In seinem zehnten "Zürich-Krimi" – es ist der erste von drei neuen Fällen in der ARD – ermittelt Borchert auf eigene Faust tief in den verschneiten Schweizer Bergen. Dort steckt ein Unschuldiger seit Jahren im Gefängnis.
Borcherts zehnter Fall, mithin ein kleines Jubiläum, ist so richtig nach dem Geschmack des Zürcher "Anwalts ohne Lizenz". Als ihn seine Chefin Dominique Kuster (Ina Paule Klink) mit der anonymen Textzeile "Franz Brosi ist unschuldig" konfrontiert, ist Borchert, der Moralist (Christian Kohlund), der gelegentlich zum Prediger für die Mühseligen und Beladenen neigt, ganz in seinem Element. Wer ist dieser Brosi, und warum nahm er damals die Schuld an einem Mord auf sich, den er gar nicht begangen hatte, wie Dominique, damals Pflichtverteidigerin, so felsenfest glaubt?
Als Borchert und Dominique Franz Brosi (Siemen Rühaak) in seiner Zelle besuchen, zeigt sich dieser keineswegs kooperativ. Alle Gegenargumente weist er mit dem schönen Satz: "Einerlei – Ich hab' die Tat begangen!" ab. Er habe, so stellt sich zunächst heraus, einen jungen Banker aus nächster Nähe erschossen, der ihm sein altes Haus im Unterengadin wegen der Schulden entziehen wollte – ein Erbteil, das sich seit Jahrhunderten im Besitz der Familie befand. Er habe diese Schmach nicht ertragen können und daher im Affekt gehandelt. Borcherts untrüglicher Instinkt, aber auch die Recherchen der Kollegen Furrer (Pierre Kiwitt) und Dominique, belegen alsbald, dass Brosis Geschichte eher ein Märchen als die Wahrheit ist.
Einsamer Cowboy im Unterengadin
Borcherts weitere Recherchen, die ihn ins tief verschneite Heimatdorf des zu Unrecht Verurteilten im Unterengadin führen, werden zu einer frostigen Reise in die Vergangenheit. Die Einheimischen von Vent, wie das einsam gelegene Dorf im Film heißt, bilden allerdings eine Mauer des Schweigens. Borchert wird zum Lonesome Cowboy in einer von Schneemassen eingedeckten Gegend (welch ein Glück hatten die Filmer da im März 2020!), die Kulisse signalisiert ein Drama, das seinesgleichen sucht.
Es ist dann aber in erster Linie doch das Drama des wackeren Anwalts, den Kohlund mit in die Stirne gezogenem Schlapphut und Samtpfoten-Stimme im Schnee stapfend spielt. Im Gasthof des einsamen Ortes nimmt er es frontal mit den Einheimischen auf und keine monströse Lawine bringt diesen Anwaltshelden vom Wege ab. Dass hier die Natur eine weitere Hauptrolle spielt, erscheint sinnvoll: Es geht um fiese Großinvestoren, die aus dem einsamen Engadiner Tal eine "Partymeile" machen wollen, einen "Ballermann", wie Borchert trefflich sagt.
Schade, dass diese Investorengeschichte dann aber ganz anderen Motiven weichen muss. Sie wird, so ahnbar wie zuletzt auch stereotyp, in Flashbacks und Überblendungen berichtet. Auch lässt der Anwalt Borchert am Ende der Reise das Moralisieren nicht, gibt er doch dem eigentlichen Opfer zuletzt noch eine schöne Lebensweisheit mit auf den Weg. Davor aber ist Borcherts zehnter Fall ein grandioses Stück – großes Winterkino im tiefen Schnee, ein authentisch wirkender Western aus den Schweizer Bergen. Der 70-jährige Kohlund wirkt da so sehr in seinem Element aufgehend, dass man ihm sogar den Prediger verzeiht.
Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH