"Der Tod ist unser ganzes Leben"

"Tatort" aus München: Wiederholung lohnt sich nur bedingt

von Jens Szameit

Es ist eine Wiederholung, dieser Münchner "Tatort", den die ARD am Sonntagabend zeigt. Klar, denn bei der Konkurrenz läuft parallel das Länderspiel. Aber selbst, wenn man den Fall noch nicht gesehen hat, muss man hier nicht unbedingt einschalten.

ARD
Tatort: Der Tod ist unser ganzes Leben
Kriminalfilm • 24.03.2019 • 20:15 Uhr

Wenn Kriminalpolizisten ins Philosophieren geraten, wird es selten erbaulich. "Jemand hat mal gesagt, unser Beruf ist ein einziger großer Fehler. Und das warst du!", knurrt ein aschfahler Ivo Batic (Miroslav Nemec) aus dem Krankenbett. "Wir waren beide besoffen", windet sich der zitierte Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl). Aber keine Chance! Der abtrünnige Kollege Carlo, vor einiger Zeit nach Thailand ausgewandert ist, wie man weiß, habe seine Frau und sein Leben, stöhnt Batic. "Und wir? Keine Frau und kein Leben. Nur Leichen. Der Tod ist unser ganzes Leben."

Das ist natürlich ein klangvoller Satz: "Der Tod ist unser ganzes Leben." Er ist zugleich der Titel dieser leichenbitteren "Tatort"-Wiederholung aus dem Jahre 2017, die ihrerseits die Fortsetzung eines noch älteren Sonntagskrimis aus München ist. In der verstörend guten Episode "Die Wahrheit", gesendet im Oktober 2016, konnten die beiden Kommissare den Mörder eines Zufallsopfers nicht ermitteln. Das wurde ein Jahr später geradegerückt. 7,27 Millionen Menschen sahen zu. Eine vergleichsweise sparsame Resonanz.

Über Monate hatten sich Batic und Leitmayr im ersten dieser zwei zusammenhängenden Krimis durch fruchtlose Ermittlungen gequält. Am Ende wären sie fast dem Wahnsinn und dem Alkohol anheimgefallen. Und den Täter hatten sie beim Abspann immer noch nicht. Wer hat den Familienvater Ben Schröder am helllichten Tag vor den Augen seiner Frau und seines Sohnes offenbar aus purer Mordlust erstochen?

"Die Wahrheit" hieß diese aufwühlend kluge Meditation darüber, dass "Wahrheit" im kriminalistischen Sinn nicht immer mit mathematischer Präzision festzustellen ist. Fraglos ein Ausnahme-Krimi, lose angelehnt an den authentischen und nach wie vor nicht aufgeklärten "Isar-Mord" vom Mai 2013. Gerade weil entgegen der "Tatort"-Tradition einmal darauf verzichtet wurde, Recht und Ordnung zur Beruhigung des Publikums wiederherzustellen.

Der Messerstecher ist zurück

So lange war der Killer ein Phantom, doch nun, in der Fortsetzung, ist er da. "Einfach so", wie Batic ungläubig aus dem Off bemerkt. Der Messerstecher von damals hat wieder zugeschlagen, wieder an einem belebten Platz mitten am Tage, wieder gibt es ein Zufallsopfer (das mit knapper Not überlebt). Doch diesmal wurde die Wahnsinnstat von einer Überwachungskamera aufgezeichnet. Als Batic und Leitmayr den Museumswärter Thomas Barthold (Gerhard Liebmann) an seiner Arbeitsstelle antreffen, streckt er seine Hände bereitwillig den Handschellen entgegen. Mit einem aufreizenden Grinsen im Gesicht.

Im Grunde ist dieser "Tatort" also zu Ende, bevor er so richtig begonnen hat. Doch dann gibt es einen Zeitsprung vor und einen zurück. Leitmayr humpelt an der Krücke am Krankenzimmer des Kollegen Batic vorbei, der mit einer Schussverletzung an Kabeln und Schläuchen hängt. Ein interner Untersuchungsausschuss vernimmt den weniger schwer lädierten der beiden zu den folgenreichen Vorfällen, die in Rückblenden aufgedröselt werden.

Was war also geschehen? Batic und Leitmayr haben auf eigenes Bestreben den Transport des mutmaßlichen Täters Barthold von der Untersuchungshaft nach Stadelheim begleitet. Doch unterwegs ging einiges schief. Eine vorgetäuschte Panne, eine Flucht in Richtung einer Industrieruine. Am Ende sind zwei Justizbeamte und Thomas Barthold tot, die Kommissare verwundet und viele Fragen offen. Auch weil Batic dem Freund und Kollegen offenbar nicht in allen Punkten die Wahrheit erzählt hat ...

Speziell die Szenen des Gefangenentransports entwickeln einen beachtlichen Suspense. Der junge Regisseur Philip Koch, bekannt geworden mit dem Jugendknastdrama "Picco" (2010), lässt hier im Sinne eines existenzialistisch angehauchten Cop-Thrillers die Muskeln spielen. Die Filmmusik dröhnt unheilvoll. Und doch beraubt sich der Film der Autoren Holger Joos und Erol Yesilkaya einer produktiven Leerstelle: Gerhard Liebmann ist als Psychokiller ein maliziöses Abziehbild ohne Tiefenschärfe. Noch dazu ein biederer Museumswärter mit Halbglatze und Zahlentick, der verblüffenderweise gestandene bayrische Kriminalbeamte überwältigen kann.

So entlädt sich die mit Händen greifbare Melancholie, die den Vorgängerfilm ausgezeichnet hatte, in wilder Action, handlungslogischen Schwächen und etwas aufgesetzt artikulierter Seelenpein. Überhaupt: "Vorgängerfilm"! Dass man davon sprechen muss im Zusammenhang mit dem "Tatort", ist kein so günstiges Zeichen. Die reflexhafte Masche, Erfolgsfilme bis zum Erbrechen fortzusetzen, legt dieser Tage das Hollywoodkino zu beträchtlichen Teilen künstlerisch lahm. Beim "Tatort", der seit jeher die Kraft aus dem Einzelstück zieht, sollten die Macher der Versuchung vielleicht besser widerstehen.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

Das könnte Sie auch interessieren