Kritik zur Netflix-Serie

"Inventing Anna": Diese Hochstaplerin hat es wirklich gegeben

09.02.2022, 10.22 Uhr
von Julian Weinberger

Eine Hochstaplerin führt die New Yorker High Society an der Nase herum. Die neue Meztflix-Serie beruht auf wahren Begebenheiten und hat eigentlich alle Zutaten für eine packende Story. So richtig zündet die Hochglanzproduktion aber nicht.

"Jeder kennt mich. Ich bin eine Ikone, eine Legende": So stellt sich Anna Delvey (Julia Garner) relativ zu Beginn der neuen Netflixserie "Inventing Anna" (ab 11. Februar) vor. An Selbstüberzeugung mangelt es der narzisstisch veranlagten jungen Dame gewiss nicht. Anders könnte man es sich wohl nicht erklären, dass eine junge Deutsche mit verworrener Herkunft die New Yorker Upper Class jahrelang täuschte und den Superreichen Geld für sündhaft teure Shopping-Touren, Flüge im Privatjet und anderen Luxus aus den Taschen zog. Was nach einem abstrusen Drehbuch klingt, ist eine wahre Geschichte.

Nun ja, wie weit die Serie tatsächlich der Wahrheit entspricht, darf hinterfragt werden. Schließlich schickt die neunteilige Hochglanzproduktion schon vor Beginn der ersten Episoden den "Warnhinweis" voraus: "Diese ganze Geschichte ist absolut wahr. Bis auf die Teile, die komplett erfunden sind." Ein mehr oder minder großer Gestaltungsspielraum der Macher sollte also einkalkuliert werden. So oder so bietet die Geschichte um die vermeintliche Millionenerbin Anna Delvey alias Anna Sorokin ein Faszinosum, sodass man die Serienumsetzung im Vorfeld getrost als eines der spannendsten Streaming-Projekte des Jahres auf der Liste haben durfte.

Nach den hohen Erwartungen holen einen die ersten Eindrücke der Hochglanzserie von Erfolgsproduzentin Shonda Rhimes dann aber doch etwas auf den Boden der Tatsachen zurück. Dabei kann man der Macherin von Serien-Hits wie "Grey's Anatomy" und "Bridgerton" bezüglich des Produktionswerts von "Inventing Anna" nichts vorwerfen. Rasant inszeniert, springt die Serie zwischen schmucken Handlungsorten hin und her, drückt ordentlich aufs Tempo und bleibt nur selten einmal länger an gleichem Ort und gleicher Zeit haften.

Und doch fehlt der Inszenierung der Geschichte, die eigentlich in puncto Außergewöhnlichkeit für sich steht, etwas Essenzielles: ein Sympathieträger oder zumindest eine Figur, mit der man sich vor dem Bildschirm identifizieren kann. Zwar changiert Julia Garner ("Ozark"), die ihr Rollenvorbild im Gefängnis besucht hatte, mit großem Spielwitz zwischen kindlichem Trotz, narzisstischer (Schein-)Überlegenheit und einer unverfrorener Dreistigkeit – dennoch perlt an der teflonartigen Anna Delvey alles ab.

Zwiespalt zwischen Schein und Sein

So auch die ehrgeizige Journalistin Vivian Kent (Anna Chlumsky), deren journalistischer Spürsinn von Delveys Geschichte gepackt wird – und die, nicht ganz uneigennützig, die Geschichte als Chance sieht, sich für einen vergangenen beruflichen Fehler zu rehabilitieren. Erst als Kent bei einem ihrer Gefängnisbesuche bei Anna verspricht: "Ich mache sie berühmt. Bald kennt jeder den Namen Anna Delvey", hat sie die Aufmerksamkeit der Hochstaplerin.

Neben den Gesprächen mit ihrer Protagonistin lässt Shonda Rhimes die Journalistin nach der Nadel im Heuhaufen suchen, lässt sie in die luxuriöse Parallelwelt des Big Apple eintauchen, samt Küsschen links, Küsschen rechts, teuren Kunstauktionen und abgehobenen Bekannten oder Freunden Annas. Die biedere Journalistin kann sich einer gewissen Faszination für den Schicki-Micki-Kosmos nicht erwehren, taucht tief ein in das Jetset-Leben Annas und erlebt den Zwiespalt zwischen Schein und Sein in den sozialen Medien.

Die Journalistin trifft auf exaltierte Modedesigner, machtvolle Philanthropen, visionäre Tech-Genies und andere ehemalige Bekannte und Freunde der Protagonistin. Sie alle eint eine Unnahbarkeit und eine Skepsis gegenüber Außenstehenden ihrer privilegierten Blase. Zwar vermag es "Inventing Anna", Schlaglichter in diese für Normalos hermetisch verriegelte Parallelwelt zu werfen, doch im Ergebnis kommt die Netflix-Produktion zu aalglatt und ohne die nötigen Ecken und Kanten daher. Damit teilt die Serie ein Schicksal mit anderen Hochglanzserien wie "Riviera" (Sky), die sich durch ihre eigene Perfektion limitierten.

Erstaunlich, faszinierend und mitreißend ist die Geschichte hinter der Täuschung Anna Delveys respektive Anna Sorokins aber ohne Zweifel. Dazu sei nicht nur die Lektüre des im New York Magazine veröffentlichten Artikels "How Anna Delvey Tricked New York's Party People" von Jessica Pressler ans Herz gelegt, von der auch die zehnstündige Serien-Adaption inspiriert ist. Mit Spannung darf zudem die HBO-Filmumsetzung der Geschichte erwartet werden. Und von Anna Delvey selbst wird wohl ebenfalls noch zu hören sein. Immerhin kündigte sie im Herbst laut "ABC News" an, ihre Geschichte umschreiben zu wollen. Damals saß die gebürtige Deutsche gemäß US-Medien jedoch noch in Abschiebehaft.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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