Bei "Maybrit Illner"

Oberst Wüstner warnt vor einer kommenden "brutalen Phase" im Ukraine-Krieg

16.06.2023, 09.37 Uhr
von Christopher Schmitt

Wie effektiv ist die ukrainische Gegenoffensive? Bei "Maybrit Illner" herrschte unter den Gästen große Einigkeit, dass der Krieg in der Ukraine noch lange dauern wird. Der Vorsitzende des deutschen Bundeswehrverbands, André Wüstner, glaubt, die Bilder werden bald noch brutaler werden.

Lange wurde die Gegenoffensive zur Befreiung der von Russland besetzten Gebiete angekündigt, doch die Vorstöße der ukrainischen Truppen kommen nur langsam voran. Die russische Propaganda zeigt Bilder brennender westlicher Panzer, Durchbruchsversuche scheinen abgewehrt zu werden. Andererseits spricht die ukrainische Militärführung von kleinen Geländegewinnen.

Bei "Maybrit Illner" (ZDF) diskutierte die Gastgeberin am Donnerstagabend mit ihren Gästen darüber, wie erfolgreich die Offensive wirklich ist. Über die Einschätzung der Lage herrschte große Einigkeit: Der Krieg in Osteuropa wird noch lange dauern.

"Wir sollten alle begreifen, dass dieser Krieg ein Marathonlauf ist"

SPD-Chef Lars Klingbeil, der aus einer Soldatenfamilie stammt, musste eingestehen: "Der Krieg wird bei dieser Offensive noch mal sehr bewusst." Die gezeigten Bilder seien "grausam" und "gehören zu einem Krieg, den wir alle nicht wollen". CDU-Militärexperte Roderich Kiesewetter ergänzte: "Wir sollten alle begreifen, dass dieser Krieg ein Marathonlauf ist."

Weiter gebe es auf ukrainischer Seite massive Verluste in der Zivilbevölkerung. "Es ist ein Terrorangriff gegen die Existenz der Ukraine", formulierte es der CDU-Politiker. Man habe ein halbes Jahr verloren, nach der letzten ukrainischen Offensive im Herbst sei zu spät gehandelt worden. Auch dank des neuen Verteidigungsministers Boris Pistorius (SPD) habe es sich zum Besseren gewandelt.

Doch Kiesewetter betonte: "Die Ukraine wird ohne unsere Unterstützung den Krieg nicht durchstehen." Dementsprechend gelte es auch, die eigene Bevölkerung darauf vorzubereiten, "dass wir in einen langjährigen Krieg gehen". Die Befreiung der Ukraine sei das Ziel, damit Russland seine "kolonialen Ansprüche aufgebe".

Wüstner: "Der russischen Propaganda würde ich keinesfalls glauben"

Der Diplomat Wolfgang Ischinger betonte, die Ukrainer müssten ungefähr in einer Stärke von 3:1 angreifen. "Man rechnet eigene Verluste ein." Zu den Bildern brennender Panzer deutscher Herstellung erklärte der langjährige Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz: "Ein deutscher Leopard ist nicht unverwundbar, nur weil es ein deutscher Leopard ist."

André Wüstner, der Vorsitzende des deutschen Bundeswehrverbandes, erklärte: "Der russischen Propaganda würde ich keinesfalls glauben." Russland führe "einen Informationskrieg gegenüber dem Westen". Man könne klar herausarbeiten, wo ein zerstörter Kampf- oder Schützenpanzer immer wieder gezeigt werde. Vonseiten der Ukraine befände man sich "in einer Phase massiver Geheimhaltung". Aber Wüstner ist sich sicher: Das Verteidigungsministerium und der Bundesnachrichtendienst hätten einen guten Blick auf die Lage.

Friedensforscherin: Es wird "noch hässlicher"

Zur Grausamkeit der aktuellen Bilder erklärte der Bundeswehr-Vertreter: "Natürlich, da prallen jetzt in den kommenden Wochen oder Monaten Kampftruppen aufeinander." Deshalb werde auch viel Material verloren gehen. "Wir kommen jetzt in eine brutale Phase", stellte Wüstner klar. "Die brutalen Bilder, die Sie jetzt sehen, die werden noch brutaler werden." Insbesondere, weil die russischen Streitkräfte sich über einen längeren Zeitraum in der Verteidigungsposition einrichten konnten.

Aktuell würden ukrainische Truppen nach Schwachstellen an der Front suchen, und wenn sie selbige finden, werde es laut Friedensforscherin Nicole Deitelhoff "noch mal hässlicher": Dann würden größere Truppenansammlungen dort konzentriert.

Wüstner führte aus: In Teilen sei es so, dass die russischen Streitkräfte quantitativ gut aufgestellt seien und die ukrainischen Streitkräfte qualitativ. "Und jetzt muss man die Erwartungshaltung senken". Auch der Bundeswehrmann stellte zur Offensive klar: "Das wird über Wochen und Monate gehen" und es werde auch Gegenangriffe Russlands geben. Aber: "Die Ukraine gewinnt die Initiative zurück." Man sehe, dass Geländegewinne möglich seien.

Klingbeil zu Waffenlieferungen: "Produktion hochfahren"

Was auf ukrainischer Seite hoffnungsvoll stimmt: Wüstner bescheinigt den Kiewer Soldaten nach wie vor eine "brutal gute Kampfmoral". Nach der – O-Ton Wüstner – "Dammsprengung" am Kachowka-Staudamm habe die Wut noch einmal zugenommen, ebenso die Widerstandsfähigkeit in der Zivilbevölkerung. Konfliktforscherin Deitelhoff glaubt jedoch nicht, "dass wir einen so durchschlagenden Erfolg erleben werden, dass wir am Ende dieses Sommers sagen, die Ukraine sei völlig befreit". Auch Ischinger erkennt keine Ermüdungserscheinungen aufseiten der Russen.

Kiesewetter und Klingbeil ("Für die Ukraine kann es nie genug Unterstützung geben") unterstrichen, dass die Waffenlieferungen fortgesetzt werden müssten. Klingbeil: "Was deswegen jetzt passiert, ist, dass wir die Produktion hochfahren. Und da ist der Verteidigungsminister auch dran und bespricht mit der Industrie, dass gerade Munition europaweit massenhaft produziert wird." Die Defizite der Bundeswehr sehe man nun aber sehr deutlich.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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