Stefan Effenberg im Interview

"Distanz zwischen DFB, Mannschaft und Fankultur wird immer tiefer"

von Kai-Oliver Derks

Vor dem Liga-Gipfel: SPORT1-Experte Stefan Effenberg über die Probleme des deutschen Fußballs, die Karriere bei den Bayern und die zunehmende Distanz von Star und Fan.

Stefan Effenberg, 50 Jahre. Champions-League-Sieger 2001, Weltpokalsieger 2001, Deutscher Meister 1999, 2000 und 2001, zweimal DFB-Pokalsieger, 35 Länderspiele. Eine Trainerstation bisher 2015 in Paderborn. Drei Kinder, in zweiter Ehe verheiratet mit Ehefrau Claudia, lebt in München. So weit die Fakten. Tatsächlich aber gehört "Effe" zu den populärsten deutschen Fußballern der jüngeren Vergangenheit. Und zu den polarisierendsten. Wen man auch fragt, Fan oder Nicht-Fan, eine Meinung haben sie alle zu ihm. Die Fans, vorrangig die des FC Bayern und von Borussia Mönchengladbach, erinnern sich an einen der besten Mittelfeldspieler in der Geschichte. Andere zitieren Geschichten aus dem Boulevard und zimmern sich daraus ihr Bild. Seit Anfang der Saison ist Stefan Effenberg als Experte für SPORT1 aktiv. Regelmäßig sitzt er im "CHECK24 Doppelpass" am Sonntagmorgen und spricht Klartext. So wird es auch am kommenden Sonntag, 7. April, um 11.00 Uhr, wenn sich natürlich alles um das Topspiel vom Samstag dreht: Bayern gegen Dortmund ...

prisma: Sie wurden 1968 in Hamburg geboren. Welches Trikot trugen Sie als Kind?

Effenberg: Tatsächlich ein Trikot des FC Bayern München. Aber ich hatte auch immer eine große Sympathie für Mönchengladbach.

prisma: In den 70er-Jahren waren das die großen Rivalen.

Effenberg: Stimmt. Aber für mich spielte das keine Rolle. Ich mochte beide. Weil ich den Fußball mochte, den sie spielten.

prisma: Sie selbst waren zweimal beim FC Bayern. Darunter auch in der großen Zeit zwischen 1998 und 2002.

Stefan Effenberg: Ich kam mit Trainer Ottmar Hitzfeld zum FC Bayern. Es gab ein klares Ziel damals: Wir wollten die Champions League gewinnen.

prisma: Sie standen bei zwei der wichtigsten Spiele des FC Bayern in der jüngeren Vergangenheit auf dem Platz: bei der 1:2-Niederlage in letzter Minute im legendären Champions League Finale 1999. Und zwei Jahre später beim ersten Champions-League-Sieg nach 25 Jahren ...

Effenberg. Die Niederlage 1999 gegen Manchester war bitter. Aber wir wussten als Team, dass wir noch Zeit hatten. Wobei: Bei mir selbst war das gar nicht mehr so viel.

prisma: Sie waren schon über 30 ...

Effenberg: Ich gebe zu, da war Druck drauf. Auf mir und der Mannschaft. Die Champions League 2001, das war ein großer Moment. Erst mit der Zeit wurde mir bewusst, was das für den Verein und die Fans wirklich bedeutete. Übrigens war das Budget, das investiert wurde, damals eigentlich überschaubar. Linke, Jeremies, meine Wenigkeit – die Ausgaben waren nicht riesig. Aber es ist eine echte Truppe herausgekommen.

prisma: Sie siegten im Finale gegen Valencia im Elfmeterschießen. Wäre das Champions League Finale 2001 auch gut für Sie ausgegangen, hätte es vier Tage davor nicht das legendäre Last-Minute-Finale in Hamburg gegeben? Als Schalke vier Minuten Deutscher Meister war und Patrick Andersson für Bayern zeitgleich den indirekten Freistoß verwandelte ...

Effenberg: Franz Beckenbauer hat einmal gesagt, es wäre so nicht gekommen. Ich glaube: Es wäre trotzdem so gekommen. Auch wenn wir diese verrückte Meisterschaft in Hamburg nicht gewonnen hätten, wäre es uns, glaube ich, gelungen, den Fokus sofort auf das Champions-League-Finale zu legen. Wir waren damals einfach ein großartiges Team mit einem fantastischen Zusammenhalt.

prisma: Stimmt es, dass Oliver Kahn eigentlich den Freistoß in Hamburg schießen wollte?

Effenberg: Jaja, er kam mit nach vorne und wollte irgendwie Unruhe stiften. Er sagte: "Ich schieß ..." Und ich: "Nein, das wird so nicht funktionieren." Die Entscheidung lag damals bei mir. Es war einfach kein technischer Schuss gefragt, es ging um Kraft. Also ließ ich Patrick ran. Und er hat ihn nicht mal richtig getroffen. Es war einfach alles sehr verrückt damals.

prisma: Sie galten in jener Zeit als verlängerter Arm des Trainers auf dem Platz. Bis heute verbindet man den Namen Effenberg mit Leaderqualitäten. In einem Interview haben Sie neulich jedoch festgestellt, dass es diese Form der Leitwölfe heute nicht mehr gibt. Woran liegt das?

Effenberg: Es hängt natürlich mit der Entwicklung der letzten Jahre zusammen. In den Nachwuchs-Leistungszentren werden unsere jungen Talente früh zusammengeführt. Zunächst mal ist das gut, doch das Konzept jener Zentren verhindert, dass sich Spieler zu einer eigenen Persönlichkeit entwickeln können. Sie werden in Schablonen gepresst.

prisma: Wie war das bei Ihnen damals? Sie wurden in Hamburg groß, ehe Sie mit 18 zu Borussia Mönchengladbach wechselten.

Effenberg: Mit 14 Jahren zum Beispiel habe ich, neben dem Verein, viel alleine trainiert. Da waren nur die Turnhallenwand und ich. Tag für Tag. Klar, damals gab es keine Personal Trainer, keine Ernährungsberater. Dann ging ich nach Gladbach, und natürlich gab es da Regeln für junge Spieler. Aber eben keine, wie es sie heute gibt, wo den Jungen alles vorgegeben wird. Sogar ein Verhaltenskodex. Dabei ist es nun wirklich nicht die Aufgabe der Leistungszentren, jungen Menschen beizubringen, dass man "danke" und "bitte" sagt. Aber es wird eben eine Schablone über alle Spieler gelegt, schon mit 13 oder 14 Jahren. Dabei müssen die auch Fehler machen dürfen – auf dem Platz und daneben. Das ist wichtig für die Entwicklung von Persönlichkeiten. Doch all das lässt sich nicht mehr zurückschrauben. Es ist, wie es ist. Zumal später ja auch noch die sozialen Medien dazukommen.

prisma: Früher entsprach das Bild, das ein Fan von einem Spieler hatte, weitgehend der Art und Weise, in der er sich auf dem Platz präsentierte. Heute vermittelt sich ein Bild des Spielers anders.

Effenberg: Womöglich ist genau das auch ein Grund dafür, dass sich die Fans zunehmend auch gerade von der Nationalmannschaft distanzieren. Ich erinnere mich an Interviews von Nationalspielern, deren Zweck es war, einfach nur ihre Marken zu präsentieren. Die Distanz zwischen DFB, Mannschaft und Fankultur wird immer tiefer. Ich gebe zu: Bei mir selbst ist das nicht anders. Ich schaue mir sicher nicht mehr jedes Freundschaftsspiel der deutschen Nationalmannschaft an. 2006 bei der WM gab es noch die große Euphorie allerorten. In den Turnieren danach war es schon nicht mehr so.

prisma: Der DFB hat ja nun betont, wieder näher an die Fans heranzurücken.

Effenberg: Was zugleich ein Eingeständnis dafür ist, dass etwas falsch gemacht wurde. Wenn es jetzt plötzlich wieder mal ein öffentliches Training der Nationalmannschaft gibt, dann weiß der Fan doch, dass sie das nicht aus freien Stücken tun, nicht weil sie den Kontakt zum Fan wollen. Sie tun es, weil sie es müssen. Es gibt diesen Graben, und ich glaube, der lässt sich auf lange Sicht nicht mehr schließen.

prisma: Sie haben in all den Jahren nach Ihrer Karriere immer wieder als Experte gearbeitet. Jetzt sind Sie regelmäßig im "Doppelpass" als SPORT1-Experte dabei. Sind Ihnen nicht früher, zu Ihrer aktiven Zeit, diese "Experten" eher auf die Nerven gegangen?

Effenberg: Ach nein, Kritik war für mich immer in Ordnung, sofern sie nicht unter die Gürtellinie geht. Das galt früher für mich, und so sehe ich das in meiner Rolle auch heute. Wobei es für mich immer und ausschließlich um das Sportliche geht. Wenn Leroy Sané eine verrückte Jacke trägt, mag das ein Thema für den Boulevard sein. Mich interessiert das nicht. Meinetwegen kann er eine Kette für eine Million um den Hals tragen, und es wäre mir auch egal. Es geht darum, was er auf dem Platz zeigt.

prisma: Was also macht einen guten Experten aus?

Effenberg: Ehrlich, ich mag das Wort "Experte" nicht besonders. Was mich selbst betrifft, traue ich mir eben ein Urteil zu. Weil meine Karriere wirklich einiges beinhaltete. Siege, aber auch Niederlagen. Ich habe ein EM-Finale verloren, ein Champions-League-Finale, ein DFB Pokal-Finale ...

prisma: Stefan Effenberg ist sogar einmal abstiegen ...

Effenberg: Ja, in Florenz damals. Aber wenn ich zurückblicke, waren alle diese Niederlagen für mich persönlich nicht verkehrt.

prisma: Sind Sie und viele andere Experten bei den Sendern nicht in einer Zwickmühle? Zum einen sollen Sie klar Ihre Meinung äußern. Zum anderen sehen Sie aber auch eine Perspektive für sich selbst im Vereinsfußball als Funktionär oder Trainer. Müssen Sie da nicht vorsichtig sein mit Kritik?

Effenberg: Diesen Gedanken habe ich so nicht. Ich will authentisch bleiben. Eine Meinung haben. Und dann auch dazu stehen. Darum geht es. Zumal meine Zukunft nicht zwingend noch einmal bei einem Verein liegen muss. Wenn sich etwas ergibt, gut – aber ich warte nicht. Ich bin mit meinem Leben, so wie es jetzt ist, sehr zufrieden.

prisma: Wie sieht das sonst aus?

Effenberg: Es passiert viel gerade. Mein Sohn hat eine Firma, bei der ich beratende Funktion habe. Ich nehme derzeit an einem Managementprogramm an der Akademie Deutscher Genossenschaften teil, das Führung in Bezug auf das Bankenwesen vermitteln soll. Ein spannendes Thema.

prisma: Um was geht es dabei konkret?

Effenberg: Es geht um kaufmännische Herausforderungen einerseits, aber vor allem auch um Menschenführung. Die Banker profitieren von meinem Input und ich von ihrem. Im September wird das Programm beendet sein, inklusive Prüfung. Und schon jetzt profitiere ich von einem großen Netzwerk, das ich hier mitnehmen kann. Ich konnte eine Menge interessanter Menschen kennenlernen.

prisma: Bayern-Gen, Kontakte zur Branche, Medienerfahrung, Fußball-Sachverstand – wieso sind Sie eigentlich bisher nicht auf einer Position bei den Bayern gelandet?

Effenberg: Das ist eine Frage, die mir häufig gestellt wird. Im Grunde liegt das zunächst ja mal nicht an mir. Hoeneß und Rummenigge entscheiden sich eben, unter anderem für Hasan Salihamid?i?. Und ich wünsche ihm viel Glück. Ich konzentriere mich auf den Moment, auf meine nähere Zukunft. Und da gibt es viele Aufgaben. Jeder setzt seine Prioritäten, hat Verpflichtungen. Denken Sie an Oliver Kahn. Er hat derzeit eine große Verantwortung für seine Angestellten. Ein Wechsel muss da auch vorbereitet werden.

prisma: Noch vor ein paar Jahren schien es, als sei das bei Spielern, Trainer und Funktionären zwingend so ...

Effenberg: Aber heute tun sich für ehemalige Fußballer tatsächlich viele, auch ganz andere Möglichkeiten auf. Und mancher aktive Fußballer kann in England das Dreifache verdienen. Das macht es für die Bayern nicht einfacher. Wichtig bleibt für die Bayern vor allem, dass sie bei der Besetzung der verantwortlichen Positionen in der Zukunft unabhängig von einer Vergangenheit im Verein auf eine hohe Fachkompetenz setzen. Darauf achtet Uli Hoeneß, und genau das ist auch richtig so. Wer einen Verein wie den FC Bayern führen will, braucht diese Kompetenz. Genau deswegen finde ich auch die Entscheidung für Oliver Kahn sehr richtig. Im Übrigen: Auch Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge müssen Fehler zugestanden werden. Die es ja auch gab. Denken Sie an die 90er-Jahre, die erste Zeit, in der ich bei Bayern war. Da hatten wir mal drei Trainer in einem Jahr: Heynckes, Lerby und Ribbeck. Da ging es manchmal drunter und drüber.

prisma: Aus Ihrer Generation rund um die Jahrtausendwende ist bisher nur Hasan Salihamid?i? an verantwortlicher Position in den Verein integriert. Kein Helmer, kein Strunz, kein Effenberg.

Effenberg: Wie gesagt: Wir haben uns Karrieren aufgebaut, entwickeln uns weiter.

prisma: Der FC Bayern hat dem Vernehmen nach für die kommende Saison vor allem sehr junge Talente im Blick. Wird er zu einem Ausbildungsverein?

Effenberg: Das stünde zumindest im Widerspruch zu dem, was Uli Hoeneß mal gesagt hat. Es würde große Gefahren in sich bergen, beim Kauf von Spielern nur noch auf Talente zu setzen. Nur mit Jugend kannst du die Ziele, die der Verein verfolgt, in absehbarer Zeit nicht erreichen. Wobei klar ist: Der Markt an deutschen Spielern ist für die Bayern limitiert.

prisma: Wenn Sie sich einen deutschen Spieler für die Bayern wünschen könnten ...

Effenberg: Dann wäre das Timo Werner. Ich kenne die Kritiker, die glauben, er passe durch seine Spielweise nicht zu einer Mannschaft, die vorrangig auf Ballbesitz aus ist. Aber das ist Quatsch. Ich sage Ihnen was: Gute Spieler können überall spielen. Werner ist einer, der sich im offensiven Bereich frei bewegen kann und der über große Qualitäten verfügt. Und wenn er bei Bayern wäre, wüsste er bald, ob die Weltspitze für ihn tatsächlich erreichbar ist. Es sind ja schon manche auch gescheitert.

prisma: An welchen Gegenspieler erinnern Sie sich persönlich vor allem?

Effenberg: Roy Keane von Manchester United. Immer offenes Visier, aber nie hintenrum, nie böse. Du wusstest, was kommt, wenn du ihn als Gegner hattest. Und nach dem Spiel gibst du dir fair die Hand. Wobei mir der Umgang miteinander vor allem in England immer positiv aufgefallen ist. Wir hatten viele Spiele auf der Insel – Manchester, Arsenal und andere. Oft waren wir auch die bessere Mannschaft dort. Und dann verabschiedeten uns die Fans mit Applaus in deren Stadion. In der Bundesliga gibt es so was nicht.

prisma: Wo werden wir Stefan Effenberg in der Zukunft sehen?

Effenberg: Ich schaue nicht weit voraus. Ich weiß, was 2019 kommt. Das war es.

prisma: Eine Rückkehr auf die Trainerbank oder in eine andere verantwortliche Position schließen Sie aber nicht aus. Empfinden Sie es als Problem, dass Sie, ähnlich wie Lothar Matthäus, eng mit den Bayern verbunden werden und damit Vorbehalte bei anderen Fans einhergehen könnten?

Effenberg: Wird so gedacht? Ehrlich, ich weiß es nicht. Ein Problem kann ich da nicht erkennen. Es geht um Kompetenz, um das Fußballwissen.

prisma: Aber jeder Vereinsverantwortliche weiß eben auch: Wer Effenberg holt, bekommt neben Effe eben auch eine gewisse mediale Wucht.

Effenberg: Das stimmt. Aber letzten Endes stellt sich immer nur die Frage nach der fachlichen Kompetenz und nach dem Erfolg.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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