Salvador Sobral im Interview

"Menschen belagerten das Krankenhaus und kamen in mein Zimmer"

von Katja Schwemmers

Der sensationelle ESC-Sieg 2017, dann eine dramatische Krankheitsgeschichte: Der portugiesische Sänger Salvador Sobral erlebte in jüngster Vergangenheit viele Höhen und Tiefen. Im Interview erzählt er davon – und demonstriert einen ausgeprägten Hang zur Provokation.

Mit dem Song "Amar Pelos Dois", geschrieben von seiner Schwester Luísa, traf Salvador Sobral Europa mitten ins Herz: Mit der zärtlichen Nummer gewann der portugiesische Sänger den Eurovision Song Contest 2017 – es war für das kleine Land der erste Sieg bei dem traditionsreichen Wettbewerb. Doch Licht und Schatten liegen manchmal eng beieinander: Wenige Monate später hing Sobrals Leben am seidenen Faden, da sein Herz schwächelte. Ein Spenderorgan wurde gesucht und gefunden. Heute geht es ihm wieder gut. Mit "Paris, Lisboa" veröffentlichte der 29-Jährige gerade sein zweites Album, in Kürze startet die dazugehörige Tour. Beim Gespräch in Hamburg strahlt Salvador Sobral übers ganze Gesicht, als er von seinen Hippie-Eltern, seinen Anfängen in kleinen Jazz-Clubs, seiner Liebe für Filme von Wim Wenders erzählt. Nur die schwierige Zeit im Krankenhaus weckt düstere Erinnerungen.

prisma: Herr Sobral, mit "Amar Pelos Dois" gewannen Sie beim ESC 2017 ebenso überraschend wie deutlich. Wie erinnern Sie diesen Triumph heute?

Salvador Sobral: Alles daran war sonderbar. Ich hatte ja einfach nur gesungen – so wie ich es mein ganzes Leben lang getan habe! Als ich dann dort saß und immer wieder "twelve points" eintrudelten, war ich wie betäubt. Du denkst nichts, du fühlst nichts. Da war einfach nur ein langer Piepton in meinem Kopf. Als der Moderator dann verkündete, dass ich gewonnen habe, dachte ich nur: Oh, ich muss noch einmal auftreten? Okay, aber wie schaffe ich es ein zweites Mal die Treppen hoch zur Bühne?

prisma: Sie waren damals schon schwer herzkrank.

Sobral: Ja, weshalb meine Schwester die erste Woche der Proben für mich übernommen hatte. Denn die Ärzte sagten mir: "Wenn Sie daran teilnehmen, können Sie nicht mehr als eine Woche durchhalten." Beim Eurovision Song Contest probst du aber eigentlich zwei Wochen lang für einen dreiminütigen Auftritt. Das ist schon verrückt. Ich komme ja aus dem Jazz – wir proben nie! Ich fand es schon nach ein paar Tagen sehr ermüdend. Aber ich bin dankbar für den Sieg.

prisma: Waren Sie nach dem Sieg ein Nationalheld in Portugal?

Sobral: (lacht) Ja, für eine Weile. Bis die Leute kapierten, dass ich doch eher zum Anti-Helden tauge.

prisma: Wie meinen Sie das?

Sobral: Weil ich immer sage, was ich denke. Aus Angst, etwas Falsches zu sagen, verbiegen sich Künstler gerne mal. Ich sollte das vielleicht besser auch so machen, denn mir wird alles Gesagte immer wieder um die Ohren gehauen. Manchmal komme ich nach einem Interview nach Hause und denke: Mist, das hätte ich besser für mich behalten. Und ich leide darunter, wenn bestimmte Dinge geschrieben werden, weil Leute meinen Humor nicht verstehen und etwas falsch interpretieren. Deswegen bin ich inzwischen ein bisschen vorsichtiger geworden.

prisma: Aber auf den Straße von Lissabon sind Ihnen trotzdem die Menschen hinterhergerannt?

Sobral: Ja, das war anfangs heftig. Vor dem ESC spielte ich Gigs in Bars, und es kamen vielleicht 50 Leute. Und dann warten plötzlich Hunderttausende auf dich am Flughafen – von heute auf morgen. Ich war wie gesagt sehr krank und ständig müde. Ich erlebte schnell die Schattenseiten des Ruhms. Überall wurde geschrieben: "Er wird sterben, weil er kein Spenderherz findet." Menschen belagerten das Krankenhaus und kamen sogar in das Zimmer, in dem ich lag.

prisma: Im Ernst?

Sobral: Ja! Es standen plötzlich Leute neben meinem Krankenbett, die fragten: "Salvador, können wir ein Foto machen?" Das ist in den sechs Monaten, die ich im Krankenhaus lag, zwei- oder dreimal vorgekommen.

prisma: Wie lange mussten Sie auf ein Spenderherz warten?

Sobral: Ich war ja schon auf der Warteliste, bevor ich ins Krankenhaus kam. Es war sehr heikel. Die meisten Leute, die für ein Herz auf der Warteliste stehen, haben ein Problem mit der linken Herzkammer, die noch lebenswichtiger ist als die rechte. Ich war einer der wenigen, die ein Problem mit der rechten Herzkammer haben. Das ließ mich in der Liste nach unten rutschen, denn viele Leute können damit auch ohne Spenderherz weiterleben. Doch bei mir verschlechterte sich der Zustand rapide und wurde lebensbedrohlich. Ich absolvierte dann Tests, um zu zeigen, dass ich ganz nach oben auf die Liste gehöre. Insgesamt wartete ich knapp zwei Jahre auf das neue Herz.

prisma: In Deutschland sterben jährlich 2.000 Menschen, weil sie kein Spenderorgan finden. Zuletzt gab es einen vieldiskutierten Gesetzentwurf, wonach Menschen automatisch zu Spendern werden sollen, wenn sie es nicht ausdrücklich ablehnen – bislang sind sie es nur, wenn sie einen entsprechenden Ausweis besitzen.

Sobral: Ja, davon hörte ich. In Portugal ist man von Geburt an automatisch ein Organspender. Und in Spanien auch. Ihr müsst das Prozedere bei euch dringend ändern! Die meisten Leute vergessen, Organspender zu werden. Es ist nicht ihre Schuld – das Gesetz muss einfach eine Grundlage dafür schaffen. Ich finde, jeder sollte Organspender sein!

prisma: Hatten Sie Angst vor der Operation?

Sobral: Nein, das war wie beim ESC: ein einziges Piepen im Kopf! (lacht) Es ist das gleiche Gefühl, man ist benommen – eine Art Schutzmechanismus des Körpers.

prisma: In der portugiesischen Kultur spielt der Fado eine tragende Rolle. Gibt es Einflüsse dieses Musikstils auf Ihrem neuen Album?

Sobral: Wenn ich Musik mache, spült das alle meine Einflüsse hinaus. Fado ist natürlich einer davon. Fado ist meine Kultur. Diese Melancholie des Fado, die keine Übersetzung braucht, ist in mir. Mit António Zambujo habe ich einen prominenten Fado-Sänger mit auf der Platte. Unser gemeinsame Song "Mano a Mano" hat ein sehr portugiesisches Gefühl. Auch mein Pianist Julio, der eigentlich ein Jazz-Pianist ist, hat unglaublich viel Fado in seiner Seele. Diese Musik fand also indirekt den Weg auf die Platte, weil sie sowieso immer präsent ist.

prisma: Stimmt es, dass Sie einer Adelsfamilie entstammen?

Sobral: Ja, meine Familie gehört zur portugiesischen Aristokratie. Aber ich hatte Glück, denn meine Eltern gehören eher zur Hippie-Seite der Aristokratie (lacht). Mein Vater zieht sich und manchmal auch meine Mutter heute noch total verrückt an. Meine Eltern waren immer sehr offen. Das war cool.

prisma: Wie drückte sich das aus?

Sobral: Sie wollten immer, dass meine Schwester Luísa und ich das machen, was wir machen wollen. Und ich bin sehr dankbar, denn mein Vater liebt Kunst, Malerei, Filme und besonders leidenschaftlich die Musik. Er öffnete unsere Seelen dafür. Er erzählte uns immer von den Gefühlen und Ideen hinter der Kunst. Aber es war nie ein Zwang dabei. Deshalb liebe ich Musik so sehr: weil nichts erzwungen wurde.

prisma: Wie stolz ist Ihr Vater auf Sie?

Sobral: Wahnsinnig stolz. Aber das war er schon, als ich ein kleiner Junge war. Da sagte er immer: "Du bist der beste Sänger der Welt." Er sagt das heute noch. Nach dem Sieg beim Eurovision Song Contest fragte er: "Glaubst du mir nun endlich?"

prisma: Und, glauben Sie ihm?

Sobral: Natürlich nicht! Ich bin eigentlich nie zufrieden nach einem Konzert. Typisch Künstler eben.

prisma: Der Titel Ihres neuen Albums, "Paris, Lisboa" – ist das eine bewusste Anspielung auf den Wim-Wenders-Film "Paris, Texas" von 1984?

Sobral: Meine Frau kommt aus Paris. Ich war oft dort, während ich an dem Album arbeitete. Und dann sagte ich mir, wenn ich ohnehin die beiden Städte Paris und Lissabon im Titel des Albums unterbringen will, warum nicht gekoppelt an meinen absoluten Lieblingsfilm? Stilistisch hat meine Musik zwar nichts mit der von Ry Cooder zu tun, der die Musik für besagten Film von Wim Wenders schrieb. Aber der Film hat starke Farben. Wenn ich nur halb so viele Farben auf meinem Album habe wie Wenders in seinen Filmen, bin ich happy.

prisma: Bald findet der nächste ESC statt, diesmal in Israel, und kürzlich wurde bekannt, dass Madonna einen Gastauftritt haben wird. Was halten Sie davon?

Sobral: Madonna geht wahrhaftig nach Palästina und performt in Tel Aviv – das ist mal eine Nachricht! Madonna ist großartig – immer noch. Wenn ich sie wäre, würde ich ein T-Shirt mit der Aufschrift "Free Palestine" tragen. Und da war sie wieder, meine rebellische Seite ... (lacht)

Salvador Sobral auf Tour:

23.04. Essen, Lichtburg Essen

24.04. Frankfurt, Batschkapp

25.04. Hamburg, Elbphilharmonie

27.04. Berlin, Heimathafen Neukölln

28.04. Nürnberg, Kleine Meistersingerhalle Nürnberg

30.04. Stuttgart, Liederhalle Mozartsaal

01.05. Zürich, Kaufleuten (CH)


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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