Kruso

"Kruso": Eine Aussteigertruppe in der DDR

von Eric Leimann

Große Freiheit DDR: Die Verfilmung des gefeierten Romans "Kruso", der 2014 den Deutschen Buchpreis gewann, versucht dem Magischen einer Aussteigertruppe auf Hiddensee 1989 nachzuspüren.

ARD
Kruso
Drama • 26.09.2018 • 20:15 Uhr

Im Ausflugslokal "Klausner" auf Hiddensee tragen sich im Sommer 1989 seltsame Dinge zu. Wo lediglich Ost-Gastronomie mit begrenztem kulinarischen Charme zu erwarten wäre, ist rund um den charismatischen Kruso (Albrecht Schuch) ein inoffizielles Seminar für Aussteigerseelen im noch amtierenden DDR-System entstanden. Nachdem er den lebensmüden Ed (Jonathan Berlin) vor dem wahrscheinlichen Tod in der Ostsee gerettet hat, nimmt Kruso den jungen Mann in die skurrile Belegschaft des "Klausners" mit auf. Die Verfilmung von Lutz Seilers gefeierten Roman "Kruso", der 2014 den Deutschen Buchpreis gewann, versucht der besonderen Magie einer Aussteigertruppe in der sterbenden DDR nachzuspüren. Für die TV-Adaption konnte die ARD den gefeierten Filmemacher Thomas Stuber ("Herbert", "In den Gängen") gewinnen.

Kruso, der kaum zufällig phonetisch an einen anderen Insel-Aussteiger der Weltliteratur erinnert, ist eine schillernde Figur, wie sie im Buche steht. Keineswegs leicht dürfte es gefallen sein, diesen komplexen Charakter, gleichzeitig Guru einer inneren Freiheit wie gebrochene Seele, in eine Fernsehfigur zu überführen. Wie eigentlich die gesamte Belegschaft des "Klausners" (es spielen unter anderem: Andreas Leupold, Peter Schneider, Anja Schneider) viel zu poetisch und fantastisch ist, um sie dem Primetime-Publikum als gewohnte (Fernseh-)Realität zu verkaufen. Ein wenig Fantasie muss man schon aufbringen und gewohnte Handlungsmuster des TV-Dramas hinter sich lassen, um der melancholischen Ostseereise Stubers, der das ursprüngliche Drehbuch Thomas Kirchners ("Der Turm") nachbearbeitete, folgen zu können – und zu wollen.

Reisen, an die DDR-Bürger offziell noch nicht denken dürfen, sollen laut Kruso und seinen Mitstreitern während dreier Tage im Klausner – so lange darf ein Gast bleiben – vor allem im Kopf stattfinden. Gezielt wird Literatur verteilt, es werden Blockaden des Herzens gelöst und eine Vision von innerer Freiheit vermittelt. Flucht ist – zumal hochgefährlich – keine Lösung, so lautet das Credo Krusos , der sich auf die Rettung "Schiffbrüchiger", also DDR-Fluchtgefährdeter, spezialisiert hat. Als die ersten Meldungen über Mitbürger, die sich über Ungarn nach Westen absetzen, die Runde machen, dünnt sich Kund- und Belegschaft des "Klausners" immer mehr aus. Geht mit der DDR auch Kruso und sein Traum von einem besseren, poetischen Leben flöten?

Mit mutigen, erstaunlich literarisch angelegten Charakteren geht dieser 90-Minüter ins Rennen. Dabei hat er eine künstlerisch schwere Aufgabe zu stemmen: Wie soll man ein Buch, bei dem ob der sprachlichen und atmosphärischen Eigenheit schon gestandene Literaturkritiker Mühe hatten, dessen Faszination einzuordnen, in Bilder übersetzen, die gegen die Größe der Vorlage bestehen?

Regisseur Stuber und sein Kameramann Nicolai von Graevenitz ("Polizeiruf 110: Das Gespenst der Freiheit") hätten sich hier und da fast ein bisschen mehr Wahnsinn trauen dürfen. Mitunter ist ihre Bildsprache ein wenig konventionell geraten. Trotz allem: Das ungewohnte TV-Biotop gewinnt mit der Zeit an seltsamer Faszination. Dazu überzeugen Albrecht Schuch und Jonathan Berlin ("Die Freibadclique") als gefallene junge Männer im besten Heldenalter. Gut, dass es solch ambitionierte TV-Projekte noch gibt – wo man doch wahrscheinlich am selben Abend mit jedem Hanswurst-Krimi zwei bis drei Millionen Zuschauer mehr gewinnen könnte.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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