Samy Deluxe

"Oft wollen die Medien nur deine Opferstory hören"

von Maximilian Haase

Rap-Veteran Samy Deluxe über sein Akustik-Set "SaMTV Unplugged", seine Rolle als Deutschlands coolster Sozialarbeiter und das Leben im HipHop jenseits der 40.

Das Älterwerden ist auch im deutschen HipHop seit einigen Jahren ein Thema. Kein Wunder, übten sich doch die ersten Protagonisten hiesiger Rap-Musik schon vor über 25 Jahren im Reimen und Battlen. Samy Deluxe, der 2000 sein Album-Debüt feierte (mit Dynamite Deluxe) und für viele noch immer als "Deutschlands bester MC" gilt, ist inzwischen 40 – die Haare angegraut, der Habitus noch lässiger als zu besten "Grüne Brille"-Zeiten.

Zeit also für eine Art Rekapitulation: Anfang des Jahres nahm der Hamburger Rapper ein im Titel angemessen angepasstes "SaMTV Unplugged" auf – standesgemäß auf einem Schiff im Hafen der Hansestadt. Am 31.8. erscheint das akustische Live-Set, das hierzulande noch immer als Ausweis für die Größe eines Künstlers gilt. Wie es dazu kam, warum er keine Lust auf Opferrolle hat und weshalb er einmal "Deutschlands coolster Sozialarbeiter" war, verrät Samy Deluxe im Gespräch.

prisma: Im vergangenen Jahr sind Sie 40 geworden. Hat diese Marke irgendetwas an Ihrem Blick auf die Welt geändert?

Samy Deluxe: Das nicht. Aber die Zeit geht wirklich von Jahr zu Jahr schneller vorbei. Auch, weil ich natürlich immer mehr Dinge mache. Jedes Jahr mehr Projekte, mehr Baustellen. Zum anderen stelle ich mir jetzt mit 40 schon elementarere Fragen.

prisma: Inwiefern?

Deluxe: Mein Leben war immer sehr projektorientiert. Was ich mache, bestimmt mein Leben und Umfeld. Da ist das Privatleben oft Beiprodukt. In letzter Zeit frage ich mich: Wie will ich eigentlich leben? Unabhängig vom Künstlerleben – man will das ja nicht mehr die ganze Zeit.

prisma: Gab es schon Phasen, in denen Sie über ein Karriereende nachdachten?

Deluxe: Früher gab es das mehr als heute. Das hat jeder Künstler: Es gibt euphorische Selbstfeier-Momente, doch je höher man fliegt, desto tiefer kann man fallen. Da gibt es Tage, an denen man neue Songs hört und denkt: Was, wenn ich nie wieder so etwas Geiles mache wie früher? Bei mir überwiegen aber die anderen Momente. Wenn ich mich gerade nicht danach fühle, als Rapper Musik zu machen, produziere ich eben. Rapper bin ich, sobald die Mission da ist. Das ist nicht mehr wie früher.

prisma: Schreiben Sie Ihre Texte anders als vor 15 Jahren?

Deluxe: Naja, ich schreibe heute digital. Beim Schreiben per Hand konnte man nicht so schnell Dinge abändern und verschieben. Zudem gibt es inzwischen eine Routine. Nicht nur dafür, was ich sagen will, sondern auch für Wortwahl, Gefühl und Songstruktur.

prisma: Bereits mit 30 sahen Sie sich in der Verantwortung gegenüber Ihren jüngeren Fans. Sind Sie heute mehr denn je eine Vaterfigur des deutschen HipHop?

Deluxe: Ja, schon. Mit 30 dachte ich, ich muss diverse Facetten von mir ablegen, spielte etwa "Grüne Brille" nicht mehr live. Ich glaubte, eine Art Selbstzensur führe zu einer schöneren Strahlkraft des Vorbildes. Dann ging ich an die Schulen, schrieb ein Buch, drehte TV-Formate, um über das ganze Herkunfts-Thema zu sprechen. Irgendwann fiel mir auf, dass ich auch in Interviews darauf reduziert werde. Plötzlich war ich in der Wahrnehmung nicht mehr Deutschlands bester Rapper, sondern Deutschlands coolster Sozialarbeiter.

prisma: Wie ist das heute?

Deluxe: Ich weiß heute, welche positiven Eigenschaften ich habe, um die Vorbildfunktion erfüllen zu können. Aber ich glaube, eine einzelne Person sollte nur in Facetten inspirieren. Man darf nicht jemanden anhimmeln und alles, was derjenige macht, auf sich übertragen. Wenn ich sage, ich rauche Weed, scheint das ja für mich zu funktionieren. Ich habe ja trotzdem seit 20 Jahren eine erfolgreiche Karriere. Andere fangen in der siebten Klasse an zu rauchen, werden verpeilte Kiffer, fliegen dann von der Schule und haben danach nie wieder einen Job.

prisma: Ein weiteres Ihrer großen Themen, die Sie schon früh ansprachen, war Rassismus. Hatten Sie durch die Ereignisse der letzten drei Jahre verstärkt das Gefühl, sich dazu äußern zu müssen?

Deluxe: Wenn ich mich dazu äußere in einem Song, dann muss ein Twist dabei sein. Ich schaue nicht die Nachrichten und denke: "Oh mein Gott, die AfD hat so viele Stimmen, dazu muss ich jetzt was machen!"

prisma: Überrascht hat Sie der Rechtsruck wohl ohnehin nicht ...

Deluxe: Genau. Ich bin so aufgewachsen, als Mensch mit Migrationshintergrund. Wenn du für die Mehrheit jeden Tag Außenseiter bist, dann ist Rassismus kein Trendthema, das von Mainstreammedien diktiert wird, sondern eine Realität, mit der du jeden Tag umgehst. All diese Erfahrungen, seit dem ersten Tag, den ich hier lebe, kommen zu bestimmten Zeitpunkten heraus. Etwa der Song "MiMiMi": So nennen die uns in Behörden, Mitbürger mit Migrationshintergrund (lacht). Das mit Humor zu nehmen, ist wichtig – denn oft wollen auch die Medien nur deine Opferstory hören.

prisma: Was meinen Sie damit?

Deluxe: Oft erzähle ich in Interviews oder Talkshows nur davon, wie es war, Opfer zu sein. Dabei habe ich dadurch ja auch die perfekte Ausbildung zum Individualisten bekommen. Deshalb bin ich ja auch mega-dankbar dafür, wer ich bin und wie ich aussehe. Manchmal ist es schade, dass gerade liberale Leute einen auf das Opfer reduzieren, ohne auf den Fortschritt in Deutschland zu schauen.

prisma: Als Sie in Hamburg mit Rappen anfingen, war die Szene dort sehr politisiert. Heute hat sich das im HipHop gewandelt. Finden Sie das problematisch?

Deluxe: Die neue Generation ist mit anderen Sachen aufgewachsen, das ist normal. Bei uns waren eben Public Enemy und KRS One im Mittelpunkt, die nicht das Gangsta-Ding, sondern aufklärende Texte in den Vordergrund rückten. Über die bezog ich auch einen Großteil meines Wissens über schwarze Kultur in Amerika. Heute reicht es eigentlich, mit fünf Worten einen Hit zu machen – dem kann ich musikalisch mehr abgewinnen als textlich. Auch wenn es natürlich immer noch viele intelligente Rapper gibt, die was zu sagen haben.

prisma: Warum ist Rap heute weniger subversiv?

Deluxe: Das ist eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung. Damals herrschte mehr Protest im Volk – nicht nur Instagram-Hashtags. Leute sind mehr auf die Straße gegangen, wurden von ihren Elternhäusern mehr auf diese Weise geprägt. Man findet es heute zwar schrecklich, wenn Leute im Mittelmeer allein gelassen werden – das wird aber heute alles in einem Post abgehakt. Deshalb würde ich mich im Internet nie zu diesen Dingen äußern, wenn andere das schon zu einem verwässerten Trend gemacht haben.

prisma: Ist das im HipHop genauso?

Deluxe: Es gibt hart Verblendetes: Etwa wenn Leute in Kollegahs Sneakerladen gehen, nur Fotos mit Schuhen machen und die dann auf Instagram stellen. Ich glaube eben, dass echte Sachen echte Resonanz haben und Fake-Sachen nicht. Aber ich glaube auch an Lernprozesse der Menschheit. Dass echtes Talent, echte Leidenschaft, echtes Wissen den Hype überlebt. Lange Karrieren sind am Ende die Definition von "keep it real".

prisma: Ihre Rapkarriere währt nun auch schon 20 Jahre. Ist die Teilnahme am "MTV Unplugged"-Projekt auch so eine Art Rekapitulation Ihres Gesamtwerkes?

Deluxe: Ja, bis dato eben. Aber danach kommt jetzt nicht der Ruhestand oder so. Meine Generation damals hat sehr von MTV und VIVA profitiert. Das war eine geile Plattform mit coolen Formaten. Auch wenn das Musikfernsehen dann den Bach runter ging: Die Marke "Unplugged" wurde gerade in Deutschland am Leben gehalten, mit hochkarätigen Künstlern. Aus dem Urban-Genre bisher aber weniger. Da habe ich dann proaktiv angefragt, ob die mich noch kennen – und die fanden die Idee gut.

prisma: Wie wählt man denn nach so vielen Alben die richtigen Songs für die Session aus?

Deluxe: Ich habe mich einfach beim Streamingdienst durch meine Diskografie geklickt. Daraus erstellte ich eine Liste, die sich letztlich gut fügte. Zwischendurch fielen mir immer wieder Songs ein, die ich unbedingt mit reinnehmen wollte. Das wurde dann auch schnell die Setliste für das Konzert und die Trackliste für das Album.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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