Mini-Serie im Ersten

"ZERV – Zeit der Abrechnung": der Osten im Wildwest-Modus

22.02.2022, 08.04 Uhr
von Eric Leimann

Eine SOKO soll nach der Wende Wiedervereinigungs-Verbrechen aufarbeiten. Diese "ZERV" hat es tatsächlich gegeben, nun ist sie Zentrum einer neuen Serie, die erstaunlich modern daherkommt.

ARD
ZERV – Zeit der Abrechnung
Miniserie • 22.02.2022 • 20:35 Uhr

1992 beginnt die Zentralstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität, kurz "ZERV", ihre Arbeit. Ihr Ziel: Sie soll Verbrechen im Zuge der DDR-Abwicklung und der Wiedervereinigung aufdecken. 20.327 Ermittlungsverfahren, die den beiden Referaten Wirtschaftskriminalität und Regierungskriminalität zugeordnet waren, gab es bis Ende 2000. Dann wurde die Behörde abgewickelt. Obwohl es sich um die größte SOKO der Kriminalpolizei in der Geschichte der Bundesrepublik handelt, blieb sie bis heute weitgehend unbekannt – was sich mit der sechsteiligen ARD-Miniserie "ZERV – Zeit der Abrechnung" ändern dürfte. Von Dienstag, 22., bis Donnerstag, 24.02. ist sie jeweils um 20.15 Uhr in Doppelfolgen im Ersten zu sehen.

Erzählt wird von Peter Simon (Fabian Hinrichs), der als ZERV-Ermittler aus dem Westen ins ehemalige Ostberlin kommt, und seiner Kollegin Karo Schubert (Nadja Uhl), einer normalen Kriminalkommissarin mit DDR-Vergangenheit. Kaum hat die ZERV ihre neuen Büroräume bezogen, gibt es einen ersten Toten: Matthias Trockland, mitverantwortlich für die Auflösung der NVA im wiedervereinigten Deutschland, hängt in seinem Kleingarten tot vom Baum.

Simon und Schubert müssen gemeinsam ermitteln, was sie anfangs nur schwer akzeptieren können. Karo Schubert geht mit ihrer Kollegin und Freundin Uta Lampert (Fritzi Haberlandt) davon aus, dass Trockland ermordet wurde. Peter Simon trifft in Trocklands beruflichem Dunstkreis auf Hajo Gärster (Thorsten Merten). Der hatte bereits zu DDR-Zeiten für die Regierung mit Waffen gehandelt. Auf einem alten NVA-Übungsgelände machen die Ermittler nun einen Waffenfund in ungeahnter Dimension.

Drei Primetime-Abende in Folge spendiert das Erste seiner Premium-Serie, die zudem bereits eine Woche zuvor (seit 15. Februar) in der Mediathek steht. Entstanden sind die viereinhalb Stunden der historischen Kriminalserie von 1991 in einem Writers Room. Darin feilten Kai Hafemeister, Miriam Klein, Jens Köster, Kim Zimmermann, Dustin Loose (auch Regie) sowie die bekannte Produzentin Gabriela Sperl an Geschichten aus der Wendezeit, in der sich Deutschland für kurze Zeit in einer Art Wildwest-Modus befand. Viel Geld gab es damals mit halbseidenen bis illegalen Großgeschäften zu verdienen. Geht es nach Hauptdarstellerin Nadja Uhl darf die Miniserie gern fortgesetzt werden. Weitere spannende Geschichten aus dieser Zeit gäbe es wohl zur Genüge.

Das Ensemble spielt groß auf

Ein besonderes Lob gilt dem brillanten Schauspiel-Ensemble: Nadja Uhl spielt als schnodderiges Ost-Original kurz nach der Wiedervereinigung eine ihrer besten Rollen seit langem. Und Fabian Hinrichs? Er macht eben Fabian Hinrichs-Dinge. Sprich: Er spielt einen dieser schnöseligen Nervbolzen, dessen sensible, unsichere Seite ihn dann doch zwischendurch wunderbar berührbar erscheinen lässt. In anderen Worten: Hinrich spielt eine weitere Version seines fränkischen "Tatort"-Kommissars, der ja auch irgendwo seine Wurzeln im Münchener Kurzzeit-"Tatort"-Kultkommissar Gisbert Engelhardt aus "Der große Schlaf" von 2012 hat. Nicht dass Fabian Hinrichs nicht auch andere Charaktere spielen könnte, aber als sperrig impertinenter Peinlich-Kollege ist der 1974 geborenen Hamburger einfach unerreicht.

Sehr effizient und ebenso prominent sind die Nebenrollen besetzt: Fritzi Haberland als Kollegin und beste Freundin liefert sich mit Nadja Uhl ostberlinernde Wortgefechte zum Niederknien. Thorsten Merten als windiger Kriegsgewinnler, Rainer Bock in seiner "Paraderolle" als Chefbeamter, Arnd Klawitter als schmieriger Staatssekretär und Peter Schneider als Caros Ex-Mann Andi, mit dem sie immer noch ab und an ins Bett geht, machen ebenfalls einen prima Job. Beim MDR, der die Serie mit der ARD Degeto produzierte, sieht man sich in der Tradition von "Weissensee". Wenn "ZERV" ebenso erfolgreich und langlebig würde, hätte man beim federführenden MDR sicher nichts dagegen. Tatsächlich hat "ZERV" gegenüber "Weissensee" aber sogar noch Vorteile.

Wenn "Weissensee" beim Erzählen hier und da noch etwas zu soapigen Erzählsträngen und klassisch gedrechselten Dialogen neigte, wirken vor allem Figuren und Sprache in "ZERV" echter, verspielter, damit auch humorvoller. Und dies alles, ohne dass die Miniserie das Comedy-Genre bewusst bespielen würde, was sonst oft das Problem in der Kombination deutsches Fernsehen und Humor darstellt. Nur ein Beispiel: In der fünften Folge, als sich Simon und Schubert endlich zusammengerauft haben, feiern die Polizisten in einer Berliner Karaoke-Bar einen feuchtfröhlichen Abend. Als Simon mit minderbegabter Stimme Grönemeyers "Bochum" anstimmen will, wird er ausgepfiffen. Dann kann er sich mit Karo Schubert doch noch auf eine – unfassbar berührende – Duett-Version von "Über sieben Brücken musst du geh'n" einigen. Wahnsinn, dass die im Osten den Maffay-Song mögen, glaubt der Wessi. Dabei wurde das Lied im Original 1978 von der DDR-Rockband Karat geschrieben und veröffentlicht. Maffays West-Coverversion folgte erst 1980. Wie hörte man früher noch des Öfteren: Es war nicht alles schlecht in der DDR ...

ZERV – Zeit der Abrechnung – Di. 22.02. – ARD: 20.35 Uhr


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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