ZDF-Talkrunde

Röttgen warnt bei Lanz vor "Humanitätsproblem": "Es werden Menschen als Erpressung und Geiseln genutzt"

10.05.2023, 08.17 Uhr
von Natascha Wittmann

Der amtierende Präsidenten Recep Tayyip Erdogan oder der Herausforderer Kemal Kilicdaroglu - Wer wird der Sieger der Wahl in der Türkei werden, die am 14. Mai stattfindet? Die Chancen der beiden Kandidaten und die Zukunft des Landes waren unter anderem Thema in der Talkrunde von Markus Lanz. Norbert Röttgen warnte vor einem "Humanitätsproblem" in der Asyl- und Migrationspolitik.

Seit dem 28. August 2014 regiert Recep Tayyip Erdoğan als türkischer Staatspräsident. Zuvor erkämpfte er sich als Ministerpräsident den Weg nach oben. Doch am Sonntag, 14. Mai, könnte sich das Leben des umstrittenen Politikers schlagartig ändern. Viele Experten prognostizieren bei der Parlaments- und Präsidentenwahl ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu. Auch bei "Markus Lanz" war der Wahlkampf in der Türkei das Thema am Dienstagabend. Dabei warf CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen auch einen Blick auf die türkische Migrationspolitik.

"In der Türkei nimmt die Feindlichkeit gegen Flüchtlinge stark zu"

Autorin und Journalistin Çiğdem Akyol sprach die angespannte Stimmung im Land an, die das Leben vieler Flüchtlinge erschwere: "In der Türkei nimmt die Feindlichkeit gegen Flüchtlinge stark zu. Die Flüchtlinge sind in der Türkei nicht mehr willkommen. Stellen Sie sich vier Millionen Zugezogene in Deutschland vor – was hier los wäre!" Akyol erläuterte, dass Kilicdaroglu plane, die Flüchtlinge bei einem Wahlsieg innerhalb von zwei Jahren in ihre Herkunftsländer zurückzuschicken: "Es geht um 3,5 Millionen Syrer und Afghanen und Iraker."

Gleichzeitig ergänzte die Journalistin mit kurdisch-türkischen Wurzeln bei "Markus Lanz": "Es wird natürlich nicht gelingen, 3,5 Millionen Flüchtlinge ad hoc zurückzuschicken, aber ich denke schon, dass etwas nach der Wahl geschehen wird." Eine Vermutung, die CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen nicht teilte. Er nannte die Drohung von Kilicdaroglu eine "Demagogie des Wahlkampfes". Dies brachte Çiğdem Akyol auf den Migrationsdeal, der 2016 zwischen der Türkei und Europa geschlossen wurde, zu sprechen.

Die Journalistin kritisierte den Deal, der der Türkei Milliardenhilfen zusicherte, sofern sich das Land bereiterklärte, Gelflüchteten Unterschlupf zu gewähren und Fluchtrouten zu sichern. Die Bundesrepublik habe sich gemäß Akyol "moralisch sehr verwundbar und erpressbar gemacht" habe. Der Historiker und Moskau-Korrespondent der "Zeit", Michael Thumann, stimmte zu: "Der Rest der Welt schaut auf uns als einen sehr verwundbaren Kontinent mit durchlässigen Grenzen."

Akyol weiter: "Wenn die Wahl von Kilicdaroglu gewonnen wird, hat man angekündigt, dass man den Migrationsdeal mit der EU nochmal überprüfen will. Man will nicht mehr als Pufferzone gelten." Die Autorin stellte daraufhin mit ernster Miene im Gespräch mit Markus Lanz klar: "Das Thema Migration ist in der Türkei ein echtes Thema. Da wird auch auf Deutschland etwas zukommen, je nachdem, wie die Wahlen am Wochenende ausgehen." Die Türkei sei das Land, "das weltweit die meisten Flüchtlinge aufgenommen hat". Deshalb seien Flucht und Migration als Themen auch im Wahlkampf sehr präsent gewesen, insbesondere für Kılıçdaroğlu, schilderte Akyol.

Chance auf Veränderung in der Türkei?

Erdogans Herausforderer habe deshalb laut der Journalistin große Chancen auf einen Sieg: "Es ist das erste Mal, dass die oppositionelle Partei eine echte Chance hat." Michael Thumann schloss sich an: "Das wäre ein gewaltiges politisches Beben. Und das wäre auch ein Hoffnungszeichen, das weit über die Türkei hinausreichen würde." Doch selbst bei einem Wahlsieg des Oppositionsführers könne Erdogan danach erneut gewählt werden: "Und darin liegt mittelfristig die Gefahr."

Diese Meinung konnte Journalist Veit Medick nicht ganz teilen, denn: "Mich würde es überraschen, wenn Erdogan verlieren würde. Er hat einen riesigen Staatsapparat, mit dem er Wahlkampf machen kann. Ich glaube aber nicht, dass, wenn er verlieren sollte, sich die Türkei über Nacht verwandelt." CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen prognostizierte derweil für Sonntag "eine Stichwahl" in 14 Tagen.

Gleichzeitig warnte Röttgen bei "Markus Lanz" davor, die Asyl- und Migrationspolitik im Land schleifen zu lassen: "Mein Plädoyer für einen deutschen, nationalen Konsens ist eigentlich nur die Vorstufe dazu, dass man eine europäische Antwort darauf findet." Insgesamt machte der CDU-Politiker "ein Humanitätsproblem" aus: "Wir sind moralisch verwundbar. Es werden Menschen als Erpressung und Geiseln genutzt."

Daraufhin kritisierte Markus Lanz in Richtung Röttgen: "Wir brauchen momentan zweieinhalb Jahre, um überhaupt das Asylverfahren zu durchlaufen!" Norbert Röttgen gab zu: "Bei existentiellen Themen bleiben wir nicht dran und nutzen die Ruhephase nicht, um zu Lösungen zu kommen. Wir haben es mit absehbaren Entwicklungen zu tun. Die Politik fängt an, zu reagieren und zu reparieren, wenn der Schadensfall da ist."


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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