Doku bei ARTE

"Kindesmissbrauch im Spitzensport": das Martyrium des Paul Stewart

von Andreas Schoettl

Jeder siebte minderjährige Nachwuchssportler soll laut Studien Opfer von sexuellen Übergriffen oder Missbrauch geworden sein. ARTE behandelt das sensible Thema "Missbrauch" in einem weitreichenden Themenabend.

ARTE
Kindesmissbrauch im Spitzensport
Dokumentation • 01.09.2020 • 20:15 Uhr

"Ich war der glücklichste kleine Junge der Welt", erzählt sich Paul Stewart. In einem tristen Vorort von Manchester kickte er als Knirps nach der Schule eigentlich immer auf der Straße. Stewart hat es bis zum Fußballprofi in der Premier League geschafft. Dreimal lief er sogar für die englische Nationalmannschaft auf. Doch die Erinnerungen an sportliche Erfolge wie den Gewinn des FA Cups mit den Tottenham Hotspurs sind längst verblasst. Stewart ging als Kind und Jugendlicher auch durch ein Martyrium. Als er zwischen zehn und 14 Jahren war, wurde er von einem damaligen Trainer missbraucht. Und das mehrmals.

Der Film "Kindesmissbrauch im Spitzensport" des französichen Regisseurs Pierre-Emmanuel Luneau-Daurignac behandelt ein sehr sensibles Feld. Es geht um den Kindesmissbrauch im Spitzensport. Bei ARTE ist er nun im Rahmen eines Themenabends erstmals zu sehen. Tatsächlich ist das Schicksal Stewarts längst kein Einzelfall. Erschütternde Ergebnisse weitreichender Studien belegen das. So soll jeder siebte minderjährige Nachwuchssportler, gleich welchen Geschlechts, bereits Opfer von sexuellen Übergriffen oder Missbrauch geworden sein.

Luneau-Daurignacs mehr als zweijährige Recherchen in Ländern wie England, Spanien, Frankreich, den USA und auch Deutschland zeigen die ganze Schieflage eines Systems. Experten wie die Sportsoziologin Bettina Rulofs von der Deutschen Sporthochschule in Köln geben an, das sich das Problem nicht etwa nur auf Pädophilie reduzieren lasse. "Das heißt, es gibt auch eine Verantwortlichkeit im System des Sports, in den Vereins- und Verbandsstrukturen", so die Expertin.

Ehemalige Spitzensportler wie eben Stewart oder die ehemalige französische Eiskunstläuferin Sarah Abitbol bestätigen das. Abitbol enthüllte erst Anfang dieses Jahres, dass sie als 15-jährige Nachwuchssportlerin vergewaltigt worden sei. In der Folge wurde öffentlich, dass auch weitere Sportlerinnen Opfer des selben Trainers geworden waren und der Eissportverband nichts dagegen unternommen hatte, obwohl die Übergriffe den Verantwortlichen von "zahlreichen" Opfern gemeldet worden waren.

Erschreckend in Luneau-Daurignacs intensiver Reportage ist, wie betroffene Sportler wie Stewart sich mit ihrer schlimmen Vergangenheit auseinandersetzen. Der ehemalige Fußballer, den der Missbrauch in jungen Jahren später nach der Karriere auch in eine Alkohol- und Drogenvergangenheit geführt hatte, etwa erinnert sich sehr detailreich: "Als er sich zum ersten Mal an mir verging, flüsterte er mir ins Ohr: 'Wenn du mich verrätst, bringe ich deine Eltern und deine Brüder um. Das gehört dazu, wenn du Fußballer werden willst." Wenn er schlechte Laune hatte, verprügelte er mich manchmal oder bog mir die Finger nach hinten. Er sagte: 'Meine Eltern würden mich nicht lieben.' Und anschließend verging er sich an mir mit dem Mund oder mit der Hand." Stewart zieht schließlich ein trauriges Resümee: "Der Preis, den ich bezahlt habe, war zu hoch."

Mit dem Film über Kindesmissbrauch im Spitzensport beginnt ARTE einen sehr aufwühlenden Themenabend. Allein diese Angaben schockieren: Jährlich verzeichnet beispielsweise Frankreich 250.000 Vergewaltigungen oder Versuche einer Vergewaltigung. Nur 1.600 Fälle kommen zur Verhandlung. Der Film "Vergewaltigt!" blickt ab 21.45 Uhr auf den Kampf von vier Frauen, die ihre Peiniger vor Gericht bringen wollen. Abschließend ab 22.40 Uhr porträtiert "Sklavinnen des IS" vier junge Frauen aus dem Nordirak. Unter dem Horrorregime der Terrormiliz haben sie grausame Folter, Exekution und Vergewaltigung erlebt.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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