"Heile Welt"

Was macht man mit diesem "Tatort"?

28.08.2022, 08.47 Uhr
von Eric Leimann

Bevor es im September mit neuen Fällen weitergeht, steht eine letzte "Tatort"-Wiederholung auf dem Programm. Ein Spaß für die Zuschauer ist "Heile Welt" allerdings nicht – weil der Titel alles andere als Programm ist.

ARD
Tatort: Heile Welt
Kriminalfilm • 28.08.2022 • 20:15 Uhr

Im Gerberzentrum, einer tristen Hochhaus-Siedlung in Dortmund, steht die Welt Kopf. Wenn es dort im "Keller" brennt, inklusive Fund einer verkohlten Leiche, muss man bis in oberste Stockwerk fahren, um die Abstellräume zu begutachten. Erwischt hat es eine junge Bewohnerin, im vierten Monat schwanger. Umgekommen ist sie jedoch nicht durchs Feuer, sondern durch den "klassischen stumpfen Gegenstand" (selbstironischer "Tatort"-O-Ton), der sie zuvor hart am Kopf getroffen hat. Die Neue in der Dortmunder Mordkommission, Rosa Herzog (Stefanie Reinsperger), lässt das Handy der Toten auswerten und untersucht mit ihren Kollegen Peter Faber (Jörg Hartmann), Martina Bönisch (Anna Schudt) und Jan Pawlak (Rick Okon) deren Wohnung. Die Verdächtigen in "Tatort: Heile Welt" stehen stellvertretend für den Mikrokosmos jener Hochhaus-Siedlung mit heruntergekommenem Einkaufszentrum, in dem der Fall spielt.

Da sind Hakim Khaled (Shadi Eck), Sohn des örtlichen Imams, aber möglicherweise auch als Drogendealer unterwegs, und ein Hausmeister (Sven Gey) mit Kontrollzwang und Liebe zur Kameraüberwachung. Schließlich gibt es noch den netten Computertypen (Jürg Plüss), der nach der Pleite seines Ladenlokals ("wegen Corona") illegal in einem mit alten Zeitungen verklebten Glaskasten lebt, der früher sein Geschäft war.

Das Personal in "Heile Welt" (Drehbuch: Dortmund-Stammautor Jürgen Werner) besteht aus Sozialfällen, Migranten ohne Chance sowie rechten und linken Demagogen. Wutbürger sind sie alle auf ihre Art. Jedes Ereignis im Gerberzentrum wird per Handy aufgenommen, in soziale Netze gepostet und umgehend hundertfach kommentiert. Regisseur Sebastian Ko ("Helen Dorn") nutzt hierfür das Stilmittel Dutzender aufpoppender Nachrichten auf dem TV-Bildschirm. Wird ein Migrant verhaftet, zücken dessen Kumpel sofort ihr Smartphones wie eine Waffe und stellen das Ereignis ins Netz.

Die linke Aktivistin Annika Freytag (Jaëla Probst) hingegen verbreitet den scheinbar intimen Austausch der Kommissare mit dem rechten Politiker Nils Jacob (Franz Pätzold), um der Polizei – und insbesondere Martina Bänisch – eine Nähe zu faschistischen Kräften zu unterstellen. Alle Posts und Kommentare haben gemein: Fakten werden so behandelt, wie man sie gerne sehen möchte. Die Dortmunder Außenseiter-Welt ertrinkt in einem Meer aus Fake News.

"Tatort"-Krieg in den Städten

Dass diese Welt am Rande des Kollaps steht, erfährt der Fernsehzuschauer gleich zu Beginn des Films, der mit kriegsähnlichen Gewaltszenen aufmacht. Danach die Einblendung: "48 Stunden vorher". Das in letzter Zeit so gerne verwendete Stilmittel des erzählerischen Vorgriffs plus der Frage, wie es so weit kommen konnte, soll es mal wieder richten. Dass "Heile Welt" genauso hoffnungslos wie manch anderer Dortmunder "Endzeitfilm" zuvor daherkommt, daran kann auch die zarte Liebesgeschichte der vom Leben zerknitterten Kommissare Faber und Bönisch nichts ändern. Zumal diese Liebe weiterhin unerfüllt bleibt. Auch deshalb, weil Bönisch sich ein bisschen mit dem Leiter der KTU, Sebastian Haller (Tilman Strauss), eingelassen hat. Faber leidet dazu wie ein Hund.

Was macht man nun mit diesem "Tatort"? Erzählerisch ist der Krieg im Kiez schon ziemlich dick aufgetragen. Mit Figuren, die mitunter nah am Klischee wandeln. Trotzdem – und auch das ist Dortmunder Usus – gibt es wunderbare Ideen und Szenen in diesem dystopischen Rausch, der ein Deutschland der "Hater" und sozialen Medien-Honks anprangert. Wer Letztere analytisch betrachten möchte, sollte auf die Mediatheken-Version des "Tatorts" zurückgreifen und dort immer wieder mal die Stopptaste betätigen. So kann man sich die aufpoppenden (gut ausgedachten) Netz-Kommentare detailliert reinziehen, was im Live-Modus unmöglich wäre. Kommissar Faber würde jedoch von dieser Methode abraten. Der ganze neumodische Kram hat die Welt offensichtlich nicht besser gemacht. Nach Ansicht dieses "Tatort"-Kriegs in den Städten, muss man dem Mann leider recht geben. Am Sonntag danach, am 4. September, endet übrigens die Zeit der "Tatort"-Wiederholungen im Sommer 2022. Mit dem Fall "Das Verhör" nimmt das Ludwigshafener Revier mit Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) und Johanna Stern (Lisa Bitter) die Arbeit der Saison 2022/23 auf.

Tatort: Heile Welt – So. 28.08. – ARD: 20.15 Uhr


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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