Klimadebatte

ZDF-Wettermann Özden Terli: "Wir erleben Verdrängung und Ignoranz"

von Frank Rauscher

Als Meteorologe beschäftigt sich Özden Terli mit dem Wetter – und dem Klima. Statt auf Alarmismus setzt der ZDF-Wettermann auf die Kraft der Erklärung – und auf die Politik.

"Das Wetter ist bei uns eine Nachricht. Die Information steht im Mittelpunkt und nicht der Showeffekt", befand schon in den 90er-Jahren der Meteorologe Ulrich Franz, der damals für den Wetterbericht im ZDF zuständig war. Das Wetter ist für viele Zuschauer oft die wichtigste Meldung des Tages – die Vorhersage gehört nicht ohne Grund seit der ersten "heute"-Sendung vom 1. April 1963 zu den Nachrichten im Zweiten, und an der Herausforderung hat sich in all den Jahren wenig geändert: Es geht darum, Hochkomplexes herunterzubrechen auf eine leicht verständliche, exakte News von größtmöglicher Alltagsrelevanz. Aber auch wenn die Wetter-Erklärer heute vor gigantischen, animierten Hightech-Karten stehen und die Präsentation um einiges genauer ist und tiefer greift als vor zwei Jahrzehnten, werde "die Wissenschaftskommunikation gnadenlos unterschätzt", sagt Özden Terlin (51). Der Diplom-Meteorologe und ZDF-Wetter-Moderator spricht im Interview nicht nur über die Zusammenhänge von Klima und Wetter, er beschreibt auch, mit welchen Widerständen er es im Alltag mithin zu tun hat, denn: "Bestimmte Leute erreicht man nicht mit Fakten."

prisma: Sie beschäftigen sich von Berufs wegen mit dem Smalltalk-Thema Nummer eins: Nervt es nicht, ständig aufs Wetter angesprochen zu werden?

Özden Terli: Nein, überhaupt nicht. Aber es stimmt: Ich werde immer und überall nach dem Wetter gefragt – das ist mein Job, kein Problem! Es gibt auch viele Abende, an denen ich Teile des Wetterberichts schon ein paarmal im Aufzug oder im Flur kommuniziert habe, bevor ich ihn endlich im "heute-journal" vor der Kamera zum Besten geben darf.

prisma: Was wollen die Leute von Ihnen wissen?

Terli: Während sich die Gespräche im Kollegenkreis eher um die Wetterlage für die geplante Grillparty drehen, geht es draußen mehr ums Ganze. Da werde ich öfter mal auf den Klimawandel angesprochen. Man merkt, dass sich die Leute viel damit beschäftigen.

prisma: Reden Sie lieber übers Wetter oder übers Klima?

Terli: Ich rede gerne über beides, es hängt ja eng zusammen. Ich komme aus der Wetterbeobachtung – wenn wir im Fachjargon über das Wetter sprachen, war damit immer ein Ereignis gemeint: ein Gewitter, ein Starkregen, ein Sturm ... – "Es kündigt sich ein Wetter an", sagen wir, und es gibt kaum etwas, das spannender ist als das: Es ist faszinierend, wenn man schon eine Woche vor einem Herbststurm sehen kann, warum, wie und dass er sich zusammenbraut. Der Sturm existiert noch gar nicht, aber wir können ihn schon berechnen. Beim Klima wiederum sind es die gravierenden langfristigen Veränderungen, die ich hochspannend finde: Wie kann es sein, dass sich etwas derart Komplexes wie das Weltklima gerade in so kurzer Zeit massiv verändert? Wer die Zusammenhänge der Klimakrise verstanden hat, bekommt sie nicht mehr aus dem Kopf. Das höre ich auch von anderen.

"Wir leben schon mitten in der Klimakrise!" 

prisma: Dann also direkt hinein in Ihren Alltag: Während der Januar hierzulande wieder zu warm war, schneite es in Griechenland und in der Türkei. Wir hatten Hitzewellen in Australien und Südafrika, in Kalifornien brennt schon wieder der Wald. Was ist los?

Terli: Wir leben schon mitten in der Klimakrise! Sie bringen es bereits auf den Punkt: Wir brechen laufend neue Rekorde, das Außergewöhnliche ist zur Normalität geworden. Wobei, von neuem Normal kann man auch nicht reden, es ist ja kein neuer Zustand, das Wetter verändert sich weiter und wird extremer.

prisma: Klimaleugner würden Ihnen vermutlich entgegenhalten, dass sie davon nichts merken, weil wir hierzulande ein geradezu langweiliges Winterwetter haben ...

Terli: Ja, klar – so was höre ich in der Tat manchmal. Fakten kann man leugnen – es bringt nur nichts. Dass wir jetzt im Westen Europas einen eher ruhigen und milden Winter erleben und fast permanent hohen Luftdruck haben, passt tatsächlich ins Bild des Klimawandels: Diese meridionalen Lagen, die riesigen Hochs, die lange steckenbleiben und alles andere blockieren, gab es in den 80er- und 90er-Jahren nicht in der Häufigkeit. Und während bei uns die Hochdruckgebiete liegen, rutschen die Tiefs aus dem Nordosten an uns vorbei nach Süden, sodass es am Mittelmeer schneit. Der Schnee in der Türkei und die stabilen Hochs in Westeuropa – das hängt alles zusammen und hat, vereinfacht formuliert, wiederum mit dem Jetstream zu tun.

prisma: Wissenschaftler haben nachgewiesen, dass der schwächelnde Jetstream eine direkte Folge des Klimawandels ist ...

Terli: Genau. Die Klimakrise wirkt auf die Zirkulation in der Atmosphäre, die weltweit das Wetter in den vergangenen Jahren verändert hat. Zu den Ursachen gehört die chemische Zusammensetzung der Atmosphäre, die durch menschliche Eingriffe verändert wurde. Wir erleben nun beispielsweise Hitzewellen und Hochwasserereignisse in nie gekanntem Ausmaß – unter anderem wurde nachgewiesen, dass auch die Flutkatastrophe im Ahrtal letzten Endes auf den Einfluss des Menschen aufs Klima zurückzuführen ist. Darüber können wir nicht mehr hinweggehen.

prisma: Müsste die Wissenschaft noch lauter Alarm schlagen?

Terli: Ach, ich weiß nicht, ob mehr Alarm der richtige Weg ist – der Ball liegt doch längst bei der Politik. Es wird seit vielen Jahren auf all das hingewiesen, die Fakten liegen auf dem Tisch, und jeder, der auch nur halbwegs auf die Forschung vertraut, weiß, dass es gravierende Veränderungen braucht – richtig große Maßnahmen, die nicht jeder Mensch für sich, sondern nur die Politik angehen und durchsetzen kann. Ich denke nicht, dass es noch an Kenntnis mangelt, es hapert auch nicht an der Vermittlung, die Wissenschaft tut in dieser Hinsicht, was sie kann. Es geht um die Umsetzung – und die Umsetzung muss politisch gewollt sein.

"Bestimmte Leute erreicht man nicht mit Fakten"

prisma: An Gegenwind mangelt es aber auch nicht gerade – auch nicht an Skepsis gegenüber der Wissenschaft.

Terli: Ja, bestimmte Leute erreicht man nicht mit Fakten. Das sieht man auch an der Corona-Situation – da erleben wir im Grunde all das, was wir schon seit Jahren von der Klimadebatte kennen.

prisma: Inwiefern?

Terli: Na ja, manche sagen sich: "Was geht mich das an?" und schalten auf Durchzug. Andere folgen politischen Ideologien, verdrehen Fakten, präsentieren alternative Wahrheiten, wieder andere werden aggressiv, greifen Politiker und Wissenschaftler an ... – Wir erleben Verdrängung und Ignoranz. Das ist alles nichts Neues. Wir Wissenschaftler kennen das seit 30 Jahren. Durch die sozialen Medien hat jedoch die Wucht enorm zugenommen. Es ist für mich immer wieder aufs Neue erschreckend, dass ein Teil der Bevölkerung für Wissenschaft überhaupt nicht mehr zugänglich ist. Meine Theorie ist, dass das alles viel mit Angst und Verunsicherung zu tun hat – bei Corona wie beim Klimawandel. Was man dagegen tun kann, weiß ich jedoch auch nicht. Ich weiß nur: Die Hintergründe müssen wir im Blick behalten und weiter erforschen.

prisma: Was meinen Sie?

Terli: Dass wir noch zu wenig über diese Beharrungskräfte in unserer Gesellschaft und über die Gegner der Klimaschutzmaßnahmen wissen! Da müssen wir über bestimmte Medien reden, über gewisse Parteien, über Troll-Fabriken und den Einfluss aus anderen Staaten, aber womöglich auch über die Ölindustrie, die ein großes Interesse daran haben dürfte, dass alles möglichst lang so weitergeht wie bisher. Fakt ist: Es wird Stimmung gemacht, und da muss angesetzt werden.

prisma: Aber wie?

Terli: Warum denn nicht mit positiver Kommunikation seitens der Politik? Man könnte doch mal über die Chancen des Strukturwandels reden, über das Potenzial für unsere Wirtschaft, auch darüber, wie toll es ganz grundsätzlich wäre, wenn es uns gelänge, die Schöpfung zu bewahren. Erinnern wir uns an den jüngsten Bundestagswahlkampf: Sofern da die Klimapolitik thematisiert wurde, ging es nur um die Lasten und Kosten. Es wird ständig nur um Preise und Abgaben gestritten – als wäre das der Punkt. Dabei weiß doch jeder, dass es richtig teuer wird, wenn wir einfach so weitermachen – das kostet nämlich unsere Existenz auf dem Planeten. Darüber müssten wir ganz offen und vernünftig debattieren. Aber es wird nur gestritten und skandalisiert – vernünftig geht ja fast gar nichts mehr.

"Da wurde mir glatt Propaganda unterstellt"

prisma: Auch TV-Meteorologen sind vor Shitstorms nicht gefeit, oder?

Terli: Das stimmt. Auch ich habe im Netz schon viel Gegenwind abbekommen – zum Teil nur, weil Leuten meine Wettervorhersage nicht in die Freizeitplanung gepasst hat. Bei einer Warnung vor Rekord-Schneefällen auf der Alpennordseite wurde mir glatt Propaganda unterstellt (lacht) – da wurde gegen mich gewütet mit dem Motto: "Früher war's auch schon kalt."

prisma: Wie sehr trifft Sie so etwas?

Terli: Na ja, da hast du jahrelang studiert, bist Diplom-Meteorologe – und dann wird dir das Wissen komplett abgesprochen, und man unterstellt dir, du erzählst im Fernsehen Lügen. Das muss man sich mal vorstellen! Manchmal ist das Ganze aber auch zweifellos orchestriert auf Social Media – da scheint es einigen um eine Agenda zu gehen. Sie wollen den Diskurs in eine Richtung lenken – warum auch immer.

prisma: Wie gehen Sie damit um?

Terli: Ich bin auf Twitter nach wie vor sehr aktiv – mittlerweile halte ich voll dagegen, wenn ich attackiert werde oder wenn mal wieder Aussagen verbreitet werden, die einfach nicht stimmen. Ich versuche immer, mit Fakten dagegenzuhalten und Fakenews zum Thema Klima zu entlarven.

prisma: Sie wollen sagen, man darf sich nicht kleinkriegen lassen?

Terli: Was heißt, man "darf"? – Wir müssen richtig dagegenhalten und argumentieren. Es geht darum, die Realität zu vermitteln, die uns alle betrifft. Es wäre grotesk, hier falsche Vorsicht walten zu lassen. Die andere Seite kennt keine Zurückhaltung, denen geht es doch ums Kleinreden, ums Diskreditieren, ums Mundtotmachen. Sie werfen der Wissenschaft Idiotie und Meinungsmache vor, vergleichen es mit Religion – dabei sind sie es, auf die genau das zutrifft. Lügen als Lügen zu entlarven – das gehört auch zu meinem Beruf, gerade bei einer wissenschaftlichen Ausbildung.

prisma: Sie wurden 2021 mit dem Umweltmedienpreis in der Kategorie Fernsehen ausgezeichnet. "Er bringt Informationen über die Klimakrise ganz selbstverständlich zur besten Sendezeit ins Hauptprogramm", argumentierte die Jury ...

Terli: Ja, natürlich ist das eine schöne Anerkennung, aber besser wäre es, wir könnten tatsächlich über eitel Sonnenschein berichten. Ich würde also lieber auf Anerkennungen verzichten, wenn wir das Problem lösen könnten. Dennoch ist eine Auszeichnung hilfreich und eher ein Signal nach außen, denn ich weiß ja, dass Wetter und Klima zusammengehören. Doch oft wird die Wissenschaftskommunikation gnadenlos unterschätzt, es ist ja "nur der Wetterbericht" ... – Ich darf sagen, dass da einiges Wissen dahintersteckt – und dass wir mit unseren Vorhersagen immer ziemlich gut liegen (lacht). Mal ein lockerer Spruch gehört natürlich dazu – man muss sich schon präsentieren können. Im Grunde eine Analogie zu den Börsennachrichten im TV, die komischerweise keiner unterschätzt.

prisma: Sie fingen 2004 bei ProSieben an ... Wollten Sie von Anfang an vor die Kamera?

Terli: Nein, überhaupt nicht. Aber plötzlich stand ich als Präsentator im Dienstplan. Hölle!

prisma: So schlimm?

Terli: Ja. Ich muss ehrlich sagen, dass mir das zunächst überhaupt keine Freude gemacht hat – das empfand ich als große Stresssituation. Mittlerweile ist es anders: Die Moderationen machen mir viel Spaß – auch weil ich den Text nicht ablese. Ich kann frei sprechen, das klingt lebendiger und auch menschlicher. Gelegentlich darf man sich auch mal versprechen – wir sind ja keine Roboter.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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