ARTE-Doku

"Libanon – Gefangen im Chaos": Pulverfass am Mittelmeer

von Andreas Schoettl

Vom "Juwel am Mittelmeer" zum Pulverfass. Der Libanon scheint gefangen in den Wirren des Nahostkonflikts, wie eine ARTE-Doku zeigt. Das liegt auch daran, dass jeder vierte Einwohner ein Geflüchteter ist.

ARTE
Libanon – Gefangen im Chaos
Dokumentation • 17.11.2020 • 20:15 Uhr

Der Libanon geriet erst kürzlich wieder weltweit in die Schlagzeilen. Im Hafen von Beirut kam es zu einer gewaltigen Katastrophe. Ein Feuer brachte 2.750 Tonnen Ammoniumnitrat zur Explosion. Der hochentzündbare Stoff war nur unzureichend in einer Halle gelagert worden. Die Kraft der Explosion zerstörte weite Teile des Hafens und richtete enorme Schäden in großen Teilen der libanesischen Hauptstadt an. Dabei wurden laut libanesischen Regierungsangaben mindestens 190 Menschen getötet und mehr als 6.500 verletzt.

Der Film "Libanon – Gefangen im Chaos" des israelischen Regisseurs Duki Dror ("Geheimes Israel – Der Mossad") porträtiert die leidvolle Geschichte des Landes. Im Rahmen eines Themenabends über den "Libanon" ist er nun bei ARTE zu sehen. Dabei bleibt die Explosion von Beirut nur die letzte von vielen Katastrophen, die in der jüngeren Vergangenheit das einstige "Juwel am Mittelmeer" heimgesucht haben. Dror setzt chronologisch an. Sein aufwendig recherchierter Film erzählt vom Ende des Ersten Weltkrieges und des französischen Kolonialismus. In den 1960er-Jahren lockt vor allem in Beirut ein pulsierendes Nachtleben zahlreiche Besucher an. Zwischen Casinos, Luxushotels und -restaurants sowie frivolen Etablissements ist zu jener Zeit kaum auszudenken, dass das Land alsbald im Chaos versinken wird.

Doch der durch die Gründung Israels aufkeimende und sich zuspitzende Nahostkonflikt beendet das Leben nach westlichen Standards jäh. Palästinensische Geflüchtete, unwürdig untergebracht in Camps im Süden des Landes, gewinnen mehr und mehr an Einfluss. Der Griff nach der Macht gipfelt 1975 in einem bis 1990 sehr lange anhaltendem Bürgerkrieg zwischen christlichen und palästinensischen wie libanesisch-muslimischen Milizen. Die blutigen Auseinandersetzungen forderten mindestens 90.000 Todesopfer, 115.000 Verletzte und 20.000 Vermisste.

Die Stärken in Drors Film liegen darin, dass er das Brennglas Libanon immer wieder verlässt. Er zeigt auf, wie auch der Kalte Krieg, der Terrorismus der 1970er-Jahre, auch der RAF in Deutschland, und die israelische Interventionspolitik immer wieder Einfluss auf den Libanon genommen haben. Zuletzt waren es Millionen an Flüchtlingen des Syrienkrieges, die das Land an den Rand seiner Handlungsfähigkeit gebracht haben. Wie es heißt, ist jeder vierte Einwohner Libanons ein Geflüchteter. So eröffnet Drors Blick in den Libanon ein Panorama der Weltpolitik und zugleich eines harten, oft gefährlichen und brutalen Alltags. Zu Wort kommen unter anderem ehemalige Vertraute des ehemaligen PLO-Führers Jassir Arafat, langjährige Kenner des Landes wie der Journalist und Pulitzerpreisträger Tom Friedmann, Mitglieder aus Geheimdienstkreisen sowie Amine Gemayel. Der ehemalige libanesische Staatspräsident (1982 – 1988) sagt über sein Land: "Der Libanon ist ein Mosaik. Ein Mosaik aus Parteien, Volksgruppen, Ethnien. Das ist die Schwäche des Libanon und zugleich seine Stärke."

Im Anschluss an die Dokumentation bleibt ARTE im Nahen Osten. Ab 21.45 Uhr folgt der Film: "Libanon: Krisenstaat am Abgrund". Darin zeigt auch die franco-libanesische Regisseurin Amal Mogaizel das Bild eines gespaltenen Landes. Zeitzeugen wie der Schriftsteller Amin Maalouf und der ehemalige Außenminister Nassif geben Einblicke in die bewegte Vergangenheit des Libanon, der seit seiner Gründung vor 100 Jahren immer wieder von schweren Krisen erschüttert wurde.

Libanon – Gefangen im Chaos – Di. 17.11. – ARTE: 20.15 Uhr


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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