Tatort am Sonntag

"Tatort: Hydra" – Voll in die Visage

10.01.2015, 10.15 Uhr
von Detlef Hartlap
Im Dortmunder "Tatort: Hydra" wird Kommissarin Nora Dalay (Aylin Tezel) überfallen.
BILDERGALERIE
Im Dortmunder "Tatort: Hydra" wird Kommissarin Nora Dalay (Aylin Tezel) überfallen.   Fotoquelle: WDR/Thomas Kost

Der beste Tatort der Saison kommt aus Dortmund. Dass er in der rechten Szene spielt, lässt ihn wie ein Kommentar zum Tage wirken. Aber "Hydra" ist mehr als das.

Als dieser Tatort gedreht wurde, sprach noch niemand von "Pegida" und solchen Sachen. Die rechte Szene, klar, die ist in Dortmund schon lange virulent wie ein hartnäckiger Magen-Darm-Infekt. Aber jetzt, vor dem Hintergrund von durchdrehenden Demonstranten, die einem Fotografen die Kamera aus den Händen schlagen und das Haus eines Dortmunder Journalisten mit Farbbeuteln besudeln, wirkt Hydra, so der Titel der Folge, wie ein Kommentar zum Tage.

Die Angst des Elefanten vor der Maus

Ein Merkmal der Pedigisten ist bekanntlich, dass sie Angst haben, Angst vor Überfremdung und so naheliegenden Entwicklungen wie einer künftigen islamistischen Diktatur in Deutschland. Diese Angst tragen sie wie einen Button am Revers, es ist die Angst des Elefanten vor der Maus, und weil sich der Elefant von der Maus so schrecklich eingeschränkt sieht, dass er sie am liebsten zertreten möchte, fragt er auch nicht, ob die Maus vielleicht Angst vor ihm und seiner massigen Gewalt haben könnte.

Gern drohen Pedigisten anwesenden Journalisten mit der Bemerkung: "Wir kennen eure Adressen!" Dass dem so ist, zeigt das Farbbeutel-Attentat.

Im Tatort kennen die rechtsradikalen Aktivisten die Adresse der Kommissarin Nora Dalay (Aylin Tezel). Sie lauern ihr auf, umkreisen und beschmieren sie mit dem Hakenkreuz – und hauen ab.

Farber ist kein Tröster

Erniedrigt und gedemütigt vertraut sich Nora keineswegs einer zögerlich anrollenden Polizeistreife an, sondern wendet sich an Faber. Jenen verrückten Hund Faber, den Jörg Hartmann in den ersten vier Dortmunder Tatortfolgen zum markantesten Fernsehkommissar Deutschlands gemacht hat. Genie und Wahnsinn gehen bei ihm in eins über, gerade deshalb verwundert Noras Entscheidung. Und tatsächlich kommt Faber ihr in ihrer Not kaum einen halben Schritt entgegen, er ist kein Tröster.

"Arschloch", bellt sie ihn an, aber Arschloch war in der Sprache des Ruhrgebiets immer schon mehr als ein Schimpfwort; es kann Respekt und Anerkennung darin liegen, für Nicht-Ruhrgebietler kaum zu entschlüsseln.

Ermittlungen im rechten Milieu, das wäre in den München- oder Hannover-Tatorten und auch bei den leichtfertig verschusselten Wotan Wilke Möhring-Folgen zur Pseudo-Studie mit wohlfeiler Aussage aufgebauscht worden, und das tatortmäßig notorisch unterbelichtete "Spiegel online" würde fragen: "Wie viel rechte Szene steckt in der deutschen Polizei?"

Das Ungemach ihres Alltags

Das Dortmunder Ermittler-Quartett hat zunächst einmal mit sich selbst genug, da kann als Fall kommen was will. Kommissarin Bönisch (Anna Schudt) blendet das Ungemach ihres Alltags gern bei einem Drink an einer Hotelbar aus, gern auch in zufälliger Männerbekanntschaft. Zu dumm, dass Faber dort auftaucht. Er kümmert sich einfach um alles, der Kollege, aber richtig fürsorglich wirkt das nicht.

Jungkommissar Kossik (Stefan Konarske) leidet anhaltend darunter, dass Nora ihr Kind abgetrieben hat. Es wäre "auch meins" gewesen, jammert er, der sich nicht zu einem eindeutigen Ja hatte aufschwingen können, als sie ihm ihre Schwangerschaft offenbarte.

Es fetzt auf dem Polizeirevier

Es kracht, es fetzt auf dem Polizeirevier, die Abteilungen eifersüchteln, ein Staatsanwalt stänkert (gegen Faber), da bleiben Mord und Folgemord (letzterer an einem Nazi-Anführer) beinahe Hintergrund.

Aber das Umfeld greift förmlich nach den Ermittlern. Kossik muss erfahren, dass sein Bruder (Robert Stadlober) ein Nazi ist; Bönisch muss erfahren, dass polizeiinterne Informationen im Handumdrehen in Umlauf geraten. Faber setzt Nora Dalay kaltschnäuzig als Türkin ein: Je mehr er sie disst, desto mehr verraten ihm die rechten Spießgesellen.

Hydra, das vielköpfige Ungeheuer der griechischen Mythologie, lauert in jeder Szene, was diesen Tatort zu einem echten Film noir macht; das kann man von seinen Artgenossen in den seltensten Fällen sagen.

Ruhrpott im Reinformat

Großartig auch die Sprache (Drehbuch Jürgen Werner): Hart, direkt, Ruhrpott im Reinformat, was mit alten Tegtmeier-Sottisen und Fritz-Eckenga-Schwulst nichts mehr zu tun hat. Kumpel Anton lebt hier nicht mehr. Dafür haben Hydra, Pegida und andere Formen menschlichen Niedergangs Einzug gehalten.

Was hilft? Leute wie Peter Faber, der Voll-in-die-Visage-Kommissar. Mehr davon!

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