"WIR"-Schauspielerin im Interview

Katharina Nesytowa: "Wir brauchen mehr Vielfalt"

04.10.2021, 10.24 Uhr
von Sarah Schneidereit
Helena (Katharina Nesytowa)
Helena (Katharina Nesytowa)  Fotoquelle: ZDF / Oliver Feist

Grundschullehrerin Helena Kwiatkowski (Katharina Nesytowa) ist dabei, sich mit ihrem Freund Tayo eine gemeinsame Zukunft aufzubauen. Doch dann taucht ihre Jugendliebe Annika auf und stellt sie vor viele Fragen. 

Die Serie "WIR" soll ein junges Publikum ansprechen. Was denken Sie, möchte die Zielgruppe sehen?

Ich glaube, dass Diversität eine wichtige Rolle spielt. Die Leute möchten Menschen mit verschiedener Herkunft, Hautfarbe, Körperform und sexueller Orientierung sehen. Die Vielfalt, die sich in der Gesellschaft wiederfindet, ist auch in unserer Serie sichtbar.

Diversität und Toleranz spielen gerade eine große Rolle. Man könnte der Serie unterstellen, dass sie einfach nur auf einen Zug aufspringt.

Diese Fragen und der Wunsch nach Vielfalt sind schon lange da und stehen mittlerweile – zum Glück – in unserer Gesellschaft im Mittelpunkt. Durch soziale Medien wie Instagram entsteht eine größere Aufmerksamkeit, keine Frage. Aber für mich ist Diversität kein Trend, dem man eine Zeit lang folgt, sondern etwas, das permanent aktuell ist. Das Fernsehen hat eine große Verantwortung, und ich bin gerne ein Teil davon.

Im Fernsehen verfällt man gerne mal in Klischees: Ausländer oder fülligere Personen werden nur besetzt, um eine ganz bestimmte Art von Figur zu verkörpern.

Das ist das Problem: Wir müssen aufhören, zu begründen. Es muss nicht vom Drehbuch erklärt werden, weshalb eine Person mit einem Migrationshintergrund in der Geschichte vorkommt. Oder, um beim Beispiel dicke Person zu bleiben, ohne Fatshaming (Anm. der Redaktion: Abwertung übergewichtiger Menschen) zu betreiben. Es muss ganz normal sein, dass ganz verschiedene Typen in einer Geschichte vorkommen. Ich kenne die Problematik des Begründens ganz gut aus meiner Vergangenheit: Wie oft wurde ich schon auf meine russischen Wurzeln festgelegt und sollte eine Rolle mit russischem Akzent spielen? Es gab schon Diskussionen, wieso meine Filmfigur keinen Akzent habe. Auf die Frage "Wie kann das sein?" habe ich nur geantwortet: Ich bin doch der lebendige Beweis dafür, ich habe auch keinen Akzent.

Stört es Sie, dass Ihre Rollen oft russische Wurzeln haben?

Heute fühle ich mich nicht mehr darauf festgelegt, in der Vergangenheit war das definitiv anders. Es war für mich ein weiter Weg, davon wegzukommen. Im Theater war es nicht so von Bedeutung, aber beim Film sollte ich oft mit Akzent sprechen. Irgendwann hat es so krass überhandgenommen, dass ich mich dagegen gewehrt habe. Dabei spiele ich gerne mit Sprache, Akzenten und Dialekten – nur bitte nicht immer mit denselben. Bei "WIR" haben wir meine eigenen Wurzeln als Bereicherung für die Rolle genutzt, ohne sie zu thematisieren. Den selbstverständlichen Wechsel zwischen den Sprachen, wenn ich zum Beispiel mit meinen Serien-Eltern spreche, kenne ich auch aus meiner eigenen Familie.

Helena stellt in der Serie "WIR" fest, dass ihre Träume auf der Strecke geblieben sind. Gibt es Dinge in der Vergangenheit, die Sie gerne ändern würden?

Ich hätte gerne mehr Mut und weniger Selbstzweifel gehabt. Karl Lagerfeld sagte mal: "Persönlichkeit beginnt dort, wo der Vergleich aufhört." Das trifft es sehr gut. Wir wollen doch alle auf Persönlichkeiten treffen, auch unter den Künstlern. Insgesamt bin ich aber glücklich, dass ich meinen Weg als Schauspielern gegangen bin – gerade auch in jungen Jahren, und dass ich da bin, wo ich heute stehe.

Insgesamt stellt "WIR" sehr viele Fragen übers Leben. Haben Sie sich während des Drehs auch privat mit diesen beschäftigt?

Ja klar. Aber es gibt so viele Fragen, die kann man gar nicht alle während eines Drehs beantworten. Ich denke, es ist ein permanenter Prozess. Es gibt immer eine Tür, die man aufmachen oder auch schließen kann.

Sie haben dieses Jahr bei der ARD-Serie "In aller Freundschaft" nach mehr als 250 Folgen aufgehört. War das für Sie solch eine Erfahrung, die Sie viel gelehrt haben und die dann wie eine Tür geschlossen werden musste?

Um ehrlich zu sein, das beschreibt es ganz gut. Ich bin unglaublich dankbar für diese Rolle. Durch das regelmäßige Drehen habe ich schauspielerisch sehr viel gelernt. Ich hatte am Ende das Gefühl, dass ich mit meiner Figur alle Höhen und Tiefen erlebt habe. Wie ein Buch, das vollendet ist. Es war an der Zeit für mich, zu gehen.

Mit "WIR" nehmen Sie die Zuschauer mit auf eine andere Reise – durch die Mittdreißiger.

Das ist insofern toll, da es gerade für Frauen jenseits der 30 viel zu wenige Rollen gibt. Das ändert sich gerade. Ich finde es auch schön, dass wir Schauspielerinnen in der Serie oft ungeschminkt gezeigt werden. Der Zuschauer sieht Pickel, Cellulite und andere vermeintliche Makel. Ein weiterer Beitrag dazu, Körper so anzunehmen, wie sie sind, und unsere "Unperfektheiten" zu feiern.

  • "WIR", ZDFneo ab Freitag, 15. Oktober, 20.15 Uhr

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