Mini-Serie über das Bauhaus

"Die neue Zeit": Aufbruch junger Visionäre

von Eric Leimann

Vor 100 Jahren wurde in Weimar die wohl einflussreichste Kunsthochschule der Welt gegründet: das Bauhaus. Das ZDF hat aus dem Stoff die sehenswerte Mini-Serie "Die neue Zeit" gemacht, die vorab bei ARTE läuft.

ARTE
Die neue Zeit
Miniserie • 05.09.2019 • 20:15 Uhr

Mein Gott, diese Modernität. Dieser Gedanke schießt einem in den Kopf, wenn man Walter Gropius (August Diehl) in der furiosen ZDF-Serie "Die neue Zeit" mit seinem Oldtimer vor den aus klaren Linien geformten Flachdach-Bungalows der Dessauer Bauhaus-Architektur sieht. In den sechsmal 45 Minuten der Miniserie (die ARTE an zwei Donnerstagen vorab zeigt) geht es jedoch nicht so sehr um Architektur, Design-Klassiker oder die Farbenlehre des Johannes Itten (Sven Schelker). Auch wenn ästhetischen Errungenschaften des größten deutschen Kunst- und Design-Exportschlagers aller Zeiten nicht verschwiegen werden, "Die neue Zeit" handelt vor allem vom Aufbruch junger Visionäre und Avantgardisten nach dem Ersten Weltkrieg.

Als der Netzwerker Walter Gropius mit anderen einflussreichen Künstlern in der jungen Weimarer Republik eine Kunstakademie eröffnet, in der Frauen und Männer gleichberechtigt sein sollen, in denen sich jeder Student frei entfalten und seinen eigenen Weg finden soll, ist dies in Sachen Menschenbild und Pädagogik ein ziemlicher Paukenschlag. Einer, der das konservative Bürgertum und Rechtsnationale auf die Palme bringt. Selbst die Kommunisten können mit der Idee einer unpolitischen Schule kameradschaftlicher Individualisten wenig anfangen. Aus bürgerlichem Elternhaus kommt auch die angehende Malerin und Grafikerin Dörte Helm (Anna Maria Mühe). Ihr Vater, der Philologie-Professor Rudolf Helm (Hanns Zischler), tut sich schwer mit den Ideen des Bauhaus – obwohl er ein kluger Mann ist.

Die Diskussionen zwischen ihm und seiner Tochter sind ein Lehrbeispiel dafür, wie man in einer modernen Serie Zeitgeschichte und Wissen vermitteln und doch mitreißendes Charakter-Fernsehen produzieren kann. Dörte Helm, die es wirklich gab, wurde eine emotionale Nähe zum Schulleiter Walter Gropius nachgesagt. Ob es eine tatsächliche Liaison oder gar eine große, unerfüllte Liebesgeschichte war, ist historisch umstritten. Neben anderen Studenten wie Marcel Breuer (Ludwig Trepte), Gunta Stölzl (Valerie Pachner) oder Johannes Ilmari Auerbach (Alexander Finkenwirth) ist es aber vor allem Dörte, die sich mit ihrem radikalen Revoluzzer-Gen tief in die Ideale und Experimente des frühen Bauhaus hineinfallen lässt.

Erzählt wird die Serie – ein kluger Kniff von Co-Autor und Regisseur Lars Kraume ("Der Staat gegen Fritz Bauer") – aus der Rückschau des etwa 80-jährigen, in den USA lebenden Star-Designers Walter Gropius. In überzeugender Altersmaske und gewohnt präzise spielt ihn ebenfalls August Diehl. In der Rahmenhandlung erhält Gropius Besuch von einer feministischen Reporterin (Trine Dyrholm). Sie wirft ihm vor, die Gleichstellung zwischen Mann und Frau am Bauhaus wäre nur eine Farce gewesen. In Wahrheit hätte der charismatische, aber auch eitle Gropius die alten, patriarchalischen Strukturen beibehalten – was dieser im Zwiegespräch vehement bestreitet.

Im ZDF läuft die Serie am späten Abend

Nach der ARTE-Vorpremiere an zwei Donnerstagen (5. und 12. September) zeigt das ZDF "Die neue Zeit" an drei aufeinanderfolgenden Abenden in Doppelfolgen (Sonntag, 15.9., Montag, 16.9., und Dienstag, 17.9., jeweils 22.15 Uhr). Dass das Zweite seine bildersatte, erzählerisch starke und sicher auch teure Serie am späteren Abend versteckt, scheint ein wenig übervorsichtig. So sperrig, dass konservative Zuschauer überfordert wegzappen würden, ist das "Biopic" der frühen Bauhaus-Jahre nun auch nicht. Dafür "lebt" man zu sehr mit der weiblichen Hauptfigur und erfreut sich an der tollen Austattung, den überzeugend inszenierten Massenszenen und dem coolen Retro-Soundtrack (mit durchaus modernen Elementen) der Komponisten Christoph M. Kaiser sowie Julian Maas.

Vielleicht erkennt das ZDF mittlerweile eine Zweiteilung seines Publikums: Ältere, an konservativen Krimis und Informationsprogrammen interessierte Zuschauer, die dem Bauhaus ähnlich begegnen wie die Altvorderen der Weimarer Republik und progressivere, am modernen Serien geschulte Schauer, die das Ganze auch vorab, ab Sonntag, 8. September, in der ZDF Mediathek sehen können.

Bereits im Februar lief das ARD-Konkurrenzprodukt zum Bauhaus-Jubiläum: das knapp zweistündige Event-Movie "Lotte am Bauhaus" mit Alicia von Rittberg als fiktive – und etwas bravere – Version der Dörte Helm. Die ZDF-Serie ist dem ARD-Fernsehfilm in vielen Dingen überlegen. In Sachen Opulenz und erzählerischer Tiefe, aber auch im Anspruch und hervorragend gebauten Dialogen. Das Drehbuch schrieb Regisseur und Grimmepreisträger Lars Kraume mit seiner Frau, der Kunsthistorikerin Lena Kiessler sowie der feinen Autorin Judith Angerbauer ("Der freie Wille", "Tatort: Der frühe Abschied"). Interesse an den viereinhalb Stunden Serienfernsehen aus Deutschland soll im Ausland bereits reichlich vorhanden sein. Kein Wunder: Das Bauhaus gilt auf der ganzen Welt als gefeiertes Stück deutscher Kreativität, das zudem auch politisch ein anderes Bild eines Landes zeichnet, das man vielerorts nur als Schauplatz von Nazi- und Stasigeschichten sowie anderer Unterdrückungsszenarien kennt.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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