Deutscher Regisseur und Comedian

"Ballon" zeigt: Bully kann auch Thriller

von Markus Schu

Mit dem Flucht-Thriller "Ballon" legt Michael Bully Herbig sein Meisterstück vor und zeigt endgültig, dass er mehr kann als nur Klamauk. Im Interview erklärt er, warum er dafür gar nicht so viel Überzeugungsarbeit leisten musste und was Roland Emmerich damit zu tun hat, dass der die Geschichte verfilmen durfte.

Er ist unumstritten einer der bekanntesten und erfolgreichsten Medienmacher der Bundesrepublik: Michael 'Bully' Herbig. Mit hierzulande fast zwölf Millionen Zuschauern rangiert seine Westernparodie "Der Schuh des Manitu" nach wie vor auf Platz eins der publikumsstärksten deutschsprachigen Filme aller Zeiten. Auch als Schauspieler hat er sich in Fremdproduktionen einen Namen gemacht: in "Hotel Lux" von Leander Haußmann oder in "Vier gegen die Bank" von Wolfgang Petersen. Was der Arbeit des Regisseurs, Produzenten, Schauspielers und Drehbuchautoren jedoch stets gemein ist: das Komödiantische. Auf die ein oder andere Art und Weise sind Bully-Produktionen immer sehr humorvoll, wenngleich er mit "Wickie und die starken Männer" und "Buddy" auch ernste Töne anschlagen konnte. Mit seinem hervorragenden DDR-Fluchtthriller "Ballon" (Start: 27.09., lesen Sie hier eine Filmkritik von "Ballon") schickt er sich nun aber an, in einem gänzlich anderen Genre zu reüssieren. Zeit für einen Imagewandel?

prisma: Sie wurden einst an der Filmhochschule München abgelehnt. Bringt Sie das mittlerweile zum Schmunzeln?

Michael Bully Herbig: Ich bin bei so was nicht nachtragend. Natürlich war das damals niederschmetternd für mich, denn dort zu studieren, war mein absoluter Plan A. Es gab keinen Plan B. Vielleicht bin ich etwas zu naiv an die Sache rangegangen. Aber ich war überzeugt davon, dass es klappt. Und dann kam alles ganz anders! Vor zwei, drei Jahren erhielt ich eine Anfrage eines Professors der HFF München. Er wollte wissen, ob ich mich als Gastdozent zur Verfügung stellen würde. Ich sagte dann: Klar, das mache ich sehr gerne! Die Hütte war voll. Es war grandios für mich, auf die Bühne zu gehen und zu sagen: So, da bin ich, hat nur ein bisschen gedauert! (lacht) Man darf die Hoffnung nie aufgeben. Ich sehe das heute mit Humor, und ich glaube, dass es den Leuten an der HFF mittlerweile ähnlich geht. Man kann ja mal daneben liegen! (lacht)

prisma: War es schwierig, andere Menschen davon zu überzeugen, dass Sie nun mit "Ballon" einen ernsten Film machen wollen?

Herbig: Nein, das ging überraschend gut. Oberflächlich betrachtet bin ich zwar jemand, der bislang nur Komödien gedreht hat, aber unter diesem Deckmantel konnte ich mich auch in ganz vielen anderen Genres austoben. Man hat in Deutschland nun mal nicht so oft die Möglichkeit, einen Western oder einen Science-Fiction-Film zu drehen. Insofern war es innerhalb der Branche und insbesondere gegenüber dem finanzierenden Studio gar nicht so schwierig zu vermitteln, dass ich gerne mal einen Thriller machen möchte.

prisma: Wie sieht es denn da mit der Vermarktung aus? Wie sensibilisiert man das Publikum?

Herbig: Man macht sich viele Gedanken im Bezug auf das Marketing. Wie geht man mit dem Film raus, damit das Publikum keine falschen Erwartungen hat? Wir haben uns da an den Amerikanern orientiert. An Clint Eastwood zum Beispiel. Wenn er einen Film inszeniert, steht da eben "von Regisseur Clint Eastwood". Letztendlich fand ich das für diesen Film auch den richtigen Weg. Die Geschichte steht im Mittelpunkt, der Thriller soll als solcher funktionieren. Ich war der Meinung, dass es ein Fehler wäre, wenn man ganz oben, ganz dick "Michael Bully Herbig" drauf schreiben würde. Lieber "von Regisseur Michael Bully Herbig". Und beim Rest nehme ich mich dann zurück, der Film ist stark genug. Man sollte den Leuten schon sagen, dass sie jetzt einen Thriller und keine Komödie über einen Ballon zu sehen bekommen! (lacht)

prisma: Ist der Film eine Zäsur in Ihrem Schaffen? Ein Imagewandel?

Herbig: Eigentlich nicht. Glücklicherweise konnte ich bislang immer genau das machen, worauf ich am meisten Bock hatte. Ich schließe überhaupt nicht aus, dass ich eines Tages wieder eine Komödie mache. Als Darsteller sowieso. Mein Gesicht steht zu sehr für Comedy! Ich hege keinerlei Ambitionen als Schauspieler, in Dramen oder Thrillern zu spielen. Ich bin mit der Komödie verheiratet! (lacht) Aber als Filmemacher und als Regisseur genieße ich es sehr, dass ich mir das Genre quasi aussuchen kann. Nach 20 Jahren im Komödienfach habe ich im Moment einfach große Lust auf andere Dinge. Irgendwann will man sich auch mal woanders ausprobieren. Ausschlaggebend für die Zukunft ist natürlich auch, wie der Film beim Publikum ankommt. Aber ich schließe momentan eher aus, dass ich als nächstes wieder eine Komödie inszeniere, das kann ich mir im Moment überhaupt nicht vorstellen.

prisma: Generell sagt man, es sei schwieriger eine Komödie zu drehen als einen ernsten Film. Stimmen Sie da zu?

Herbig: Es ist einfach anders! Es muss einem liegen, sagen wir's mal so. Ich würde jetzt nicht pauschal sagen, dass es schwieriger ist. Man hat da eben andere Prioritäten. Erstaunlich war, dass ich mit meinem langjährigen Cutter Alexander Dittner im Schneideraum noch nie so viel gelacht habe wie bei "Ballon". Anscheinend lag das daran, dass man bei einer Komödie extrem auf Pointe und Timing achtet und die Szenen rauf und runter prüft. Manchmal ist Komödie eine sehr ernste Angelegenheit. Bei "Ballon" als Thriller war es so, dass alles eine gewisse Leichtigkeit hatte, weil man im Schnitt schnell merkte, dass alles genauso funktioniert wie geplant. Und man braucht auch ein Ventil. Ich kann mich nicht wochen- und monatelang mit einem ernsten Thema beschäftigen, ohne zwischendurch mal einen Gag zu reißen – da wird man ja verrückt! Das hat dazu geführt, dass der Spaß – so komisch das auch klingen mag – bei diesem Filmdreh ein ganz großer war. Du brauchst für jedes Genre das passende Timing. Wenn du das nicht hast, dann funktioniert dein Film nicht – egal, ob Komödie oder Thriller.

prisma: Filme, die sich mit einem historischen Thema befassen, bemühen sich oft darum, den Bogen in die Gegenwart zu schlagen. In Zeiten der Flüchtlingskrise beschäftigt sich "Ballon" nun ebenfalls mit dem Thema Flucht. Ist Ihr Film in gewisser Weise ein politisches Statement?

Herbig: Unfreiwillig, ja. Das war aber nicht der Plan. Als wir vor sechs, sieben Jahren das Thema angeschoben und mit der Buchentwicklung begonnen haben, hatten wir noch eine andere Situation. Irgendwann habe ich dann gemerkt, dass das Thema plötzlich eine gruselige Aktualität erhält. Ich habe das gerne aufgenommen und mit einfließen lassen. Aber zu Beginn war das nicht beabsichtigt. "Ballon" soll natürlich in erster Linie unterhalten. Aber wenn jemand aus dem Kino kommt und nun beim Thema Flucht ins Grübeln gerät, dann finde ich, dass der Film viel erreicht hat.

prisma: Wurmt es Sie, dass "Ballon" nicht als deutscher Oscarbeitrag ausgewählt wurde?

Herbig: Es wurmt mich nicht, das ist vielleicht der falsche Begriff. Aber so viele Filme habe ich ja bisher noch nicht gemacht, die da überhaupt infrage gekommen wären: Mir war klar, dass das mit "Bullyparade – Der Film" wohl eher nicht klappen würde! (lacht) Ich hab's erst mal ganz tapfer genommen. Was aber eine Rolle spielt, ist das überwältigend positive Feedback auf den Film, das wir bisher erhalten haben. Man spürt, dass "Ballon" die Leute bewegt, dass er sich beim Publikum ins Gehirn brennt. Und dann denke ich mir: Wenn's jetzt schon hierzulande so gut ankommt, dann hätte mich auch interessiert, wie die Academy darauf reagiert. Naja, dann werd' ich wohl noch einen Film machen müssen! (lacht)

prisma: In ihren bisherigen Filmen bewegen Sie sich zumeist auf die ein oder andere Art und Weise durch die deutsche Film-, Fernseh- und Popkulturgeschichte. Karl May, "Star Trek", Wickie, Sissi. Jetzt geht es um die politische Geschichte Deutschlands. Ist das eine bewusste Konstante in Ihrem Schaffen? Die Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit auf unterschiedlichen Ebenen?

Herbig: Nicht bewusst, nein. Aber jetzt, wo Sie es so sagen – da ist echt was dran! Ich will es mal anders formulieren. Ich drehe nur Filme über Themen, die mich interessieren und emotional berühren. Alle Filme, die ich bislang gemacht habe, waren auf eine gewisse Art und Weise persönliche Filme. Mein erster Kinofilm, "Erkan & Stefan", war vielleicht noch mal etwas anderes, das wurde mir quasi angeboten, aber auch da habe ich sofort das Potenzial für eine Art "Mission: Impossible"-Parodie gesehen. Und das mochte ich sehr. Bei "Winnetou" habe ich mich damals gefragt: Warum macht's denn keiner? Im Rahmen der "Bullyparade" konnte man natürlich sehr viel herumexperimentieren und sich immer die Rosinen herauspicken. Insofern stimmt das schon, was Sie sagen. Mal abgesehen von "Buddy", das war eine klassische romantische Komödie, die aber auch sehr persönlich ist. "Buddy" war das erste Drehbuch, das ich komplett allein geschrieben habe. Eine Originalgeschichte, die nicht auf irgendetwas basiert. Ich könnte keine Auftragsarbeiten annehmen und einfach einen Film herunterspulen. Dafür ist mir meine Zeit zu schade.

prisma: Bei "Ballon" gab es im Vorfeld etliche Probleme mit den Verfilmungsrechten. Die lagen seit den 1980er-Jahren bei Disney und verhinderten die Produktion. Wollen Sie das kurz erläutern?

Herbig: Nachdem ich das Vertrauen der beiden Familien hatte, ließ ich mir zur Sicherheit noch mal die damaligen Verträge zeigen. Die Strelzyks und Wetzels hatten die Rechte an ihrer Geschichte in den 1980ern verkauft. Als ich die damalige Vereinbarung gelesen habe, stand ich erst mal unter Schock. Meine Anwälte meinten dann: Wenn du den Film authentisch machen willst, dann brauchst du die Remake-Rechte. Völlig absurd! Natürlich hätte man auch Namen und Orte ändern können. Dadurch, dass es sich um ein historisches Ereignis handelt, wäre man damit vielleicht durchgekommen, aber mir war es einfach wichtig, dass wir so nah wie möglich an der Originalgeschichte dran sind. Und dann habe ich zwei oder drei Jahre lang versucht, an besagte Remakerechte heranzukommen und mir echt die Zähne daran ausgebissen. Wir haben es auf allen Wegen versucht – nichts hat geklappt!

prisma: Scheinbar hatten Sie aber selbst einen Buddy, einen Schutzengel, der ihnen weiterhelfen konnte?

Herbig: In der Tat! Irgendwann dachte ich mir: Ich unternehme einen letzten Versuch und fliege nach Los Angeles zu Roland Emmerich. Wir hatten uns ein paar Jahre zuvor kennengelernt. Man war sich sympathisch, aber wir waren jetzt keine dicken Freunde. Er war aber die letzte Idee, die ich noch in petto hatte. Und da war ich plötzlich bei ihm zu Hause und erzählte ihm von meinem Vorhaben. Nach zehn Minuten war ihm klar, wo ich hin will. Er erklärte, dass er zwar noch nie etwas mit Disney zu tun hatte, aber zwei Leute von früher kenne, die nun dort arbeiten. Und dann sagte er plötzlich: Die rufe ich mal an! Diesen Satz fand ich sensationell. Ich biss mir jahrelang die Zähne aus und dann sagt Roland Emmerich ganz salopp "Die rufe ich mal an"! (lacht) Eine Woche später hatte ich dann mein Meeting bei Disney, und irgendwann konnten wir uns auch vertraglich einigen. Ich bin Roland sehr dankbar. Ohne sein Zutun hätte ich den Film nicht in seiner jetzigen Form machen können.

prisma: Sie sind nach wie vor einer der bekanntesten und wichtigsten Medienmacher in Deutschland und müssen sich natürlich auch mit den neuen Gegebenheiten des Marktes anfreunden. Stichwort: Streamingboom. Geben Ihnen diese aktuellen Tendenzen mehr Möglichkeiten als Filmemacher? Schließlich ist "Bullyparade – Der Film" auch in Kooperation mit Amazon entstanden.

Herbig: Geschichtenerzähler haben durch die Streamingdienste nun noch mehr Optionen. Das Serienformat beinhaltet die Möglichkeit, breiter zu erzählen. Am Ende des Tages ist es aber Geschmackssache. Ich könnte mir im Moment gar nicht vorstellen, eine Serie zu drehen, weil mir das zu lange dauert. Man muss das mögen. Auch als Konsument. Ich habe dafür gar nicht die Zeit. Wer guckt denn das alles? (lacht) Die letzte Serie, die ich wirklich mit Leidenschaft angeschaut habe, war "24". Ich saß vor dem Fernseher und dachte mir: Wie machen die das bloß? Ich konnte nicht aufhören. Aber ich bin auch schnell an meine Grenzen gestoßen. Mich hat das angestrengt, weil ich gemerkt habe, dass ich ansonsten zu nichts mehr komme! Wobei das gar nicht der entscheidende Grund dafür ist, weswegen ich kein Serientyp bin ...

prisma: Sondern?

Herbig: Das mag old school klingen, aber ich bin ein leidenschaftlicher Kinofan: Ich liebe diese fette, große Leinwand, mit diesem fetten, geilen Sound! Klar kann man sich zu Hause ein kleines Heimkino einrichten. Aber in einem riesigen, dunklen Kinosaal zu sitzen, dazu mit diesem Gemeinschaftsgefühl – das hat einfach Eventcharakter. Deswegen glaube ich auch, dass das Kino immer ein Premiumprodukt bleiben wird. Ich glaube aber an eine friedliche Koexistenz der unterschiedlichen Medien. Das kann und wird sich gegenseitig kreativ beflügeln.

prisma: Netflix kauft immer wieder Filme "aus dem Kino weg". Auch solche, die für die große Leinwand prädestiniert scheinen. Stimmt Sie das traurig als Kinofan?

Herbig: Wenn du als Filmemacher die ganze Zeit das Gefühl hast, dass du einen Film fürs Kino machst, und dann sagt das Studio plötzlich, dass sie die Rechte an Netflix abtreten, dann ist das schon sehr bitter! Ich würde es sehr bedauern, wenn irgendwann nur noch die ganz großen Hollywoodproduktionen ihren Weg ins Kino finden. Wenn es nur noch um Sequels, Prequels, Marvel und "Star Wars" geht. Ich bin ein großer "Star Wars"-Fan, aber ich finde das Kino kann so viel mehr als nur das. Ich hoffe, dass irgendwann in den Köpfen ein Schalter umgelegt wird und sich die Leute auch wieder für andere Filme interessieren, die im Kino laufen.

prisma: In "Ballon" tritt keiner ihrer "Pappenheimer" auf – kein Rick Kavanian, kein Christian Tramitz. Es gibt keinen einzigen Gastauftritt. War das von vornherein so intendiert?

Herbig: Ja, denn das hätte keinen Sinn ergeben. Ich wurde hin und wieder gefragt, ob ich nicht überlegt hätte, selbst in "Ballon" mitzuspielen. Nicht eine Sekunde lang war das eine Überlegung! Ich wollte den Film nicht kaputt machen! Du gibst dir eine Riesenmühe, eine Welt oder ein Milieu glaubhaft darzustellen, die Leute in den Film hineinzusaugen: Und jetzt stellen Sie sich vor, da rennt plötzlich der Herbig durchs Bild – damit macht man doch alles kaputt! Da denkt sich der Zuschauer: Ach, da isser! (lacht) Ist also doch ein Bully-Film! Und dann wartet man auf die erste Pointe und wird sofort rausgerissen. Dieses Risiko wollte ich nicht eingehen. Das nimmt dem Film die Glaubwürdigkeit.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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