Nach dem Bestseller von Bernhard Schlink

"Der Vorleser": Wo die Liebe hinfällt

31.10.2024, 07.32 Uhr
von Frank Rauscher

Kein Film über 'gute Nazis', sondern eine der ergreifendsten Liebesgeschichten der letzten Jahre: Der Vorleser mit Kate Winslet und David Kross als TV-Wiederholung auf ARTE.

ARD
Der Vorleser
Drama • 30.10.2024 • 20:15 Uhr

Darf man das, muss das sein, und gibt es gute Nazis? – Es wurde viel diskutiert vor dem Kinostart von "Der Vorleser" (2008), wie eigentlich immer, wenn im Film versucht wird, dem gewaltigsten aller Verbrechen "ein Gesicht" zu geben. Dabei verstand sich schon der zu Grunde liegende Roman, Bernhard Schlinks Welterfolg, in keinster Weise als dokumentarische Holocaust-Aufarbeitung, sondern vor allem als ergreifende Liebesgeschichte vor problembehafteter Nachkriegskulisse. Stephen Daldrys Adaption, die sich eng am Roman hält, sollte nun ebenfalls nicht als das bewertet werden, was sie gar nicht sein will. "Der Vorleser" ist perfekt gefilmtes, wohldosiertes Gefühlskino – nicht mehr, nicht weniger, und nun auch in der um rund zehn Minuten gekürzten, 115-minütigen TV-Wiederholung ein geradezu ergreifendes Filmerlebnis.

Eine Affäre ohne Zukunft

Die finstere Vergangenheit liegt nicht hinter, sondern noch schwer über dieser Geschichte, die im zerstörten Deutschland der frühen 50er-Jahre ihren Anfang nimmt. Nazis, Weltkrieg, Judenvernichtung – so sehr die Wiederaufbaugesellschaft sich auch dagegen stemmt, die Dämonen sind längst nicht besiegt, sie stecken wie ein giftiger Stachel in der Seele des Landes. Aber ist es nicht endlich Zeit für die Liebe?

Der 15-jährige Schüler Michael (was für eine Entdeckung: David Kross) erlebt sie. Zum ersten Mal und mit einer rätselhaften wie schönen Frau aus seiner Stadt, der Mittdreißigerin Hanna Schmitz (Kate Winslet). Sie zeigt ihm, was Zärtlichkeit bedeutet, er liest ihr als Gegenleistung aus Romanen vor. Behutsam werden das Knistern und die beinahe verzweifelt gierige Erotik zwischen den ungleichen Protagonisten vermittelt. Eine Liebe, die es eigentlich nicht geben darf, erscheint plötzlich stimmig und wunderschön. Der Zauber ist vorbei, als Hanna eines Tages völlig unvermittelt verschwindet. Es ist das Ende einer Affäre, die ohnehin keine Zukunft hatte, aber zugleich auch der Beginn einer lebenslangen, geradezu magischen Verbindung: Vor Gericht sehen sich beide viele Jahre später wieder. Er ist ein hoffnungsvoller Jurastudent, sie sitzt in einem Holocaustprozess auf der Angeklagebank.

Kate Winslet begeistert

Es sei ein "Film über Schuld und Bewältigung", sagt Regisseur Stephen Daldry zwar, aber vor allem ist "Der Vorleser", die werktreue Adaption des Schlink-Bestsellers, eine tieftraurige, mitunter prickelnd erotische Liebesgeschichte, die in gleichem Maße ans Herz greift wie der Roman. "Der Vorleser" ist also weder "Nazi-Film" noch Befeuerung der Diskussion, ob das Kino nun von "guten Nazis" erzählen darf oder nicht.

Wohl dem, der so einen Star hat: Die Kamera feiert die spröde Schönheit und schauspielerische Extraklasse von Kate Winslet ab, dass es eine Freude ist. Sie trägt gemeinsam mit dem deutschen Jungtalent David Kross eine der anrührendsten Liebesgeschichten der letzten Jahre. Kate Winslet, die dafür sowohl den Oscar als auch den Golden Globe erhielt, spielt beides mit unglaublicher Intensität: erst reife Liebhaberin eines 15-jährigen Jungen, dann angeklagtes SS-Monster, schließlich (mit nicht ganz geglückter Maskerade) eine alte Frau im Gefängnis. Eine gewaltige, melancholische Rolle, wie sie auch ein Hollywoodstar nicht alle Tage bekommt. Kate Winslet legte alles hinein: Ohne viele Worte, dafür mit größtem mimischen und körperlichen Einsatz verleiht sie dieser tragischen Figur Wucht.

Ein Abend für Kate Winslet

An ihrer Seite brilliert in einem großartigen Ensemble (Ralph Fiennes, dazu deutsche Stars wie Bruno Ganz, Alexandra Maria Lara, Jürgen Tarrach, Hannah Herzsprung und Burghart Klaußner) der damals 18-jährige David Kross. Er verkörpert glaubhaft den aufgeregten Jungen, der sich in Hanna verliebt, ihr aus Büchern vorliest und, auch wenn die Liebe nur einen Sommer hält, für immer mit ihr, der unglücklichen Analphabetin, leidenschaftlichen Geliebten und verurteilten KZ-Mörderin, verbunden bleibt. Ein stiller Film mit lange anhaltender, bedrückender Wirkung.

ARTE wiederholt das bewegende Drama im Rahmen eines Themenabends über die inzwischen 49-jährige britische Schauspielerin Kate Winslet. Direkt im Anschluss, um 22.10 Uhr, zeigt der Sender die Dokumentation "Kate Winslet, entschieden authentisch" als Erstausstrahlung. Die französische Filmemacherin Claire Duguet porträtiert darin das willensstarke Mädchen aus einer englischen Arbeiterfamilie, das später zur gefragten Schauspielerin und einem "Vorbild ohne Filter und Retusche" wurde.

Der Vorleser – Mi. 30.10. – ARD: 20.15 Uhr


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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