ARD-Doku

"Liken. Hassen. Töten." – Wie sich der OEZ-Attentäter im Netz radikalisierte

18.07.2022, 08.44 Uhr
von Franziska Wenzlick

Bei einem rassistischen Anschlag am Münchner Olympia-Einkaufszentrum erschoss David Sonboly neun Menschen.  Wie radikalisierte er sich? Und war er wirklich ein Einzeltäter?

ARD
Liken. Hassen. Töten.
Dokumentation • 18.07.2022 • 22:55 Uhr

Im Sommer 2016 kommen in München durch einen rechtsextremen Täter neun Menschen ums Leben. 2019, in Halle, sterben wieder zwei Menschen, nur wenige Monate später fallen in Hanau erneut neun Personen den Schüssen eines Terroristen zum Opfer. Einzeltäter, sagt die Polizei. Wirklich? In der wohl klügsten Dokumentation, die bislang über das Attentat am und im Olympia-Einkaufszentrum in München gedreht wurde, widersprechen die blutjungen Filmemacher Luca Zug und Alexander Spöri dem Urteil "Einzeltäter" vehement – und zeigen auch, weshalb.

Denn die beiden Münchner, die zum Zeitpunkt der Dreharbeiten von "Liken. Hassen. Töten" (2021, Erstausstrahlung Anfang Juli bei ARTE) gerade einmal 20 Jahre alt waren, wissen: "Einzeln" ist nicht gleichbedeutend mit "allein". So haben sie es sich zur Aufgabe gemacht, das Netzwerk hinter dem Täter David Sonboly zu verstehen. Luca Zug und Alexander Spöri sind zwei Digital Natives, die vielen anderen Filmschaffenden, aber auch den Ermittlungsbehörden hierzulande so einiges vorauszuhaben scheinen – und nicht nur Regie, Drehbuch und Recherche zu zweit gestemmt, sondern für ihre Nachforschungen auch einen eigenen Algorithmus erarbeitet haben, um online schneller nach potenziellen Rechtsterroristen suchen zu können.

Prävention muss online beginnen, bestätigt auch die Extremismusforscherin Julia Ebner im Film. "Viele dieser Menschen sind anonym oder mit Pseudonymen unterwegs und man wird sie nicht sofort offline in ein Deradikalisierungsprogramm bringen können", erklärt sie. Auch Sonboly radikalisierte sich im Internet. Unter anderem auf Steam, einer Gaming-Plattform. Dort gibt es ganz gewöhnliche Chatgruppen – und solche, in denen tagtäglich Frauenhass, Extremismus, Gewalt- und Terrorfantasien ausgetauscht werden. "Das Problem der Szene ist: Man weiß nicht, wie viele Leute es ironisch meinen, und wie viele Leute es ernst meinen", sagt ein Insider.

Über Monate hinweg sind Zug und Spöri undercover in den Netzwerken aktiv, in denen sich einst auch Sonboly über seine Anschlagpläne austauschte. Ein junger Mann aus Baden-Württemberg – er bleibt anonym und wird "Paul" genannt – erklärt sich bereit, mit den Regisseuren zu sprechen. Er stand 2016 über entsprechende Chatgruppen mit dem Münchner Attentäter in Kontakt, plante selbst, seine Schule in die Luft zu sprengen: "Je mehr ich mich in der Online-Community aufgehalten habe, desto mehr wurde ich bereit, zu töten. Das war für mich wie eine Mission, auf der ich bin: Leute zu töten, einfach nur, um etwas gemacht zu haben." Heute versteht sich Paul als Aussteiger, will aufklären.

Gewaltbereite Rechtsradikale sind gut vernetzt

"Den potenziellen Täter zu übersehen und nur als böse darzustellen, hilft keinem", betont er. "Man muss die Ursache angehen und mit der Person reden." Seiner Ansicht nach ist es schwierig, es ohne Hilfe aus dem Sog der Radikalisierung zu schaffen. Auch, weil die Grenzen zwischen rechtsextremen Gruppen und Amokgruppen immer mehr verschwimmen; Die Inhalte überschneiden sich häufig.

Wie der Film zeigt, sind gewaltbereite Rechtsradikale online gut vernetzt: Die Kontakte reichen von Deutschland und Österreich über Polen, die USA und Schweden bis nach Südamerika. Gefährder, mit denen auch Zug und Spöri für ihre Recherchen chatteten, sind bis heute weltweit aktiv. "Sie rekrutieren Jugendliche, leiten zum Bombenbau an und helfen bei der Anschlagsplanung", berichtet das Duo. "Sie erzählen uns, dass die Behörden bei ihnen noch nicht vor der Tür standen."

Nutzernamen wie "Ivan der Judenjäger" scheinen die Ermittler nicht auf den Plan zu rufen – ganz im Gegensatz zu den Nachforschungen für die Dokumentation: Fünf Monate nach Drehbeginn bekommt Spöri unerwarteten Besuch vom Staatsschutz. Einige Wochen später werden sogar Handys, Laptops und Festplatten der Filmemacher konfisziert. "Es gibt sehr viel Aufholbedarf in Deutschland und auch in anderen europäischen Ländern", urteilt Extremismusforscherin Ebner – und behält recht: Der Hinweis an den deutschen Staatsschutz bezüglich Spöris Internetaktivitäten kam aus den USA, vom FBI.

Liken. Hassen. Töten. – Mo. 18.07. – ARD: 22.55 Uhr


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

Das könnte Sie auch interessieren