"Grüße aus Fukushima": Selbstfindung in der Sperrzone
Ein Zwei-Frauen-Kammerspiel in der verbotenen Sperrzone rund um das havarierte Atomkraftwerk: Rosalie Thomass brilliert als eine junge Frau, die ans andere Ende der Welt reisen muss, um sich selbst zu finden.
Es sind Bilder aus einer Gegend, die man sich gut als Drehort für einen verstörenden Science-Fiction-Film vorstellen könnte. Leider sind sie aber sehr real und vom Rest der Welt sehr vergessen. Zum dritten Mal nach "Erleuchtung garantiert" (1999) und "Kirschblüten - Hanami" (2007) ist die Münchner Filmemacherin Doris Dörrie ihrer Neugier gefolgt und in ein sehr fremdes Japan gereist. Im Zentrum des mit einem Mini-Team gedrehten, halb improvisierten Schwarz-Weiß-Films "Grüße aus Fukushima" (2016) steht mit der jungen Marie (Rosalie Thomass) eine Deutsche, die sich einer Clown-Truppe anschließt, um so etwas wie Hoffnung in ein Auffanglager zu bringen; eines, in dem sich die von der atomaren Verstrahlung Geflohenen aufhalten. Heraus kommt ein apokalyptisches Zwei-Frauen-Kammerspiel, das mit stillem Humor etwas Trost verbreitet. ARTE zeigt den Film nun als Free-TV-Premiere.
Einsame Wachposten stehen wie Spielzeugsoldaten in einer weitgehend menschenleeren Landschaft herum und bewachen die notdürftig mit Flatterband abgesperrten Nebenstraßen, die zum GAU-Reaktor von Fukushima führen. An anderer Stelle türmen sich gigantische Halden mit in schwarze Müllsäcke verpacktem kontaminierten Erdreich. Dass sie jemals abgeholt und fachgerecht entsorgt werden, glaubt hier niemand. Fast schon tröstlich wirkt es, als endlich ein Fahrzeug durch die Mondlandschaft-Szenerie tuckert. Umso bizarrer, dass darin mit der jungen Marie eine Backpackerin sitzt.
Befremdlich ist das erste Ankommen für die junge Dame, die von Japan nichts und über sich selbst allem Anschein nach fast noch weniger weiß. Obwohl sie für die selbstgewählte Goodwill-Aufgabe denkbar ungeeignet ist, möchte sie doch tatsächlich in einem Lagerdorf so etwas wie Zerstreuung bieten; dort, wo die wenigen verbliebenen Alten aus der Fukushima-Nachbarschaft in trostlosen Blech-Containern einer ungewissen Zukunft harren. Die Aussteigerin Marie, die selbst aus dem fernen Deutschland viel Schmerz und wegen einer offenbar akuten Lebens-, Partnerschafts- und Sinnkrise noch mehr Selbstmitleid mitgebracht hat, versucht sich als Clown – und als Hulla-Hoop-Vortänzerin.
Ausgerechnet eine verschlossene, starrköpfige Seniorin kann Marie aufrütteln. Satomi (stark: Kaori Momoi) zieht es unbedingt in die verbotene Sperrzone zurück, wo sie ihr altes Holzhaus wieder herrichten möchte und wo sie sich den Geistern ihrer Vergangenheit stellen kann. Marie zögert zunächst, doch dann lässt sie sich auf das Abenteuer ein. Satomi wird zu ihrer Lehrmeisterin. Von ihrem Selbstbehauptungswillen, ihrer Duldsamkeit, Disziplin, aber auch von ihrem weiblichen Stolz kann Marie viel lernen.
Doris Dörrie hat mit der befremdlichen Selbstfindungsreise einen ihrer wohl intimsten Filme gedreht, der zu Recht auf Preisverleihungen gefeiert wurde. Auch die großartige Rosalie Thomass hat sich den Bayerischen Filmpreis für ihre starke Charakterstudie absolut verdient. "Grüße aus Fukushima" ist ein Film, der es seinen Betrachtern nicht leicht macht – aber auch einer, der das Potenzial hat, sie glücklicher und gelassener zurückzulassen.
Quelle: teleschau – der Mediendienst