Musikerin im Interview

Norah Jones: "Die sozialen Medien haben die USA zu einem schlechteren Ort gemacht"

von Eric Leimann

Normalerweise ist die Jazzpianistin und Sängerin Norah Jones eine äußerst zurückhaltende, ja scheue Person. Die aktuellen Schreckensbilder ihrer Heimat veranlassen die New Yorkerin alerdings dazu, darüber zu reden, was in Amerika falsch läuft. Ein düster-elegantes neues Album passt dazu.

Das ehemalige Jazzpop-Wondergirl Norah Jones (50 Millionen verkaufte Alben) ist mittlerweile 41 Jahre alt, Mutter von zwei kleinen Söhnen und musikalisch auf ziemlich düsteren Pfaden unterwegs. Ihr neues Album "Pick Me Up Off The Floor", das am 12. Juni erscheint, könnte man als direkten Kommentar zur Corona-Pandemie in den USA und den gewaltsamen Unruhen einer zerfallenden Gesellschaft lesen. Tatsächlich wurde das Werk bereits im Januar 2020, einige Wochen vor dem Lockdown, fertiggestellt.

Im Interview spricht die New Yorkerin – sie verbrachte die letzten Wochen zu Hause in ihrer gebeutelten Stadt – über die Gründe, warum es Amerika derzeit so schlecht geht. Auch für die Zukunft der Musikkultur sieht die in Interviews sonst eher zurückhaltende Künstlerin überraschend klar formulierte Probleme.

prisma: Sie veröffentlichen Ihr Album wegen der Corona-Pandemie einen Monat später als geplant. Viele andere Künstler warten damit, bis man vielleicht wieder touren kann und das Leben wieder "normaler" ist ...

Norah Jones: Nein, das dauerte mir zu lang. Wer weiß schon, wann wir Musiker wieder "live" und vor Publikum spielen dürfen. Andererseits ist gute Musik eine Hilfe für Menschen, die zu Hause sitzen. Ein Album zu veröffentlichen, ist auf jeden Fall nicht gefährlich oder ansteckend (lacht).

prisma: Ist Ihre Musik zeitlos – und andere ist es vielleicht nicht?

Norah Jones: Songs sind immer Ausdruck einer Zeit mit ihrer entsprechenden Gefühlslage. Andererseits ist Lyrik in der Regel nicht so sehr von sehr aktuellen Themen abhängig, wie vielleicht Filme oder Bücher. Trotzdem wollte ich dieses Album jetzt veröffentlichen. Ich habe die Songs geschrieben – dann sollen sie auch hinaus in die Welt. Es ist letztlich eine emotionale Entscheidung, ob man veröffentlichen will. Wer weiß, vielleicht werden wir erst in einem Jahr oder später wieder vor Publikum spielen können.

prisma: Das Album klingt streckenweise sehr düster, wenn auch elegant. Es steckt sehr viel bitterer Blues darin. Haben Sie es während der Pandemie aufgenommen?

Norah Jones: Nein, die Songs sind über die letzten Jahre entstanden. Im Januar haben wir es dann zu Ende produziert. Das war kurz, bevor Corona über uns kam.

prisma: Der düstere Touch hat also nichts mit der bitteren Gegenwart der USA und den vielen Katastrophen zu tun, die das Land gerade heimsucht?

Norah Jones: Nein, nicht konkret. Das Album beschreibt, wie ich mich gerade fühle, deshalb kommt es zu rechten Zeit. Auch, weil es zu dieser Zeit passt. Vielleicht will es ja auch keiner mehr hören, wenn die Dinge alle wieder wie früher sind (lacht).

prisma: Worum geht es auf "Pick Me Up Off The Floor"?

Norah Jones: Um das Bedürfnis von uns Menschen, echten Kontakt zu den anderen herzustellen. Auch darum, dass dieser Wunsch oft tragisch scheitert. Ja, ich würde sagen, dies ist das gemeinsame Thema der meisten Songs auf diesem Album. Es geht definitiv darum, wie es ist, ein Mensch zu sein.

prisma: Sie haben davor ein sehr jazziges Album aufgenommen. Nun geht Ihre Musik mehr in Richtung düsterer Folk und Blues. Wie entscheiden Sie, welcher Sound der richtige für ein Album ist?

Norah Jones: Ich mache mir dazu kein Konzept. Die Songs entstehen, und dann klingen sie irgendwie. Dieses Album ist fast komplett alleine am Klavier entstanden. Alle anderen Instrumente kamen später dazu.

prisma: Sie haben mit dem bekannten Songwriter Jeff Tweedy von Wilco kollaboriert. Wie kam es dazu?

Norah Jones: Ich habe ihn einfach angerufen und ihn gefragt, ob wir eine Single zusammen aufnehmen wollen. Letztendlich war unsere Session so gut, dass wie vier Songs einspielten. Zwei sind schon auf einer EP erschienen, die anderen beiden befinden sich nun auf diesem Album. Ich finde, ihr Geist passt gut zu dem Rest der Platte.

prisma: Sie kommen vom Jazz, einer Art von Musik, die man gemeinsam in einem Raum spielt. Wie sehr schmerzt es, dass Jam-Sessions derzeit nur schwer möglich sind?

Norah Jones: Ja, das ist ein Problem. Meine Alben entstehen meistens so, dass Musiker gemeinsam in einem Raum spielen. Selbst beim Album mit dem Produzenten Danger Mouse ("Little Broken Hearts" von 2011, Anm. d. Red.) war es so, dass wir gemeinsam spielten, die Parts dann zerschnitten und neu zusammengesetzt wurden. Dieses Album ist nun ganz wieder klassisch aufgenommen worden. Alle Musiker spielten die Songs gemeinsam.

prisma: Wann wird man wieder Alben auf diese Art aufnehmen können?

Norah Jones: Ich weiß es nicht. Die Situation ist verdammt frustrierend für mich und viele andere Musiker. Mit anderen Musikern zu spielen, ist das Schönste an unserem Beruf. Deshalb haben wir ihn gewählt. Ich vermisse das Zusammenspiel sehr. Natürlich kann man "offline" zusammen an Musik arbeiten. Die besondere Spontanität, der Zauber, der entsteht, wenn wir zusammen in einem Raum spielen, kann aber nicht auf anderem Weg produziert werden. Ich bin mir sicher, dass sich der genannte Zauber auf den Hörer überträgt. Man hört die gemeinsame Kreativität im Raum, auch wenn man die Musik später auf seinem Kopfhörer oder über Lautsprechern hört. Diese Erfahrung wird erst einmal fehlen.

prisma: Sie leben in New York, das nicht nur besonders hart von der Pandemie getroffen wurde, sondern vor Corona auch eine große und florierende Live-Musikszene hatte. Liegt das nun alles brach?

Norah Jones: Derzeit ist es unmöglich, zusammen "live" Musik zu machen. Übers Internet geht es nicht, weil das Signal des anderen zeitlich verzögert ankommt. "Realtime"-Musik übers Internet ist unmöglich. Für die Jazz-Szene und anderen Musikrichtungen, bei denen es aufs Zusammenspiel ankommt, ist das ein ziemlicher Schlag. Ich habe keine Ahnung, wie lange dieser Zustand andauern wird. Natürlich werden Musiker weiterhin kreativ sein. Kunst wird nicht wegen Corona aufhören. Trotzdem wird sie sich durch die neue Art unseres Zusammenlebens stark verändern.

prisma: Wie haben Sie die letzten zwei, drei Monate verbracht? Zu Hause in New York mit Ihren kleinen Söhnen?

Norah Jones: Ja, genau so. Ich habe versucht, ein paar musikalische Dinge übers Internet zu machen: Webcasts, Gespräche und so weiter. Meine Hauptbeschäftigung bestand allerdings aus Kochen und dem Ausdenken von Beschäftigungen für meine Kinder. Es war nicht immer einfach ... (lacht).

prisma: Litten Sie unter Lagerkoller oder konnten Sie aus der Lockdown-Zeit auch etwas Positives mitnehmen?

Norah Jones: Ich denke, die meisten Menschen auf der Welt haben mit beiden Aspekten ihre Erfahrungen gemacht. Jeder Mensch ist anders – und reagiert anders auf ähnliche Herausforderungen, auch wenn wir alle unter dem gleichen Virus zu leiden haben. Natürlich ist es entscheidend, wie die eigenen Lebensumstände aussehen. Mir geht es gut, ich habe die Zeit mit meinen Kindern genossen. Sie hat mich aber auch nachdenklich und demütig gemacht. Ich weiß, dass es den meisten Menschen auf der Welt sehr viel schlechter geht als mir.

prisma: Ist es schwer, die intensive Zeit mit der Familie zu genießen, wenn man die Nachrichten der Außenwelt nicht ignoriert?

Norah Jones: Man genießt die Nähe und Intensität des Lebens mit den Kindern zu Hause, aber man darf nicht den Fernseher einschalten oder Nachrichten im Internet anschauen. Dann wird man sehr schnell daran erinnert, dass die Menschen da draußen sterben wie die Fliegen. Auch daran, dass die Frage, ob man stirbt oder überlebt, sehr davon abhängig ist, zu welcher Bevölkerungsgruppe man gehört.

prisma: Sind Sie schockiert darüber, wie intensiv die Pandemie ausgerechnet Ihr Land und Ihre Stadt getroffen hat?

Norah Jones: Ich bin nicht überrascht davon, dass es so gekommen ist. Es entwickelt sich seit längerer Zeit in diese Richtung – gerade, wenn man sich die wirtschaftliche Entwicklung ansieht. Ja, es ist schockierend. Aber man konnte voraussagen, dass es so kommen wird. Viele Menschen in den USA leben seit langem sehr prekär. Sie hangeln sich von Job zu Job. Nun sind viele von ihnen arbeitslos. Die Amerikaner leiden Hunger.

prisma: Wie konnte das passieren?

Norah Jones: Ich möchte nicht sagen, dass die USA komplett führungslos sind, aber wir haben derzeit definitiv keine besonders starke Führung.

prisma: Die USA der Gegenwart wurden – schon vor Corona – als in sich zerrissenes Land beschrieben. Ist das auch Ihre Wahrnehmung?

Norah Jones: Ja und nein. Einerseits sind wir ein geteiltes Land, weil viele Dinge sich in eine schlechte Richtung entwickelt haben. Die Gesellschaft wurde umrangiert, sie hat sich verändert. Viele Leute sind wütend. Amerika wurde verpfuscht und was das Schlimme ist – es müsste nicht so sein. Die Medien, speziell die sozialen Medien, haben die USA zu einem schlechteren Ort gemacht. Es ist die Art, wie ein Land geführt wird, die für eine bestimmte Grundstimmung in diesem Land sorgt.

prisma: Was gibt Ihnen Hoffnung?

Norah Jones: Viele Dinge. Die Menschen sind gut. Man kann unterschiedlicher Meinung sein, aber man darf den anderen nicht hassen, sondern muss ihn respektieren. Es kommt darauf an, dass wir zu diesem menschlichen Prinzip eines guten Zusammenlebens zurückfinden. In jedem Einzelnen ist dieser Wunsch angelegt. Kein Mensch ist grundböse. Trotzdem weiß auch ich nicht, wie wir wieder in die Spur zurückfinden sollen.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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