Spielfilm-Kritik

"Die Erscheinung" als Metapher für den Glauben

18.01.2023, 08.35 Uhr
von Andreas Fischer

Ein Kriegsreporter bekommt einen ungewöhnlichen Auftrag des Vatikans. Er soll herausfinden, ob eine 18-Jährige in einem französischen Dorf tatsächlich die Jungfrau Maria gesehen hat. Eins wird dem Journalisten schon bald klar: Einfache Antworten wird er hier nicht finden.

ARTE
Die Erscheinung
Drama • 18.01.2023 • 20:15 Uhr

Die Welt ist Jacques Mayano (Vincent Lindon) schon länger fremd geworden. Der Journalist hat gerade im irakischen Mossul einen Kollegen und Freund verloren und ringt noch mit den Folgen seines letzten Einsatzes als Kriegsreporter, als der Vatikan anruft. Man kenne seine Arbeit und habe einen Auftrag. In einem südfranzösischen Dorf behauptet ein Mädchen, eine Marienerscheinung gehabt zu haben. Weil die Kirche aber lieber ein Wunder zu wenig offiziell anerkennt als einen Betrug zu viel, soll eine kanonische Untersuchung klären, ob "Die Erscheinung" wirklich stattgefunden hat. ARTE zeigt den brisanten Film jetzt erstmals im Free-TV.

Die meisten sogenannten Wunder würden sich schnell von selbst erledigen, wenn man einen Priester oder einen Seelenklempner hinzuzöge, bekommt Jacques Mayano in Rom noch mit auf den Weg. Er soll ein Team aus Psychologen, Exorzisten und Theologen unterstützen und herausfinden, ob Anna (Galatea Bellugi) die Wahrheit sagt oder Teil einer ausgeklügelten Gaunerei ist. Antworten wird der Mann, der schon von Berufs wegen nur an "sichtbare Wahrheiten" glaubt, so schnell nicht finden.

"Der Glaube ist eine freie Entscheidung"

Dass sich Wunder formidabel ausschlachten und kommerzialisieren lassen, dass Busladungen von Pilgern erpicht auf Erlösung sind und dafür bereitwillig in T-Shirts, Souvenirs und Schneekugeln für acht Euro investieren, erwähnt Regisseur Xavier Giannoli mit distanzierter Beiläufigkeit, ohne sich ein Urteil anzumaßen. Dem Filmemacher geht es um etwas anderes. Er lässt seinen Film die längste Zeit in der Schwebe und erkundet behutsam und bedächtig die Topografie zwischen Glauben und Zweifeln.

"Der Glaube ist eine freie Entscheidung", erklärt Anna dem Journalisten, als er sich wie ein Ermittler in einem Krimi in seine Recherchen verbeißt: ein mysteriöser Schrei, eine verschwundene Freundin, zwielichtige Geistliche (Anatole Taubman). Statt Antworten zu finden, muss er sich immer neue Fragen stellen und erkennt schließlich, dass es eine einzige Wahrheit wohl nicht geben kann.

Sehr komplex, sehr ruhig, aber trotzdem spannend: "Die Erscheinung" entfaltet seine Kraft aus den Protagonisten heraus und konzentriert sich auf die Beziehung zwischen der tief religiösen jungen Frau und dem rationalen Mann. Das Mädchen, das sich langsam aufzulösen scheint, das unendlich schwer zu tragen hat an seiner Bürde, und der Journalist, der seine Zweifel zu akzeptieren lernt: Es ist wunderbar anzusehen, wie glaubwürdig und ambivalent die italienische Entdeckung Galatea Bellugi und der französische Haudegen Vincent Lindon miteinander agieren.

Schade ist nur, dass Giannoli am Ende der Mut verlässt, vage zu bleiben. Auch wenn sich der Schluss in seiner emotionalen Glaubwürdigkeit gut in den Film einfügt, ist es doch bedauerlich, dass der Regisseur Mayano Antworten finden lässt.

Galatea Bellugi wurde 2019 für ihre Perforamance in der Rolle von Anna als beste Nachwuchsdarstellerin für den César und für den Prix Lumière nominiert. Vincent Lindon trat im Jahr 2022 als Präsident der Jury der 75. Filmfestspiele von Cannes auf. Er selbst wurde bislang mit dem Darstellerpreis bei den Filmfestspielen von Cannes 2015 sowie mit dem César als bester Schauspieler 2016 für seine Darbietung in "Der Wert des Menschen" (2015) ausgezeichnet.

Die Erscheinung – Mi. 18.01. – ARTE: 20.15 Uhr


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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