Eine Serie für Kinder erzählt die Schrecken des Zweiten Weltkrieges aus deren Perspektive. Wie früh soll man damit anfangen, Kindern von Holocaust, Nazis und grausamen Kriegshandlungen zu erzählen? In Folge eins spielt Florian Lukas einen Vater, dessen zehnjähriger Sohn zur Hitlerjugend will.
Darf man Kindern im Grundschulalter vom Zweiten Weltkrieg erzählen? Von Nazis, Judenhass, Konzentrationslagern und Kindersoldaten. Ist das nicht zu hart und vor allem zu früh? Nein, sagen die Macher der achtteiligen Serie "Der Krieg und ich", die nun bei KiKA (Samstag, 31.8., 20.15 Uhr) und später im Ersten (Sonntag, 3.11., 11 Uhr) zu sehen ist. Basierend auf den Tagebüchern echter Kinder, die in unterschiedlichen Ländern den Krieg erlebten, schufen die Macher ein einzigartiges TV-Programm, das auch Erwachsenen einen neuartigen Zugang zum Horror jener Jahre ermöglicht.
"Weissensee"-Star Florian Lukas spielt in Folge eins ("Anton aus Deutschland") einen systemkritischen Vater, dessen zehnjähriger Sohn gerne bei der Hitlerjugend mitmachen will. Auch seine Freundschaft zu einem jüdischen Nachbarsmädchen scheint dem erst mal nicht entgegenzustehen. Im Interview spricht der 46-jährige Florian Lukas, Vater zweier mittlerweile erwachsener Kinder, über die Darstellung des Schrecklichen "für Kinder". Und er stellt sich der Frage, wie man die Gesellschaft vor einem Rückfall in düstere Zeiten bewahren kann.
prisma: Eine Serie über Judenverfolgung und Kinder im Zweiten Weltkrieg – mit der Zielgruppe Grundschüler! Wie wirkte dieses Projekt am Anfang auf Sie?
Florian Lukas: Ich fand das gleich interessant. Wenn man selbst Kinder hat, fängt man irgendwann an zu überlegen: Wann erzähle ich ihnen von diesen Dingen? Meistens sucht man nach einem Ansatz über persönliche Geschichten. Vielleicht etwas aus der Familiengeschichte. Als Schauspieler merke ich immer, wenn ich historische Stoffe spiele, wie sehr wir mit Figuren aus der Vergangenheit verbunden sind. Im Prinzip sind sich die Kinder von damals und die von heute sehr nah – in ihrem Denken, Fühlen, Erleben. Deshalb ist faszinierend, aber auch erschreckend, wenn man von diesem Leid damals erzählt.
prisma: Mittlerweile sind die meisten verstorben, die Nazi-Deutschland und den Zweiten Weltkrieg bewusst erlebten. Wie sehr steckt diese Zeit dennoch in uns drin?
Lukas: Ich glaube, dass die Verbindung immer noch sehr stark ist. Die zwei oder drei Generationen zuvor haben uns eine Menge vererbt. Oft unbewusst. Ich finde den Sprechertext, der in jeder Folge "Der Krieg und ich" vorkommt, sehr treffend: "Der Zweite Weltkrieg – Kinder wie wir haben ihn vor langer Zeit erlebt. Wir möchten euch davon erzählen." Es sind zwei einfache Sätze, die mich tief berühren.
prisma: Ihr eigenen Kinder sind so gut wie erwachsen. Was hatten Sie sich als Vater vorgenommen, wie und wann Sie Ihre Kinder in so komplexe Themen wie Krieg, Schuld oder Antisemitismus einführen?
Lukas: Ich glaube, vorgenommen hatte ich mir gar nichts. Vieles in unserer Erziehung geschah intuitiv. Wie gesagt, ein guter Einstieg ist immer die persönliche Geschichte. Sie interessiert Kinder. Ich konnte und sollte erklären, warum ich aus einem Land komme, das es nicht mehr gibt. Und warum Mama aus einem anderen Land kommt, obwohl sie die gleiche Sprache spricht.
prisma: Und über dieses Thema kommt man automatisch auf dem Krieg.
Lukas: Natürlich, man muss erklären, warum Deutschland geteilt war. Ich glaube, dass Filme das Interesse und Verständnis für Geschichte wirklich entscheidend fördern. Eine Serie wie "Weissensee" erleichtert den Gesprächseinstieg über deutsche Geschichte und die eigene Vergangenheit enorm. Das habe ich in vielen Begegnungen und Diskussionen erfahren.
prisma: Sind Filme ein Ersatz für das klassische "Erzählen vom Krieg" in der Familie, das früher stattfand?
Lukas: Ja, falls damals überhaupt erzählt wurde. Und wenn es passiert ist, muss man ja auch die Frage stellen: Was wurde erzählt? Ich glaube, dass Kinder die Geschichten aus der alten Zeit, zu der sie keinen Bezug hatten, gar nicht interessierten. Wir kennen das doch selbst: Die Alten erzählten Geschichten und man stellte die Ohren auf Durchzug. Erst später, als Erwachsener, interessierte man sich dafür – aber da waren die Erzählenden schon oft nicht mehr da. Ohne einen persönlichen Bezug zu den Geschichten wird in diesem Alter kein Interesse geweckt. Insofern finde ich den Ansatz von "Der Krieg und ich" genial.
prisma: Der Holocaust kommt in den meisten vielen Lehrplänen erst in der siebten oder achten Klasse auf Kinder zu. Ist das zu spät?
Lukas: Es hört sich spät an, aber man muss natürlich auch überlegen, wie man ein solches Thema jüngeren Kindern vermittelt. Ich finde, in der Serie ist das verständlich und gut gelöst. Auch so, dass Kinder es aushalten können. Natürlich ist das auch immer eine Frage der Mittel: Was hat man als Lehrer zur Verfügung, um mit jüngeren Schülern zu so etwas wie dem Holocaust zu arbeiten. "Das Tagebuch der Anne Frank", ist da zu nennen. Ein Klassiker, der Kindern immer noch einen starken Zugang zum Thema ermöglicht.
prisma: In der Folge "Anton", in der Sie den Vater spielen, wird gezeigt, wie sich ein ganz normaler Junge von der Hitlerjugend verführen lässt, obwohl er mit einem jüdischen Mädchen befreundet und sein Vater gegen die Nazis ist ...
Lukas: Was ich am Drehbuch mag – es zeigt, wie sich das Misstrauen in an sich intakte Familien hineinschleicht. Genau so funktionieren totalitäre Systeme. Wenn man sich als Kind fragt: Warum waren die Menschen so grausam zueinander, gibt es in der Folge Antworten darauf. Es existieren Mechanismen, die das möglich machen – und wir erzählen davon. Ich weiß nicht, ob es bei jüngeren Kindern schon auf der Verständnisebene verarbeitet wird, aber auf einer unbewussten Ebene geschieht dies sicherlich.
prisma: Schüler der dritten oder vierten Klasse, so sagt eine Medien-Expertin, die Ihre Serie vor Kindern geprüft hat, stellen schon mal die entwaffnende Frage: "Warum haben die Nazis die Juden eigentlich so gehasst?" Was antwortet man darauf?
Lukas: Man kann den Antisemitismus historisch erklären. Oder man versucht es auf der persönlichen Ebene. Wenn es einem Kind nicht gut geht, ist es schwierig, die Schuld bei sich selbst und nicht jemand anderem zu suchen. Dann ist Mama an allem schuld oder andere Kinder. Das Prinzip des Sündenbocks, auch jenes der Ausgrenzung verstehen bereits jüngere Kinder sehr gut, weil sie eigene Erfahrungen damit haben. Es spendet eine Menge Kraft, sich gemeinsam gegen andere zu verbinden. Tatsächlich dauert es lange, bis man lernt, auch bei sich selbst nach Schuld oder Gründen dafür zu suchen, warum etwas nicht so läuft wie gewünscht. Manche Menschen erreichen diese Entwicklungsstufe nie.
prisma: Ist das nicht frustrierend?
Lukas: Menschen sind so. Ich finde es eher problematisch, wenn man das Gegenteil behauptet. Oder wenn man davon ausgeht, dass alle Kinder, alle Menschen lieb sind – und nichts Böses tun. Dass alles, was wir an negativen Eigenschaften haben, nur durch Prägung entstanden ist. Wer das sagt, ignoriert, dass im Menschen auch unschöne Eigenschaften angelegt sind. Wir müssen lernen, damit umzugehen. Die Kinder nur zu ihrem guten Kern zurück erziehen zu wollen, funktioniert nicht.
prisma: Wie macht man den Menschen besser?
Lukas: Niemand sollte den Anspruch haben, die Menschen besser zu machen. Höchstens sich selbst. Wer sich die Menschheitsgeschichte anschaut, findet immer wieder Geschichten von maximaler Solidarität nach innen und maximaler Aggressivität nach außen. Wenn man sich das bewusst macht, kann man schauen, wie man einen Ausgleich findet. Letztendlich braucht es eine Gesellschaft, wie wir sie jetzt haben: eine mit Bildung und Demokratie, dann ist Entwicklung möglich.
Quelle: teleschau – der Mediendienst