Doku "Utopia"

Claus Kleber im Silicon Valley: "Dieser Transformationsprozess des Menschen ist unaufhaltsam"

18.07.2022, 15.47 Uhr
von Eric Leimann

Von wegen Ruhestand: Claus Kleber legt mit einer Doku über das Silicon Valley seinen ersten "Freiberufler"-Film vor, der durchaus nachdenklich macht.

Schon zu "heute journal"-Zeiten stachen seine Moderationen heraus. Claus Kleber, übrigens promovierter Jurist, beließ es selten beim Faktischen, er gab den Menschen immer auch ein Stück weit Interpretation "seiner" Nachrichten mit auf den Weg. Ordnete Dinge in einen größeren Zusammenhang ein. Wurde gern mal philosophisch, grundsätzlich. Manche nervte das – doch Klebers Gedanken waren meist so klug und von einem tief empfundenen Humanismus geprägt, dass man dem "Anchorman" nicht böse sein könnte.

Nun reiste der frisch berentete Journalist zum dritten Mal in 15 Jahren ins nordkalifornische Silicon Valley, um sich seinem Lieblingsthema, der Zukunft der Menschen, zu widmen. In der Dokumentation "Utopia: Irre Visionen in Silicon Valley" (Dienstag, 19. Juli, 23 Uhr) erzählt Claus Kleber, wie nahe wir einem Leben bereits gekommen sind, das viele noch vor kurzem als ziemlich düsteren Science-Fiction-Plot bezeichnet hätten.

prisma: Sie haben bereits 2008 und 2016 Filme aus dem Silicon Valley mitgebracht. Sind die Visionen, mit denen Sie sich damals beschäftigt haben, wahr geworden?

Claus Kleber: Im Grunde schon. In unserem letzten Film wollten wir zeigen, dass das Silicon Valley an viel mehr arbeitet, als nur an Software. Das Valley ist eine komplexe Innovationsmaschine in Sachen Hirnforschung, Medizin, Pharmazeutika, Gebäudebau, Energiesparen und viele andere Themen. Man redet dort gern von "Foundation Technology", also Techniken, die über alle Lebensformen, Industrie- und Wissenschaftsbereiche von großer Bedeutung sind. Der neue Film handelt von noch fundamentaleren Dingen. Von Künstlicher Intelligenz inklusive Eingriffe ins Gehirn. Es geht um Themen wie die Arbeit von des Mensch-Maschine-Interfaces Neuralink oder das neue "begehbare" Internet, das Metaverse. Dinge, die unser Leben und unser Bewusstsein als Menschen radikal verändern werden.

prisma: Spürt man die Wucht des Ganzen erst dann, wenn man vor Ort ist?

Kleber: Da sprechen Sie ein interessantes Phänomen an. Im Prinzip kann man all diese Entwicklungen auch daheim von der Couch aus recherchieren. Aber zumindest ich bin so begriffsstutzig, dass mich der Aha-Effekt erst dann erwischt, wenn ich vor Ort mit den Leuten im Silicon Valley rede. Erst da habe ich kapiert, dass dieser Transformationsprozess des Menschen unaufhaltsam ist. Man wird sich diesem Sog nicht entziehen können. Wir müssen nun schauen, dass Politik und demokratische Instanzen überhaupt noch einen Einfluss auf die Entwicklung behalten, dieser Einfluss ist im System Silicon Valley nicht vorgesehen.

prisma: Sogar Elon Musk fordert im Bereich Künstliche Intelligenz deutlich mehr Regelungen. Hat Sie das überrascht?

Kleber: Ja, natürlich. Er ist schließlich jemand, der sich sonst gegen jede Art vor Regelung wehrt. Doch Elon Musk ist über den Punkt hinaus, wo es ihm um Geld ginge. Ich habe gestern noch mit jemandem gesprochen, der ihn sehr gut kennt, weil er mit ihm Raketen baut. Der Mann ist sich sicher, dass Musk keine Spielchen treibt. Der macht sich ernste Sorgen. Elon Musk hat zwei große Themen: das Bremsen des Klimawandels – daher Tesla. Und dann der Schutz des "human conscience", womit er wahrscheinlich unsere Zivilisation meint. Er will sie vor Asteroiden retten, indem er eine Kolonie mit einer Million Menschen auf den Mars generiert – das wäre dann tatsächlich ein "Planet B". Das ist übrigens kein Hirngespinst. Die so seriöse Zeitschrift "The Economist" hat diesem unterschätzten Szenario immerhin schon mal eine Titelgeschichte gewidmet.

prisma: Aber warum hat Musk so viel Angst vor Künstlicher Intelligenz? Schließlich arbeitet er mit Neuralink, einem Interface, das ins Gehirn implantiert wird, auch an einer Verschmelzung von Mensch und Maschine ...

Kleber: Genau mit diesem Projekt beginnen wir den Film. Doch bei Neuralink geht es darum, unser menschliches Wissen über einen direkten Link mit dem Wissen vieler anderer zu verbinden. Man baut sich quasi einen Booster ein, der einem das gesamte Wissen der Menschheit in Bruchteilen einer Sekunde zur Verfügung stellt. Man tut dies, um in Zukunft im Wettbewerb gegen die selbst erschaffene KI überhaupt noch mithalten zu können.

prisma: Ein anderes Thema, das Sie im Film beleuchten, ist das Metaverse – eine Art virtuell begehbares Internet der nächsten Generation. Mark Zuckerberg und Facebook sind da sehr engagiert. Im Film warnen viele Kritiker vor ihnen. Zu Recht?

Kleber: Das Metaverse wäre ein von Facebook und seinen Algorithmen kontrolliertes Internet, dem man sich mit Haut und Haaren verschreibt. Es ist ja eine durchaus tolle Sache, über 3-D-Brillen und Avatare Freunde überall auf der Welt zu treffen, Dinge fast physisch zu erleben, zu lernen und darauf basierend Entscheidungen zu treffen. Aber – es ist eben auch eine große Gefahr. Facebooks Algorithmen waren immer schon auf Knalleffekte und Krawall gebürstet. Bislang klicken wir da Sachen an mit Tasten oder der Maus. In Zukunft werden dann noch viel mehr Daten von uns ausgelesen, unsere Blicke beispielsweise. Dann wird der Mensch so gläsern und durchleuchtet sein, wie man es sich gegenwärtig noch gar nicht vorstellen kann.

prisma: Aber ist denn schon klar, dass Facebook respektive Meta das Metaverse – und damit das Internet der nächsten Generation – kontrollieren wird?

Kleber: Nein, aber es ist sehr wahrscheinlich. Grundsätzlich gehört das Internet jedem. Ebenso wie nirgendwo geschrieben steht, dass Facebook die Social-Media-Aktivitäten der Welt kontrolliert. Faktisch ist es aber durch deren Firmenstrategie so gekommen. Wenn einem Facebook, Instagram und noch einige andere soziale Plattformen gehören, ist man diesem Zustand schon ziemlich nahegekommen. Auch andere wie Google und Microsoft arbeiten am Metaverse, aber niemand so entschlossen wie Facebook. Sie investieren jedes Jahr unfassbare zehn Milliarden in dessen Entwicklung. Zehn Milliarden pro Jahr nur für eine virtuelle Produktentwicklung!

prisma: Gibt es belastbare Informationen darüber, wann so etwa wie Neuralink oder das Metaverse unseren Alltag bestimmen wird?

Kleber: Die Veränderungen werden langsam, aber stetig kommen. Beides gibt es ja schon. Social Media hat auch nicht über Nacht unser Leben übernommen. Am Anfang standen E-Mails, dann kam das Smartphone und danach die Social-Media-Apps. Auch beim Metaverse wird nicht eines Tages wie von Willy Brandt beim Farbfernsehen ein großer Knopf gedrückt – und das Metaverse ist da. Es wird sich peu à peu entwickeln, wenn die Konsumenten mitspielen. Man muss sich schließlich mit Brillen anfreunden, gegen die es in der Vergangenheit oft Vorbehalte gab. Allerdings sind die neuen 3-D-Brillen auch sehr viel schlanker und angenehmer zu tragen.

prisma: Sie können aber nicht sagen, ob wir den Chip von Neuralink in fünf, zehn oder erst in 20 Jahren im Kopf haben werden?

Kleber: Der Chip von Neuralink könnte sogar etwas länger dauern als 20 Jahren, aber nicht mehr viel länger. Er wird ja jetzt schon eingepflanzt. Allerdings als medizinische Hilfe gegen neurologisch bedingte Lähmungen. Man kann beispielsweise über den Chip Kommandos geben, dass Gelähmte wieder gehen können.

prisma: Und wie sieht es mit dem Metaverse aus? Ab wann werden wir mit Brille das Internet der Zukunft durchschreiten?

Kleber: Das wird schneller gehen. Wir werden es in den nächsten Jahren schon nutzen, und es wird schnell immer attraktiver werden. Ich könnte mir vorstellen, dass wir in zehn Jahren sagen werden: "Ach, das ist ja jetzt ziemlich schnell gegangen." Oder es war ein Rohrkrepierer – das könnte auch passieren. Ich glaube, die Anziehungskräfte des Metaverse werden ziemlich intensiv sein. Ich vermute sehr stark, dass die Sache sehr groß werden wird.

prisma: Sie sagen, das Valley schert sich nicht um Politik. Nun hat sich die politische Weltlage dramatisch verändert: Krieg mit Russland, überall Demokratien unter Druck. Und mit Trump haben die Amerikaner selbst erlebt, wie fragil unser Gesellschaftssystem ist. Müsste das Silicon Valley nicht mehr Verantwortung übernehmen?

Kleber: Das Silicon Valley arbeitet nicht wie Fridays for Future mit den Strukturen der Demokratie, also beispielsweise mit Demonstrationen, um die Welt zu verändern. Das Valley sucht immer technische, nie gesellschaftliche Lösungen. Es gibt sogar Unternehmer im Valley, wie den Paypal-Gründer Peter Thiel, der Trump unterstützt und gegen jegliche Regulierung von Wirtschaft und Gesellschaft durch den Staat ist. Ich finde, je weniger Staat wir stattfinden lassen, desto mehr ist die Demokratie in Gefahr. Wir sollten die Kräfte des demokratischen Staates wieder stärken und ihnen deutlich mehr Kraft und Macht übertragen, um unsere freiheitliche Staatsform zu retten.

prisma: Aber die Gefahr eines totalitären Amerikas oder einer Welt nach der Demokratie sieht das Valley nicht?

Kleber: Das Silicon Valley ist schon für eine freiheitliche Staatsform. Aber vor allem eben Freiheit für Leute wie man selbst. Man glaubt dort nicht an Veränderung durch politische Entscheidungen, sondern eher an Veränderungen durch Kaufentscheidungen. Man bietet Produkte an – und die Menschen stimmen sozusagen darüber ab, was man davon braucht und was nicht. Was nicht gebraucht wird, vergisst man und arbeitet wieder an etwas Neuem. Was eine dringend benötigte politische Vision für unsere Zukunft betrifft, ist das Silicon Valley ein eher destruktiver Ort.

prisma: Kommen wir zu Ihnen persönlich. Ende 2021 haben Sie Ihr letztes "heute journal" moderiert. Sie sind nun offiziell Rentner. Was hat das mit Ihnen gemacht?

Kleber: Bis jetzt recht wenig, da ich das letzte halbe Jahr intensiv an diesem Film gearbeitet habe. Ich hatte sogar eher noch weniger Zeit für anderes als zuvor. Ich feiere jetzt im Juli – durch Corona bedingt – erst meinen Abschied vom "heute journal" mit einer ziemlich großen Schar Menschen. Danach habe ich zum ersten Mal seit ewigen Zeiten Strecken in meinem Kalender, auf denen ich nicht ausgebucht bin (lacht). Wenn ich die "erlebt" habe, kann ich Ihnen die Frage beantworten, wie es mir mit der Rente geht. Ich sehe mich als Freiberufler mit besonders viel Freiheit.

prisma: Aber gibt es Dinge, auf die Sie sich freuen – oder überwiegt die Sorge vor einem Loch?

Kleber: Ich bin sehr gespannt, was es mit mir macht. Es gibt ein paar private Projekte, auf die ich mich freue. Das Wichtigste ist aber sicherlich, dass ich nun mehr Zeit für meine Freunde und meine Familie habe. Ich werde das Glücksgefühl genießen, jemanden zu schreiben: "Hey, wir sollten uns endlich mal wieder sehen – wie schaut es in den nächsten Tagen bei dir aus, ich bin recht flexibel." Ich werde aber sicher auch weiter Filme machen, vorausgesetzt, jemand ist interessiert daran, sie zu finanzieren und vor allem zu senden (lacht). Und es gibt ja auch noch andere Möglichkeiten, sich publizistisch zu betätigen. Mal sehen, was passieren wird.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

Das könnte Sie auch interessieren