Wolfgang Bahro im Interview

Fast 30 Jahre Gerner: "Eigentlich hat sich alles geändert"

12.05.2022, 09.39 Uhr
von Lara Hunt
GZSZ-Star Wolfgang Bahro im Porträt.
GZSZ-Star Wolfgang Bahro im Porträt.  Fotoquelle:  RTL / Bernd Jaworek

In der Geburtstagsfolge zu 30 Jahren "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" in Spielfilmlänge steht Dr. Jo Gerner im Mittelpunkt. Er wird eines Verbrechens beschuldigt und muss untertauchen. Gezeigt wird die Folge am Donnerstag, 12. Mai, ab 19.40 Uhr auf RTL. Wir haben mit Schauspieler Wolfgang Bahro gesprochen.

Wie ist es, fast 30 Jahre lang dieselbe Rolle zu spielen?

Spannend – wo hat man sonst für so etwas die Möglichkeit? Meistens bleibt einem ja nur eine Spielfilmlänge, um Charaktere zu entwickeln. In 30 Jahren ändert sich viel, auch optisch ist da etwas passiert. Es gab in Dr. Jo Gerners Leben viele gute und schlechte Zeiten, und er hat sich dadurch auch verändert. Gecastet wurde damals ein "charmantes Schlitzohr", dann wurde er zum windigen Anwalt und Bösewicht, und heute ist er gemäßigter, ist Familienvater und verfügt über mehr Gerechtigkeitssinn. Wobei Gerechtigkeitssinn bei Gerner auch immer Auslegungssache ist …

Wie oft werden Sie abseits des Sets als Dr. Jo Gerner angesprochen?

Das hat sich in den vergangenen Jahren etwas gegeben – viele wissen mittlerweile, wie ich wirklich heiße. Aber es gab da schon den einen oder anderen kuriosen Fall, als zum Beispiel jemand auf mich zukam und sagte: "Herr Gerner, ich habe ein Problem, ich bin geblitzt worden." Und ich musste dann erstmal erklären, dass ich Schauspieler und kein Rechtsanwalt bin. Oder in der Zeit, als Gerner ein Restaurant hatte, da wurden regelmäßig Tische bei mir bestellt.

Nervt das oder gewöhnt man sich dran?

Ich fand es am Anfang nervig, aber irgendwann gewöhnt man sich daran.

Eigentlich hat sich alles geändert, von der Qualität der Mitspielenden über die Technik bis hin zur Authentizität der Geschichten. Anfangs haben größtenteils gutaussehende Models und nur wenige Schauspieler mitgespielt, das ist jetzt anders. Und es wird mehr Wert darauf gelegt, dass die Geschichten in sich stimmig sind und aktuelle Themen aufgegriffen werden. Das Set ist professioneller, die Technik weiterentwickelt. Wir bewegen uns da mittlerweile auf dem Niveau von Film.

Was denn für aktuelle Themen?

Kürzlich hatten wir eine Story, die ich selbst vorgeschlagen habe, da ging es um Cybermobbing im Internet. Meine Serientochter Johanna schickt jemandem übers Internet freizügige Fotos und wird daraufhin erpresst. Darauf gekommen bin ich, weil die elfjährige Tochter einer meiner Freunde relativ freizügige TikTok-Videos gemacht hat. Und ich habe gedacht: Was, wenn das in falsche Hände gerät? Für Eltern ist es schwer, da einen Riegel vorzuschieben. In der Generation sind alle an den Handys, machen Fotos und Videos und sehen sich an, wie andere Mädchen ihre Lippen aufspritzen oder Brüste vergrößern. Die ganzen Influencerinnen heute sehen doch völlig gleich aus! Ich fand es wichtig, das zum Thema zu machen, und habe mit der Produktion gesprochen.

Wie wichtig ist es Ihnen, dass die Produktion auf Ihre Ideen eingeht?

Ich finde das sehr wichtig, aber glücklicherweise ist die Produktion da wirklich sehr offen und nimmt gerne Vorschläge auf, wenn sie ins Konzept passen. Nicht nur von mir, sondern auch von Leuten, die vielleicht erst zwei Wochen dabei sind.

Das heißt, es steckt auch viel Wolfgang Bahro in der Serie. Sie sagen aber, mit Jo Gerner hätten Sie nicht viel gemeinsam.

Wir haben tatsächlich wenig gemein. Dabei würde ich mir manchmal schon ein bisschen mehr von ihm wünschen, wenn es um seine Cleverness geht zum Beispiel – oder um seinen Umgang mit Finanzen.

Auch wenn Sie aktuelle Themen aufgreifen, hat die Corona-Pandemie bei GZSZ nicht stattgefunden. War das komisch?

Es war insofern komisch, weil die Pandemie in GZSZ nicht stattfand, wir aber uns doch alle danach richten mussten. Es gab ja die Hygiene-Maßnahmen. Wir mussten Liebesgeschichten erzählen, die ohne Küsse, sondern nur durch Blicke funktionierten.

Wenn GZSZ aber die Gesellschaft widerspiegeln soll, wird das in postpandemischen Zeiten zum Problem? Haben wir uns nicht seit 2020 verändert?

Nun ja, der Mensch vergisst sehr schnell. Und ich denke, wenn wir uns dann irgendwann mal wirklich von der Pandemie verabschiedet haben, wird bald wieder alles seinen gewohnten Gang gehen.

Warum ist "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" Ihrer Meinung nach so erfolgreich?

Weil es immer wieder Themen aufgreift, die die Menschen direkt betreffen: Pubertät, Erwachsenwerden, Liebe, Ehe, berufliche Probleme und so weiter. Darin kann man sich wiederfinden. Ich glaube außerdem, dass GZSZ ein Stück weit den Tratsch im Treppenhaus ersetzt hat. Man kann sich täglich darüber unterhalten, was passiert ist und was wer gemacht hat, ob auf dem Schulhof oder im Büro. Die Serie liefert immer wieder neue Gesprächsthemen, die man im eigenen Leben wiederfinden kann.

Sie werden dieses Jahr 62 Jahre alt. Machen Sie noch weiter oder denken Sie schon übers Aufhören nach?

Solange die Zuschauer mich sehen wollen, werde ich dabeibleiben. Und nicht nur bei GZSZ. Vor der Pandemie hat mir Dieter Hallervorden angeboten, im Theater den Charlie Chaplin zu spielen, für mich ein überaus spannendes Angebot. Ich hoffe, dass da nach Corona noch eine Menge kommt. Erst kürzlich habe ich mit Brigitte Grothum und Debora Weigert bei einem Live-Hörspiel von Edgar Wallace auf der Bühne mitgemacht, endlich wieder vor Zuschauern. Es war so schön, zu sehen, wie sich das Publikum amüsiert und gefreut hat. Das klingt ja fast, als würden Sie lieber auf der Bühne als vor der Kamera stehen. Nein, das ist, als würde man Steak mit Vanilleeis vergleichen. Es stimmt schon: Auf der Bühne kann man direkt aufs Publikum reagieren. Vor der Kamera geht es um andere Kriterien. Wo ich auf der Bühne meine Emotionen laut spielen muss, damit sie auch die letzte Reihe erreichen, kann ich sie vor der Kamera kleiner und intimer halten. Ich mag sowohl Haupt- als auch Nachspeise.

Ist es schwierig, immer als Gerner gesehen zu werden?

Ich sehe mich als Volksschauspieler. Früher habe ich bei den Stachelschweinen mitgespielt, zusammen mit Wolfgang Gruner. Der wurde in Berlin überall erkannt, und alle wollten mit ihm reden. Und er hat das immer mitgemacht, weil er sich als Volksschauspieler gesehen hat. Und ein bisschen ist Wolfgang Bahro wie Wolfgang Gruner, wenn er auch nicht so eine nette Rolle spielt.

Ist es nicht trotzdem ein Problem, wenn man eine andere Rolle spielen will und das Publikum erst mal nur Gerner sieht?

Ich glaube, die Leute haben damit weniger Probleme als einige Produzenten. Mir hat tatsächlich schon mal eine Produzentin gesagt: „Wolfgang, du bist ein toller Schauspieler, aber ich werde dich nie besetzen, weil du für alle Jo Gerner bist.“ Ich glaube, damit unterschätzen die Produzenten das Publikum – und ich bin sicher, meine Kollegen in festen Rollen würden das unterschreiben. Horst Tappert, der den Derrick gespielt hat, hat auch andere Rollen gespielt – und das hervorragend. Ich bin sicher, der Zuschauer denkt im ersten Moment „Oh, das ist ja Jo Gerner“, dann sieht er, dass man eine andere Rolle spielt, lässt sich drauf ein und vergisst Gerner.

Sie sind Freimaurer – und sprechen darüber. Was begeistert Sie an dem Bund?

Mich begeistert, dass die Freimaurerei die Werte hochhält, die mein Vater mir als Kind vermittelt hat: anderen Menschen vorurteilsfrei entgegenzutreten und Humanismus zu leben. Es geht nicht um Religionen oder irgendetwas anderes, sondern um den Menschen selbst – und den muss man erstmal kennenlernen. Wenn sich dann herausstellt, dass er ein Arschloch ist, dann, weil er ein menschliches Arschloch ist, und nicht, weil er Jude, Moslem, Christ oder sonst etwas ist. Die Freimaurer wollen weg von den Doktrinen und haben sich Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Humanismus und Toleranz auf ihre Fahnen geschrieben. Deshalb fühle ich mich dort so wohl.

Das könnte Sie auch interessieren