Album "Brightest Blue"

Ellie Goulding: "Die Songs symbolisieren, wie ich zur Frau wurde"

von Nadine Wenzlick

Zehn Jahre ist es her, dass Ellie Goulding mit ihrem Debütalbum "Lights" die Pop-Welt aufmischte und zu einer der erfolgreichsten britischen Sängerinnen aufstieg. Zuletzt wurde es auffallend still um die 33-Jährige, doch fünf Jahre nach "Delirium" ist sie nun mit ihrem vierten Album zurück.

"Brightest Blue" (hier bei Amazon bestellen) besteht aus zwei Teilen: Während der erste Teil ihre Verletzlichkeit reflektieren soll, fängt der zweite ihre selbstbewusste und mutige Seite ein – auch Gastmusiker wie Diplo sind dabei zu hören. Im Interview per Zoom-Meeting verrät Goulding, warum man zuletzt so wenig von ihr hörte, wie sie ausgerechnet in New York zu sich fand und warum sie ihre Verlobung per Zeitungsannonce bekannt gab.

prisma: Ihr neues Album trägt den Titel "Brightest Blue". Die Farbe Blau wird oft mit Tiefe und Stabilität in Verbindung gebracht. Fühlen Sie sich derzeit "blau"?

Ellie Goulding: Das kann man so sagen. Die Farbe Blau lässt sich gut mit der Art Melancholie assoziieren, die ich gerade empfinde. Melancholie ist das richtige Wort, denn es ist ein bittersüßes Gefühl. Man ist einerseits traurig, aber gleichzeitig bringt es auch eine angenehme Sicherheit und Frieden mit, wenn man zu akzeptieren lernt, was man fühlt. Es geht auf dem Album um Selbstliebe, aber auch darum, herauszufinden, wer man ist.

prisma: Das Album besteht aus zwei Teilen. Was hat es damit auf sich?

Goulding: Auf Seite A reflektiere ich meine verletzlichen Momente. Es geht um Beziehungen und darum, wie sie unser Glück bestimmen können. Gleichzeitig symbolisieren die Songs auch, wie ich zur Frau wurde. Seite B ist gewissermaßen mein Alter Ego. Da ist keine Verletzlichkeit – es sind starke, feministische Songs. Diese andere Seite von mir ist unverfroren und singt davon, den Jungs zu sagen, sie sollen sich verpissen (lacht). Die Songs entstanden in Kollaboration mit verschiedenen anderen Künstlern, ich wollte damit einfach nur experimentieren und Spaß haben.

prisma: Sie sprechen Ihre verletzliche Seite an. 2016 sprachen Sie auch sehr offen über Ihre Panikattacken und Selbstzweifel. Wie lange hatten Sie mit diesen Problemen zu kämpfen?

Goulding: So lange ich mich erinnern kann. Als ich klein war, war ich immer sehr verlegen und unsicher, ich war eher ein ernstes Kind. Zwar liebte ich es, in den Schulaufführungen mitzumachen und aufzutreten, aber gleichzeitig war ich super schüchtern. Singen war der beste Weg, um das abzulegen. Aber ich bin heute noch oft verlegen und zurückhaltend, wenn ich mit anderen rede.

prisma: Das wirkt auf der Bühne überhaupt nicht so.

Goulding: Dass Künstler automatisch selbstbewusst sind, ist ein gängiges Missverständnis. Bei den meisten, die ich bisher getroffen habe, war eher das Gegenteil der Fall. Andererseits entsteht, glaube ich, genau dadurch teilweise die beste Kunst.

prisma: Was hat Ihnen dabei geholfen, Ihre Ängste zu überwinden?

Goulding: Mich selbst kennenzulernen! So kitschig das auch klingt: Es ging darum herauszufinden, wer ich bin. Meine Reaktionen auf bestimmte Situationen, meine Wut auf manche Dinge und meine Freude über andere zu verstehen. Wir schämen uns oft dafür, über unsere Selbstzweifel zu sprechen, und wollen andere Leute nicht damit belasten. Deswegen bin ich froh, dass all das mit diesem Album in Worte fassen kann.

prisma: Welcher Song zeigt Sie am verletzlichsten?

Goulding: Das ist auf jeden Fall "Woman". Ich singe zum Beispiel davon, mich meinen Ängsten zu stellen, oder auch: "I run both my hands down and I find a different shape". Da geht es um meinen Körper. Der Song handelt davon, nicht zu wissen, wo ich stehe – weil ich vom Mädchen zur Frau geworden bin. Ich war jahrelang auf Tournee. Plötzlich waren meine 20-er vorbei und ich war über 30. Die 20-er sind eine wichtige Zeit für die Entwicklung, die ich nicht wirklich hatte. Irgendwann kam ich an einen Punkt, an dem ich dachte: Ich muss herausfinden, wer ich bin. Ich habe in den letzten Jahren auf jeden Fall eine Menge Selbstanalyse betrieben!

prisma: War es deswegen so lange still um Sie? Brauchten Sie nach dem Erfolg Ihrer ersten drei Alben eine Auszeit?

Goulding: Definitiv. Nachdem ich mit "Delirium" (hier bei Amazon bestellen) drei Jahre lang auf Tour gewesen war, war ich nicht bereit, mich direkt an mein nächstes Album zu setzen. Ich hatte so viel Zeit mit meiner Musik verbracht - das letzte, wonach mir der Sinn stand, war mich selbst zu hören. Also lebte ich für eine Weile einfach mein Leben. Ich hatte viel aufzuholen! Ich zog nach New York, habe viel gebacken und gelesen, bin viel spazieren gegangen, habe die Stadt erkundet und Kunstgalerien besucht.

prisma: Warum ausgerechnet New York?

Goulding: Weil mein Mann dort arbeitete – ich bin ihm gefolgt. Dorthin zu ziehen, öffnete für mich eine komplett neue Welt. Ich war gleichzeitig total begeistert und eingeschüchtert. New York ist einfach ein verrückter Ort. Voller Energie und Ehrgeiz, super kosmopolitisch, gegensätzlich und multikulturell. Was ich aber vor allem mitnahm, war die Kunst. Es fühlte sich an wie das Epizentrum der Kreativität.

prisma: Hat Sie das inspiriert, selbst wieder kreativ zu werden?

Goulding: Ich denke schon. Ich buchte ein Studio, um einfach mal zu sehen, was passiert, lud ein paar Leute ein, um mit ihnen zu schreiben – und dann hatten wir diese Songs, die definitiv nicht wie das klangen, was ich zuvor gemacht hatte.

prisma: Tatsächlich ist "Brightest Blue" sehr abwechslungsreich. Sind Sie immer auf der Suche nach Neuem?

Goulding: Auf jeden Fall. Ich ziehe viel Inspiration aus elektronischer und klassischer Musik. In neuer elektronischer Musik höre ich ganz oft Dinge, die mich faszinieren, und klassische Musik bewegt mich einfach. Das wirkt sich sogar auf meinen Filmgeschmack aus: Auch wenn ein Film nicht so gut ist – wenn die Musik gut ist, gefällt er mir gleich viel besser.

prisma: Mit "Love I'm Given" gibt es auf dem neuen Album auch einen Song für Ihren Mann, den Kunsthändler Caspar Jopling ...

Goulding: Im Grunde geht es in dem Song darum, dass man das Gefühl hat, eine andere Art Liebe zu empfangen. Ich habe nie gedacht, dass Liebe so multidimensional ist – aber dann habe ich erkannt, dass der eigene mentale Zustand einen Einfluss darauf hat, welche Liebe man sich aussucht zu empfangen. Früher, als ich selbst durcheinander war, waren auch meine Beziehungen durcheinander. Aber das hängt alles miteinander zusammen. Wenn man selbst an einem guten Punkt ist, erfährt man auch gute Liebe.

prisma: Letztes Jahr heirateten Sie in der Kathedrale von York, anschließend wurde groß gefeiert. Die Verlobung hatten Sie zuvor ganz klassisch in der Zeitung und nicht etwa auf Instagram bekannt gegeben. Sind Sie so romantisch?

Goulding (lacht): Casper war damals besessen von Benedict Cumberbatch und der hatte seine Hochzeit auch in der Zeitung angekündigt. Ich fand die Idee toll! Es gibt viele Bereiche, in denen ich mich als sehr modern und fortschrittlich bezeichnen würde, aber in anderen bin ich tatsächlich erbärmlich romantisch.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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