. Da liegt für mich der Schlüssel. Und die Hoffnung, dass man vielleicht die Welt verändern kann – und die einen nicht nur selbst verändert.

prisma: Apropos Veränderung: Inwiefern hat sich Ihre Karriere seit Ihrem Image als "Tatort"-Star verändert?

Waschke: Es ist eine Rolle, die ich saugern spiele – und das will ich auch noch länger machen. Aber man muss manchmal freundlich darauf hinweisen, dass ich mehr bin als nur der "Tatort"-Kommissar. Andererseits sind die Reaktionen, gerade beim Berliner "Tatort", inhaltlich sehr angenehm. Von einem Image will ich da nicht gezielt wegkommen.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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