Staffel 3 bei Netflix

"Tote Mädchen lügen nicht": Teenager-Mord statt Suizid

von Eric Leimann

Mit "Tote Mädchen lügen nicht" geht eine der meistdiskutierten- und geschauten – Netflix-Serien in die dritte Runde. Das zentrale, umstrittene Motiv der Erzählung ist aber verloren gegangen: Der Selbstmord von Schülerin Hannah Baker spielt in den neuen Folgen kaum noch eine Rolle. Gestorben wird trotzdem.

Teenager-Geheimnisse sind schnell ausgeplaudert. Zu groß ist der Druck der Neugier, zu vielfältig sind die Wege des Austauschs über soziale Netzwerke, zu gewaltig die Verlockung, sich damit zu brüsten, mehr zu wissen als andere. Bei der amerikanischen Serie "13 Reasons Why", zu deutsch "Tote Mädchen lügen nicht", übt sich Netflix zum Start der dritten Staffel am Freitag, 23. August, in mönchsgleicher Verschwiegenheit. Gerade mal ein Bild wurde der Presse vorab zur Verfügung gestellt, dazu ein Trailer, aber kein Folgen-Ansichtsmaterial. Insofern muss darüber spekuliert werden, was in Großkapitel drei der Serie passiert, selbst wenn das zentrale Motiv der Staffel im Trailer verraten wird.

Der Selbstmord von Schülerin Hannah Baker (Katherine Langford), dessen Ursachen in 13 durchaus clever konstruierten Folgen der ersten Staffel aufgeklärt wurden, war im Prinzip schon mit Staffel eins gemäß der Romanvorlage auserzählt. Man geht davon aus, dass "13 Reasons Why" eines der am besten eingeschalteten Programme des US-Streamingdienstes Netflix ist, der keine Zahlen veröffentlicht. Wegen des Erfolges von Staffel eins mussten Fortsetzungen kreiert werden. Durchaus ein künstlerisches Problem, das die Serie mit erzählerischen Drama-Schwergewichten wie "Big Little Lies" oder "The Handmaid's Tale" gemein hatte.

Staffel vier ist die letzte!

Staffel zwei, die im Mai 2018 Premiere feierte, wirkte bereits wie ein Nachsitzen der Schülerschaft "wegen zu großen Erfolges". In einem Gerichtsverfahren wurden darin neue Details des Selbstmordes Hannahs und zum Wirken eines Vergewaltigers seziert, der in Staffel eins enttarnt worden war. An das gute Plot- und Drehbuch-Niveau von Staffel eins kamen die Fortsetzungen nicht heran. In den ersten 13 Folgen redeten sehr gut aussehende Jugendliche ein wenig zu schlau für ihr Alter daher. Viele Mechanismen rund um Schulmobbing wurden jedoch seziert und vor der zuschauenden Zielgruppe an den Pranger gestellt. Weil Staffel zwei keine wirkliche neue Plot-Idee parat hatte und ein paar mehr Klischees bediente, fielen die Kritiken verhalten bis vernichtend aus.

Dies dürfte sich mit Staffel drei kaum ändern. Katherine Langford, die australische Hauptdarstellerin von "13 Reasons Why", steht mittlerweile für eine neue Netflix-Serie vor der Kamera, die Mystery-Coming-of-Age-Erzählung "Cursed". 2020 soll sie im Programm auftauchen. Staffel drei muss also ohne Rückblende-Szenen mit der suizidalen Hannah auskommen. Dies könnte allerdings auch eine gute Nachricht sein, denn die neuen Folgen wagen den erzählerischen Neuanfang. Der Selbstmord spielt darin kaum noch eine Rolle, dafür geht es – der Trailer verrät dies bereits – um den Mord an einem Mitschüler, der im bisherigen Seriengeschehen Schuld auf sich geladen hat.

Fast zeitgleich mit dem Hype um Staffel drei gab Netflix bekannt, dass eine vierte Season kommen wird, die aber auch die letzte sein wird. Durchs Umschwenken vom Selbstmord- aufs Mordthema verliert "Tote Mädchen lügen nicht" ein gutes Stück seiner Relevanz. Die gesellschaftliche Debatte, ob eine – gerade im Sinne der jungen Zielgruppe verlockend gut gemachte – Serie über Teenagerselbstmorde nicht eben diese befördert, machte sich vor allem in den USA, aber auch hierzulande breit. Wissenschaftler, Beratungsstellen und Medienexperten kamen zu unterschiedlichen Urteilen, rein statistisch ließ sich jedoch kein "Werther-Effekt" nachweisen. Doch allein der Umstand, dass viele Teenager mit Selbstmordgedanken nachweislich Folgen der Serie gesehen und sich damit beschäftigt hatten, ließ die Kritik nicht verstummen.

Ausführliche Warnungen der Schauspieler, die hierfür aus ihren Rollen heraustraten, appellierten zu Beginn und Ende der Episoden an die Zuschauer, sich mit Problemen anderen anzuvertrauen und professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Im Juli 2019 ließ Netflix dann sogar drei Minuten der ersten Staffel herausgeschneiden: jene Szene, in welcher der Suizid-Hergang mithilfe einer Rasierklinge explizit gezeigt wurde. In der neuen Fassung blickt Hannah nun nur noch ein letztes Mal in den Spiegel, dann wird sie von ihren Eltern tot aufgefunden.

Verstehen Erwachsene "Tote Mädchen lügen nicht"?

In Staffel drei wird der Tod dieses hübschen, intelligenten und warmherzigen Teenagermädchens, dessen angehäufte Verletzungen zum anfangs kaum nachvollziehbaren Selbstmord führten, nur noch als traumatisierendes Ereignis für eine Gruppe Schüler benutzt. Die Serie beraubt sich somit ihres einzigartigen Themas, das aber bereits mit Staffel zwei stark bröckelte. Dennoch gab es auch Kritiker und Jugend-Experten, die Staffel zwei durchaus stark fanden. Weil sie Machtmechanismen, sexuelle, physische und psychische Gewalt unter Schülern detailreich benannte. Weil sie es auf eine Art und Weise tat, die dafür sorgte, dass sich auch die Betroffenen diese Analyse ansehen wollten. Dass Look und Machart des Young-Adult-Programms dem einen oder anderen älteren Zuschauer ein wenig konstruiert und klischeehaft vorkam, war dann vielleicht dem fehlendem Perspektivwechsel geschuldet. Nicht alles, was Erwachsene klischeehaft finden, ist es auch für Jugendliche. Und das liegt nicht nur am Mangel an Erfahrung, sondern auch an deren völlig unterschiedlichen Lebensrealität.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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