Bei "Anne Will"

Annalena Baerbock kämpft im Einzelinterview mit den Tränen: "Erschüttert bis ins Mark"

17.10.2023, 12.41 Uhr

Der Krieg in Israel war Thema in der Talkrunde von Anne Will. Außenministerin Annalena Baerbock wurde im Einzelinterview mit der Moderatorin emotional und musste mit den Tränen kämpfen. Journalistin Natalie Amiri warnte davor, dass eine Bodenoffensive im Gazastreifen den Feinden Israels in die Hände spielen werde.

Wie ist die aktuelle Lage im Krieg in Israel? Wie geht es den Menschen vor Ort? Was passiert mit den Geiseln, zu deren Rettung Deutschland beitragen möchte? Viele bange Fragen stellen sich mit Blick auf den Nahen Osten. Unter dem Motto "Nach dem Terror-Angriff auf Israel – Droht ein Flächenbrand in Nahost?" diskutierte Anne Will am Sonntag im Ersten mit ihren Gästen.

"Unser Ziel sind nicht Zivilisten, sondern Terroristen"

Den Anfang machte Arye Sharuz Shalicar, Sprecher der israelischen Armee: "Das Land steht komplett unter Schock. Ich selber auch", erklärte der in Deutschland geborene Major und Familienvater. Der 7. Oktober, der Tag der verheerenden Hamas-Angriffe auf Isreal, werde ihn "sein ganzes Leben begleiten. Nicht nur mich, sondern ganz Israel".

Shalicar sprach auch über die angekündigte israelische Bodenoffensive. Dass die am Wochenende verschoben worden sei, erklärte er mit dem Schutz der Zivilisten im Norden Gazas: "Die Bewohner des Gaza-Streifens sollen flüchten", erläuterte der Armeesprecher: "Unser Ziel sind nicht Zivilisten, sondern Terroristen." Die Hamas aber rufe die Menschen auf zu bleiben: "Die Hamas möchte, dass ihre Kinder und Frauen ihr Leben verlieren, damit die Welt den Anschein bekommt, dass Israel unschuldige Menschen ermordet."

Aktuell befinden sich laut offiziellen Angaben 150 Geiseln, darunter auch Deutsche, in den Fängen der Hamas. Sie werden seit über einer Woche im Gazastreifen festgehalten: "Es ist Teil unserer Verantwortung, alle uns zur Verfügung stehenden Gesprächskanäle zu nutzen", erklärte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert. Deutschland werde nichts unversucht lassen. Deshalb habe sich Bundeskanzler Olaf Scholz "unter anderem mit einigen Vertretern aus Katar getroffen".

Natalie Amiri warnt Israel vor einem Hinterhalt

Die Kritik an diesen Gesprächen wies Kühnert zurück. Er halte es "für ausdrücklich richtig zu versuchen, auch mit schwierigen Partnern über die Befreiung der Geiseln zu sprechen". Altbundeskanzlerin Angela Merkel habe 2008 gesagt, dass Israels Sicherheit "Teil der deutschen Staatsräson" sei, erinnerte der SPD-General. Im Moment der Bewährung dürfe die Staatsräson "kein leeres Wort sein", habe es damals geheißen: "Der Moment der Bewährung ist jetzt", bekräftigte Kühnert.

Die Journalistin Natalie Amiri sah die geplante Bodenoffensive kritisch, sie warnte Israel vor einem Hinterhalt: "Die Offensive wird enorm viele Bilder von blutenden Kindern hervorbringen, und jedes dieser Bilder ist neues Propagandamaterial für die Hamas", erklärte die frühere Leiterin des ARD-Studios in Teheran.

Zudem warnte Amiri vor einem weiter eskalierenden Konflikt mit dem Iran. Das Mullah-Regime gilt als zentraler Finanzier der Hamas. Zwar sei der Iran an keinem "Flächenbrand" im Nahen Osten interessiert, würde aber "schon zündeln". Im iranischen Staatsfernsehen sei die Bevölkerung dazu aufgefordert worden, sich für den Krieg gegen Israel zu melden. Auch Truppen an der "schiitischen Achse", die sich über den Irak, Syrien und Libanon erstreckt, seien mobilisiert worden.

"Das erschüttert ganz Israel bis ins Mark"

Bereits vor Beginn der Live-Sendung hatte Anne Will ein Interview mit Außenministerin Annalena Baerbock geführt, es wurde im Laufe der Talk-Ausgabe eingespielt. Baerbock hatte am Wochenende mit Vertretern aus Türkei und Katar gesprochen, um sie um Hilfe bei der Befreiung der Geiseln zu beten. "Jegliche Hilfe, die Israel braucht, wird sie von Deutschland bekommen, auch militärische Unterstützung", erklärte die Grünen-Politikerin, "wir können den Terrorismus nicht bekämpfen, wenn Tausende von weiteren unschuldigen Menschen ums Leben kommen".

Zudem sprach Baerbock über die Begegnung mit einem israelischen Familienvater, den sie während ihres Staatsbesuchs kennengelernt hatte und er um seine Angehörigen bangt. "Wenn man das hört und spürt, dann hat man immer wieder dieses Gefühl: 'Mein Gott, das könnten wir alle sein", erklärte die Außenministerin sichtlich betroffen. Dieses Gefühl erschüttere "ganz Israel bis ins Mark".

Die Bundesregierung werde alles dafür tun, um einer Eskalation entgegenzuwirken. Aus diesem Grund habe sie dafür geworben, "dass Staats- und Regierungschefs, die daran interessiert sind, einen Flächenbrand zu verhindern, schnellstmöglich zusammenkommen".

"All die Brutalität, die Frau Baerbock dargestellt hat, ist auch von uns mitfinanziert worden."

Der Historiker und Publizist Michael Wolffsohn kritisierte im Anschluss an das eingespielte Interview die Außenministerin: "Die Ankündigungen sind wunderbar, aber mir fehlt die Selbstkritik", erklärte er und monierte fehlgeleitete Hilfsgelder. "All die Brutalität, die Frau Baerbock dargestellt hat, ist auch von uns mitfinanziert worden." So würde die palästinensische Autonomiebehörde deutsche Finanzhilfen m Gazastreifen kontrollieren.

Kevin Kühnert wiederum verteidigte die in bester Absicht getätigten Zahlungen. "Das Palästina-Portfolio ist das am besten kontrollierte", erklärte er, was er sich durch Gespräche mit Entwicklungsministerin Svenja Schulze noch einmal habe bestätigen lassen. Allerdings könnten Zweckentfremdungen nicht ausgeschlossen werden, wenn auf der anderen Seite Akteure im Spiel seien, "die nichts Gutes im Schilde führen".


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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