"Titel, Tore, Tausend Träume – 60 Jahre Bundesliga mit Béla Réthy"

Béla Réthy über seinen "emotionalsten Tag als Reporter"

07.08.2023, 13.59 Uhr
von Jürgen Winzer

Béla Réthy ist Kult-Reporter im Ruhestand und einer der unverbesserlichen Fußballromantiker. Mit "Titel, Tore, tausend Träume" zeigt das Erste eine sehenswerte Doku, mit zahlreichen Anekdoten und Einblicken. Ein Muss für jeden Fußball-Fan.

Geht das, nüchtern seine Liebe erklären? Ja. Béla Réthy und Albert Knechtel gelingt es. Sie gestehen einer in Ehren leicht ergrauten Flamme ihre tiefe Zuneigung, und sie tun es zurückhaltend zärtlich und eigentlich sachlich. Als hätte man der Queen zu Lebzeiten vorsichtig gehuldigt, in Sorge, dass die Liebe nicht erwidert werden kann.

Ja, "Königin Bundesliga" mag letztlich unnahbar sein, aber die Doku "Titel, Tore, Tausend Träume – 60 Jahre Bundesliga mit Béla Réthy" zum 60. Geburtstag der Fußball-Bundesliga erklärt ihren Zauber. Sie muss jedem – wirklichen – Fußballfan zu Herzen gehen.

Béla Réthys persönlichen "Hall Of Fame" der Bundesliga-Legenden

60 Minuten zum 60. Geburtstag einer Institution. Das ist doch unmöglich! Da scheint ja der gelbschwarze oder ernergygetränkte Kampf gegen das ledergehoste Imperium in der kommenden 61. Spielzeit aussichtsreicher. Und dennoch: Knechtel und Béla Réthy gelingt das Unmögliche. Nein, sie können nicht jede Anekdote, jedes Highlight, jeden Tiefpunkt aufgreifen. Aber sie bringen, kompensiert, oft nur fast marginal und doch bestechend angerissen, sehr viele. Sie erschlagen nicht, sondern setzen die Gedanken des Betrachters frei. Was war damals noch? Stimmt, da hat doch der ...

Sogar der Soundtrack passt. Es beginnt mit den Toten Hosen und "An Tagen wie diesen" und endet mit AnnenMayKantereit und "Es gibt keinen Stern, der so leuchtet, wie das Flutlicht überm Ascheplatz". Zwischendrin, als Réthy seine persönliche "Hall Of Fame" der Kick-Legenden würdigt (Beckenbauer, Seeler, Overath, Netzer, Matthäus, Lewandowski, Heynckes, Klinsmann, Klose, Lahm, Kalle Rummenigge, Sammer, Schuster, Völler, Kroos und Gerd Müller, und zwar in dieser Reihenfolge) erklingt "You'll Never Walk Alone". Es passt wie der Ball in den Winkel.

Es ist viel passiert seit jenem 25. August 1963, als sich, so TV-Original-Ton, "der deutsche Fußball zu einem Wagnis" bekannte. Das überforderte viele. Weil der Schiri die Partie in Bremen zu früh anpfiff, waren der (Einzahl!) Kameramann und die Fotografen noch nicht an ihren Plätzen, als Timo Konietzka Geschichte schrieb und (auf Vorlage von Lothar Emmerich) das erste Bundesliga-Tor aller Zeiten schoss.

Es folgten 56.057, aber obwohl einige Tore wirklich außergewöhnlich waren (das, als sich Keeper Kiraly den Ball selbst reinköpfte! Moukokos 1:1 in Berlin, das ihn zum – vermutlich – jüngsten BL-Torschützen aller Zeiten machte, das Endlos-Dribbling von Okocha oder das von Grafite – beide gege Oli Kahn!), keines war je mehr so einzigartig.

Echte Fußball-Legenden

Es wird, auch von Spieler- und/oder Trainerlegenden (Netzer, Thomas Müller, Magath, Kahn, Rehhagel, Sammer, Klopp), über Höhen und Tiefen berichtet. Als Magath Wolfsburg zum Meister machte, zum letzten übrigens, der nicht BVB oder – insgesamt 32-mal – FCB hieß. Natürlich über die 4 Minuten und 45 Sekunden, als Schalke sich 2001 als Meister wähnte, bevor Anderssons Ball (Oli Kahn: "Der letzte Schuss der Saison!") doch noch irgendwie reinging. Réthy war damals, beim letzten Spiel in der Geschichte des Parkstadion, dabei und erlebte "meinen emotionalsten Tag als Reporter".

Die Bundesliga-Skandale, es gab deren (mindestens) zwei. Erst bunkerte nämlich Herthas Schatzmeister illegal gehortetes Handgeld in einem Sarg (er war Bestatter, kein Scherz), bevor ein Südfrüchtehändler namens Horst-Gregorio Canellas 1971 die Liga mit Tonbandmitschnitten schockte, in denen Spielabsprachen zu hören waren.

Witzig: Als Schalke sein Spiel gegen Bielefeld verkaufte, war der kurz vor dem Anpfiff ins Team gerückte Torwart Dieter Burdenski der Einzige, der nichts vom Betrug wusste. Er machte das Spiel seines Lebens und brachte wohl nicht nur die Bielefelder, sondern auch seine betrügerischen Schalker Kumpels zur Verzweiflung, weil er (fast) alles hielt. Nach dem Wunschergebnis von 0:1 nahm er dann aber doch den Umschlag mit 2.400 Mark, ohne Fragen zu stellen. Acht Spiele wurden verschoben, 53 beteiligte Spieler überführt, es hagelte Sperren.

"Ich liebe die Bundesliga, seit ich denken kann"

Réthy und Knechtel wandeln wohltuend zurückhaltend durch die Welten der Liga. Dass Réthy, 40 Jahre an vorderster Reporterfront, eigene Erlebnisse einwebt, stört nicht, im Gegenteil. Er gibt "uns" das Gefühl, "einer von uns" zu sein. Und das ist er ja auch. Er liebt die Liga, den Sport, die Menschen. Da ist er ganz bei Jürgen Klopp, der sagt: "Ich liebe die Bundesliga, seit ich denken kann."

Die Reportage ist ein wilder Mix, fast wie ein gutes Bundesligaspiel, das läuft auf und ab, bietet Schüsse, Paraden, Zweikämpfe, Spannung. Und so ist die Doku nicht nur eine Auflistung von Erwartbarem, nicht nur ein Quell für das nächste "Fußballquiz für wirkliche Kenner" (obwohl: Wie hieß am ersten Bundesligaspieltag der jüngste Spieler?) und schon gar keine verkappte Selbstbeweihräucherung. Alles im Dienst des Fußballs. Und somit: des Fans.

Günter Netzer war das Idol von Lothar Matthäus

Die Archive bergen Goldschätze, obwohl die schwarzweiß leuchten. Réthy nahm sich dennoch Zeit fürs Hier und Jetzt. Unterhielt sich mit der ersten Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus-Webb über das "Ahlenfelder"-Gedeck, besuchte die sportlichen Nachfahren von Rekord-Loser Tasmania Berlin, plauderte mit Lothar Matthäus, der bekennt: "Das größte Poster in meinem Zimmer war von Günter Netzer. Er war mein Idol."

Am Beispiel von Netzer wird klar, dass Mobbing und Schmähungen übelster Art keine Erfindung der Neuzeit sind: "Den würd ich halblahm schlagen", sagt ein damals Interviewter über Günters lange blonde Haare, ein anderer: "Wir waren froh, dass wir das Ungeziefer losgeworden sind."

Natürlich gehört Wissensvermittlung dazu. Wie viele "One-Hit-Wonder"-Vereine gab es, die jeweils nur eine einzige Saison in der Bundesliga spielten? Fünf. Wie viele schafften es, sowohl als Spieler als auch als Trainer Meister zu werden? Acht. Und wie sehr ging Torwart-Ikone Sepp Maier, bei seinem ersten Spiel gegen die damals übermächtig scheinenden Lokalrivalen von 1860 der Allerwerteste auf Grundeis? Antwort: mächtig. "Hoffentlich kriegen wir nicht einen auf den Sack." Bekamen die Bayern aber, in ihrem ersten Bundesligaspiel überhaupt, schon nach 30 Sekunden. Und wieder war's Timo Konietzka.

Der "Anti-Lederhosen-Song"

Es bleibt Platz für Raritäten. Gewusst, dass Ernst Happel, der Wiener Erfolgscoach des HSV, eigentlich gar kein Grantler war, sondern den Verein als Familie sah und oft sonntags mit den Kids der Spieler im Warmwasserbecken planschte? Oder dass "Zieht den Bayern die Lederhosen aus", der "Gassenhauer für Stadien", vom Stadionsprecher des 1. FC Kaiserslautern im Urlaub erfunden wurde? Es geschah in Bayern, in Murnau, um genau zu sein.

Béla Réthy ist wie einst Karl-Heinz Förster, der übrigens das Idol von Jürgen Klopp war: immer nah am Mann. Am Ende liefert er im Gespräch noch ein Zitat für die Annalen. Klopp gratuliert der Bundesliga: "Du hast viel durchgemacht, stehst aber noch in voller Blüte. Hast du gut gemacht." Réthy: "Sie hat ein paar Falten, aber ist immer noch sexy." – "Kloppo" fällt fast vom Interview-Stuhl vor lachen: "Jetzt hat Béla von sich gesprochen! Ja, die Bundesliga ist wie Béla: Hat ein paar Falten, aber ist immer noch sexy." Recht hat er, der Kloppo.

Und übrigens, hätten Sie's gewusst: Der Youngster am ersten BuLi-Spieltag war ... Klaus Zaczyk. Willkommen in der unendlichen, unnützen Wissens-Welt der Bundesliga!

Die "sportstudio reportage: Titel, Tore, tausend Träume" ist am Samstag, 5. August, 23 Uhr, zu sehen. In der Nacht auf Donnerstag, 10. August, sendet das ZDF von 0.55 Uhr bis 3.40 Uhr zudem eine Langversion.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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