ARD-Reportage zeigt, wie hart im Jugendsport "ausgesiebt" wird
Die ARD-Reportage "Verlieren verboten" beleuchtet eine Schattenseite des Spitzensports. Der Rat des gescheiterten Profis: "Nimm es dir nicht so zu Herzen. Denn so ein Herz kann auch brechen." Thorsten Albustin weiß, wovon er spricht. Er ist einer, dessen Traum vom Profisportler platzte.
"Du musst nur wollen, du musst alles geben, dann klappt's": Die Motivationsfloskel, in Millionen von Umkleidekabinen, Turnhallen, Wettkampfarenen oder stillen Kämmerlein schon auf Sporttalente eingeprasselt, ist die größte Lüge des modernen Sports. Die Formel "Talent + Fleiß = Erfolg" stimmt nicht, sagt "Rabiat"-Reporterin Lena Oldach in ihrer am späten Montagabend ausgestrahlten ARD-Reportage "Verlieren verboten".
"Wir zwingen keinen."
"Manche geben alles und schaffen es trotzdem nicht", bestätigt Ex-Fußballprofi Pablo Thiam (49). Er war Profikicker und brachte es auf 311 Bundesligaspiele, wurde 2003 mit dem VfL Wolfsburg Deutscher Meister und mit dem FC Bayern München 2001 Weltpokalsieger. Er hat es geschafft. Und das, obwohl "mir mit 19 auch jemand sagte, dass es bei mir nicht reicht".
Thiam hat nun die Seiten gewechselt, er scoutet, er schürft im Nachwuchsbereich nach zweibeinigem Kicker-Gold. Er weiß, dass es nur die wenigsten schaffen, aber als "Zerstörer von Träumen", wie ihn die Reporterin nennt, sieht er sich nicht: "Wir zwingen keinen."
Nur ganz wenige schaffen es
"Verlieren verboten" berichtet vom "mörderischen Druck" im Leistungssport. Die Erkenntnis aber, dass es von jenen, die wirklich ganz nach oben wollen, nur die wenigsten schaffen, ist auch nicht wirklich neu. Und übrigens auch nicht auf die Sportwelt beschränkt. Nur zwei Prozent aus den Kaderschmieden der Fußballklubs schaffen es irgendwann in einen Profikader, was mit "Ziel erreicht" gleichgesetzt wird.
Ähnlich gering dürfte die Quote derer sein, die sich als "Influencer" mit Videos und Posts bei Instagram & Co. versuchen und irgendwann tatsächlich von diesem boomenden Beruf leben können. Der Rest? Wird sich umschauen müssen. So wie das aussortierte Fußballtalent.
Und wie mag es wohl bei den Motorradsportlern, den Radrennfahrern oder aber auch den Möchtegern-Schriftstellern oder -Schauspielern aussehen? Die Zahl der Strahlenden ist immer geringer als die derer, die es nicht nach oben schaffen. Die Reportage beschäftigt sich nach eigenen Angaben mit der Frage "Wo bleiben die Verlierer unter den über 90.000 Profisportlern in Deutschland?" In erster Linie geraten sie – so sie jemals im Rampenlicht standen – in Vergessenheit. Denn: "Deine Geschichte ist nur so lange interessant, wie du erfolgreich bist."
Burnout und Depressionen
Das hat Louisa Grauvogel (26) am eigenen, in elf Jahren Siebenkampf-Training geschundenem Leib erfahren, vor allem aber an der geschundenen Seele. Sie war Olympia-Hoffnung für 2024 in Paris, als sie im Herbst 2022, von Depressionen und Burnout gebeutelt, alles hinschmiss. Jetzt führt sie endlich kein fremdbestimmtes Leben mehr, kann sich mit Freund Tim ein Weinchen gönnen, wann immer sie will, und guckt "Germany's next Topmodel" – früher wäre beides undenkbar gewesen. Grauvogel holte bei der U18-WM Bronze, ebenso bei der U20-EM. Aber sie hat für die Plätze auf dem Podium einen hohen Preis gezahlt.
Grauvogel ist ein Beispiel für jene, die freiwillig aufhören. Die sich – zum Glück – irgendwann eingestehen, dass es nicht reicht und dass es nicht gesund sein wird, es weiter zu versuchen. Das sollten sich viel mehr ambitionierte Sportler eingestehen, sagt der Sportpsychologe: "Wer seinen Selbstwert daran festmacht, ob er gewinnt, bekommt definitiv ein großes Problem. Denn es kann nur einer gewinnen." Die überwiegende Mehrheit verliert, Fakt.
"Dropuut": Jeden Tag kann das Aus kommen
Und es kann schnell gehen. Der "Dropout" droht jederzeit, jedenfalls für die Talente in den Kaderschmieden. Egal ob im Fußball oder im Turnen. Für Mathis (12) war es nach einem Teamgespräch im Leistungszentrum von Borussia Dortmund ganz fix vorbei. "Bei dir geht's nicht weiter, weil du zu klein bist." Ein Schock für den Zwölfjährigen, der seit acht Jahren Fußball spielt. Eben war er noch "erster Torwart", dann aussortiert, innerhalb einer Saison.
Es kann noch schneller gehen, das weiß Thorsten Albustin (49). Der lebte auch für den Posten zwischen den Pfosten und er hatte es geschafft. Im Mai 1999 schlug seine Stunde, als sich die drei vor ihm rangierten Torhüter von Borussia Mönchengladbach unpässlich zeigten. Da wurde Albustin, eigentlich Oberliga-Keeper, aktiviert und "stieg mit den Leuten in den Mannschaftsbus, die ich nur aus dem Fernseher kannte".
In Freiburg wurde Albustin zum "Elfmeterhelden", denn er parierte – sehr souverän – einen Strafstoß. War zwar nicht wichtig, denn Gladbach stand schon als Absteiger fest und verlor auch in Freiburg 1:2. Aber die Fans feierten ihren Aushilfshelden. "Sie riefen Albustin, Fußballgott." Er war im Himmel.
Olympia-Hoffnung Emma Malewski: "Man muss Opfer bringen"
Zwei Wochen später landete er in der Hölle. Am vorletzten Bundesligaspieltag kickte Gladbach in Bremen. Albustin ließ in der sechsten Minute einen relativ harmlosen Ball durch die Hände flutschen und leitete die 1:4-Pleite ein. "Ich sah den Ball über die Linie kullern und wusste in diesem Moment, das war's." Er behielt recht.
Sein zweites wurde sein letztes Bundesligaspiel. Von "Hero to Zero" in zwei Wochen. Er brauchte lange, um aus dem mentalen Loch zu kommen, hatte Angststörungen und Panikattacken. Seine Lehre, die er zog, gibt er dem Talent Mathis, das er als Privatcoach schult, weiter: "Nimm dir nicht alles so zu Herzen. Denn so ein Herz kann auch brechen."
Die Reportage stellt auch Emma Malewski vor. Die 20-jährige Turnerin ist Olympia-Hoffnung. Sie ordnet seit Jahren alles ihrem Sport unter. "Man braucht schon mal einen Arschtritt", gibt sie zu und dass "Leistungssport heftig, auch nervenaufreibend ist". Aber: "Man muss auch Opfer bringen, wenn man vorwärts kommen will." Und immerhin kam sie schon vorne, also ganz oben an: Sie wurde 2022 Europameisterin am Schwebebalken.
Fall Pablo Thiam zeigt: Nicht nur Youngster können scheitern
Von daher passt sie gar nicht so in die Reportage. So als Erfolgreiche. Aber das kann sich noch ändern. Emma, die seit acht Jahren im Sportinternat in Chemnitz lebt, noch nie samstags feiern war und ihre Eltern eigentlich nur noch auf Wettkämpfen mal kurz sieht, kämpft mit Formschwankungen und muss aktuell, sagt Reporterin Lena, sogar ums Olympia-Ticket bangen.
Es wird, sollte sie Paris wirklich verpassen, kein Trost sein, aber scheitern kann man auch später: Pablo Thiam wurde gerade als Leiter der Nachwuchsakademie von Hertha BSC Berlin gefeuert.
Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH