"Grenzt an Wirklichkeitsverweigerung"

Impf-Debakel: Helge Braun erntet bei Maischberger viel Kritik

Schnell geimpft werden soll in Deutschland – doch die Realität sieht ernüchternd aus. Bei "maischberger. die woche" versuchte sich Kanzleramtschef Helge Braun an einer Erklärung – und erntete Kritik.

Der große Wirrwarr rund um mögliche Ruhetage an Ostern und die spätere Entschuldigung von Kanzlerin Angela Merkel waren selbstverständlich Thema "maischberger. die woche" am Mittwoch. Doch die Sendung stürzte sich auch auf ein vermeintliches Dauerproblem in der Corona-Pandemie: Die schleppend verlaufende Impfkampagne. "Der Vorwurf, dass zu viel Impfdosen übrig sind und herumliegen, das ist nicht so", erklärte Kanzleramtschef Helge Braun, nachdem Gastgeberin Sandra Maischberger ihn im ARD-Talk mit einer Auflistung Berliner Impftermine konfrontiert hatte. Obwohl dort noch einige Termine für AstraZeneca-Impfungen frei waren, berief sich Braun auf die entsprechenden Rückmeldungen der Ministerpräsidenten. Auf die Nachfrage, ob er es also langsam angehen wolle, lachte CDU-Politiker Braun nur: "Nein, auf keinen Fall."

Man habe auf dem Impfgipfel entschieden, dass die Hausärzte, die flexibler priorisieren können, mitimpfen sollen. "Wir haben jetzt vereinbart, dass die Impfzentren jede Woche zwei Millionen Dosen kriegen und alles, was mehr ist, werden wir die nächsten Wochen in die Hausarztpraxis geben." Helge Braun unterstrich, dass aktuell Priorisierung nach Alter und Vorerkrankungen weiterhin wichtig sei und betonte, dass die Organisation der Impfzentren den Ländern obliege. Einen Fehler dürfe man aufgrund lauter werdender Rufe nach mehr Flexibilität in der Impfkampagne aktuell nicht machen: "Dass wenn man sagt, eine Million Impfdosen sind da, dann kann ich nicht 80 Millionen Menschen darauf Hoffnung machen."

Journalistin Dagmar Rosenfeld bewertete die Impf-Lage der Nation allerdings komplett gegenteilig und griff zu deutlichen Worten: "Es grenzt ja fast schon an Wirklichkeitsverweigerung." 3,3 Millionen Impfstoffdosen seien bis jetzt nicht verimpft worden – insgesamt 23 Prozent aller Lieferungen. Deutschland würde starr an seinen Strategien festhalten, während das Virus selbst wahnsinnig flexibel sei. Einen Grund für die Misere machte der ebenfalls eingeladene TV-Moderator Micky Beisenherz auch in der deutschen Mentalität aus. Man habe es "geschafft, selbst die Impffrage auf eine Buffet-Mentalität herunterzusandalen." Dabei könne es niemand akzeptieren, wenn andere vor einem selbst an der Reihe wären.

Drohen Escape-Varianten?

Das größte Problem sei immer noch mangelnder Impfstoff, merkte Helge Braun an. Allerdings würden die Impfungen in den Impfzentren zunehmend Fahrt aufnehmen. "Wenn wir 24 Stunden am Tag impfen wollen, sieben Tage die Woche, dann können allein die Hausärzte in einer Woche sieben Millionen Dosen verimpfen", machte der Kanzleramtsminister Hoffnung. Momentan ständen aber nur zwei Millionen Dosen zur Verfügung. Im Juni würden dann aber sowohl die Impfzentren, als auch die Arztpraxen voll sein. "Auch wir werden dann sehr schnell den Ausgang aus dieser Pandemie finden".

Dass selbst eine hohe Impfquote in der Bevölkerung gewisse Risiken birgt, legte Physikerin und Modelliererin Dr. Viola Priesemann vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation dar. Sie warnte vor neuen Coronavirus-Varianten, die Impfungen wirkungslos oder zumindest weniger wirksam machen könnten. "Im schlimmsten Fall entwickelt sich eine Variante, die uns zwingt, mit dem Impfen bei null wieder anzufangen", beschreibt Priesemann die schweren Folgen dieses Szenarios.

Die Wissenschaftlerin erklärte, dass sich solche Escape-Varianten dort entwickelten, wo bereits viele Menschen geimpft seien. Diese Varianten könnten den Impfschutz dann umgehen. Es gäbe bereits Hinweise darauf, dass selbst bereits bekannte Mutationen dazu teilweise in der Lage wären. Wenn eine Kombination aus hoher Impfrate und hoher Inzidenz vorherrsche, "dann züchten wir uns hier in Deutschland diese Escape-Varianten", erklärte Priesemann im Hinblick auf den kommenden Sommer.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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