Interview

Al Gore: Ein Leben für das Klima

von Maximilian Haase

Einstiger US-Vize, ehemaliger Präsidentschaftskandidat, Klimaschützer: Al Gore nutzt seinen Einfluss für eine bessere Welt. Im Interview spricht der 69-Jährige über seinen neuen Film, die Gefahr Donald Trumps und darüber, was wir ändern müssen, um die Erde zu retten.

Vorstellen muss man den Mann nicht: Als US-Vizepräsident regierte er mit Bill Clinton, im Jahr 2000 musste er sich als demokratischer Präsidentschaftskandidat knapp gegen George W. Bush geschlagen geben. Seitdem hat sich Al Gore dem Kampf gegen den Klimawandel verschrieben wie kein Zweiter. Vor zehn Jahren rüttelte er mit der eindringlichen Dokumentation "Eine unbequeme Wahrheit" auf. Nun legt Gore im Sequel nach: Die Zerstörung der Erde durch unser Handeln ist "Immer noch eine unbequeme Wahrheit" (Start: 7.9.2017), wie er im Interview im Berliner Hotel Adlon ausführt. Mit eindringlichem Blick und präsidialem Gestus spricht der 69-Jährige über Erfolge und Rückschläge der letzten Jahre, über Donald Trump und die größten Bedrohungen für unsere Welt.

prisma: Mr. Vice President, inwiefern ist der Klimawandel "Immer noch eine unbequeme Wahrheit"?

Al Gore: Die Klimakrise sah ich immer als die schlimmste Manifestation der Kollision zwischen der menschlichen Zivilisation in ihrer jetzigen Verfasstheit und der überraschenden Fragilität des Ökosystems unserer Erde. Wir gehen dem sechsten großen Massensterben der Arten entgegen, wir zerstören die Ozean-Produktivität und die Wälder weltweit, wir produzieren Plastik und andere langlebige Umweltverschmutzung: Das ist alles Teil derselben Kollision. In der Klimakrise manifestiert sich diese deshalb am gefährlichsten, weil die dünne Schicht der Atmosphäre um unseren Planeten der verletzlichste Teil des Ökosystems der Erde ist.

prisma: Vor elf Jahren drehten Sie einen ersten Film darüber. Was hat sich seitdem geändert?

Gore: Es gab in den vergangenen Jahren zwei große Veränderungen: Zum einen sind die durch den Klimawandel verursachten extremen Wettererscheinungen viel häufiger und zerstörerischer geworden. Das weckt viele Menschen auf. Zum anderen haben wir jetzt Lösungen für diese Probleme: Vor einer Dekade sah man sie am Horizont, nun sind sie technisch und wissenschaftlich realisierbar.

prisma: Waren diese Entwicklungen für Sie der Grund, eine zweite Dokumentation zu drehen?

Gore: Über die Möglichkeit redeten wir schon seit Jahren; viele Leute ermutigten uns dazu. Als das zehnjährige Jubiläum des ersten Films näher rückte, war es dann ausgemachte Sache. Ein neuer Regisseur, Jon Shenk, beschloss, mich zwei Jahre lang zu begleiten.

prisma: Wie war das für Sie?

Gore: Irgendwann nimmt man das Kamerateam tatsächlich nicht mehr wahr – vor allem, wenn man durch eine sehr emotionale Erfahrung geht. Außerdem wurden wir währenddessen Freunde. Am Ende war ich dennoch froh, dass ich keinen Einfluss auf den Final Cut hatte. In meiner Erinnerung war ich dünner und hatte dunkleres Haar. Deshalb wären viele Szenen nicht im Film gelandet (lacht).

prisma: Sie sprachen gerade von Gefühlen: Insgesamt wirkt der Film emotionaler als sein Vorgänger.

Gore: Kalkuliert war das nicht, eher eine natürliche, persönliche Entwicklung. Vielleicht liegt es an der laufenden Fortentwicklung der Thematik über die Jahre, vielleicht auch daran, dass ich älter werde. Der größte Unterschied zum ersten Film ist sicher die Hervorhebung der Hoffnung. Hoffnung deshalb, weil eine Lösung nun näher scheint.

prisma: Hoffnung auf der einen Seite, Verschlechterung der Situation auf der anderen: Im Film zeigen Sie auch, dass der Klimawandel in den vergangenen zehn Jahren zu mehr Naturkatastrophen und damit mehr Flüchtlingen geführt hat.

Gore: Dieser Aspekt hat bislang zu wenig Aufmerksamkeit erhalten. Das Max-Planck-Institut hier in Deutschland hat als eines der führenden wissenschaftlichen Zentren gezeigt, dass es in Nordafrika und im Mittleren Osten viele Regionen gibt, die davon bedroht sind, unbewohnbar zu werden. Das Ganze passiert in Ländern, die schon vorher schwierig zu regieren waren. Mit den fürchterlichen Folgen der Klimakrise geraten manche davon ganz an den Abgrund. Was folgt, ist Anarchie und im Falle Syriens das Tor zur Hölle.

prisma: Was passiert in diesen Regionen?

Gore: Vor gar nicht langer Zeit wies eine Stadt im Iran eine gefühlte Durchschnittstemperatur von 74 Grad Celsius auf. Kein Mensch kann solche Bedingungen mehr als ein paar Stunden überleben, egal wie gesund er ist. Aber auch der Anstieg des Meeresspiegels kann dazu führen, etwa in den Deltas von Bangladesh – dort müssen Millionen Menschen ihr Leben alle sieben Jahre neu aufbauen. Indien hat deshalb schon einen großen Stahlzaun an der Grenze errichtet. Es sollte eine Warnung sein, dass die Unbewohnbarkeit bevölkerungsreicher Regionen im Süden bald noch größere Flüchtlingsströme produzieren könnte.

prisma: Führt diese humanitäre Krise zu später Einsicht?

Gore: Das passiert gerade schon ein wenig. Aber der Druck, der auf den Regierungen durch die Flüchtlingsströme lastet, resultiert ja nicht notwendigerweise in einer faktenbasierten Politik. Manchmal führt das auch nur zu populistischen emotionalen Reaktionen. Das haben wir bereits gemerkt in bestimmten Ländern, die sich von Geflüchteten belagert fühlen. Während der "Leave"-Kampagne zum Brexit gab es ein Plakat, dass nordafrikanische Menschen in einer langen Schlange an den Grenzen der EU zeigte. Das belegt: Große Zahlen an Flüchtlingen wirken oft einem rationalen und vernünftigen Umgang damit entgegen.

prisma: Apropos: Ihre objektiven Warnungen verleiteten noch immer viele Klimawandel-Leugner zu harschen Reaktionen. Wie gehen Sie damit um?

Gore: Ich war lange in der Politik. Über die Zeit habe ich mir ein dickes Fell zugelegt. In einer der im Film gezeigten Reaktionen auf den ersten Teil sagt Donald Trump, ich solle meinen Friedensnobelpreis zurückgeben. Es ist eine liebgewonnene Tradition derer, die eine bestimmte Botschaft nicht mögen, den Überbringer der Botschaft zu attackieren.

prisma: Nach der Fertigstellung des eigentlich vorsichtig hoffnungsvollen Films wurde jener Donald Trump dann tatsächlich US-Präsident – und kündigte den Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen an.

Gore: Wir wussten schon zur Premiere beim Sundance Festival, dass wir den Film aufgrund der anstehenden Wahl wohl würden umschneiden müssen. Aber ich bin nun lang genug dabei, um Trumps Wahl im Kontext zu betrachten: Es gab schon andere gewählte Präsidenten, die sich dem Handeln gegen den Klimawandel verweigerten. Es war für lange Zeit ein sehr harter Kampf. Doch hatte ich auch Gelegenheit, das Ganze aus globaler Perspektive zu betrachten: Seit vielen Jahren sehen wir auch kontinuierlichen Fortschritt, der jetzt Geschwindigkeit aufnimmt.

prisma: Dachten Sie nie, dass ein einzelner Mann diesen erreichten Fortschritt zerstören könnte?

Gore: Er ist gefährlich, aber der Schaden, den er anrichten kann, ist begrenzt. Als Trump seine Rede zum Ausstieg aus dem Pariser Abkommen hielt, war ich sehr besorgt. Vor allem deshalb, weil andere Länder dem US-Beispiel folgen könnten. Das ist aber nicht passiert. Noch glücklicher war ich, als die meisten Gouverneure und Bürgermeister in den USA sagten: "Nein, Trump spricht nicht für uns. Wir bleiben im Abkommen von Paris." Also: Es ist hart – und es wäre leichter, wenn die USA im Abkommen bleiben würden und der Präsident die Führerschaft im Klimaschutz übernommen hätte. Dem ist nicht so, also müssen wir um ihn herum arbeiten.

prisma: Inwiefern stehen parteipolitische Ausrichtungen einem vernünftigen Klimaschutz im Weg? Ist der im Film gezeigte republikanische Bürgermeister, der seine texanische Stadt auf erneuerbare Energie umstellte, eine Ausnahme?

Gore: Der konservative Bürgermeister von Miami hat auch kürzlich angekündigt, dass er alles für die Lösung der Klimakrise tut und dies nicht als politische Entscheidung labelt. Viele Republikaner schauen derzeit genauer auf ihre moralische Verantwortung in Sachen Klima.

prisma: In Europa drehen sich viele Klimawandel-Debatten derweil um die gesellschaftliche Verantwortung des Individuums beim Konsumieren ...

Gore: Ich glaube, es ist sicherlich ein Teil der Lösung. Um eine Mehrheit zum Kampf gegen den Klimawandel zu bewegen, muss man schauen, wie man die Menschen zum Umstieg auf saubere Energieformen, sauberen Transport bringt. Nachhaltige Landwirtschaft, nachhaltige Tierhaltung und ein neuer Blick auf den Massenkonsum sind essenziell. Deshalb bin ich auch ein Fan von Papst Franziskus, der diese Themen in den Blick nimmt. Für uns alle ist es besser, wenn wir komplett auf erneuerbare Energie und nachhaltige Lösungen umsteigen.

prisma: Bringt es etwas, wenn wir als Einzelne etwa weniger Fleisch essen?

Gore: Ich versuche, Leuten nicht vorzuschreiben, worauf sie verzichten sollen, welche Diät sie machen sollen. Das ist eine persönliche Entscheidung jedes Einzelnen. Persönlich ernähre ich mich seit fünf Jahren vegan. Jeder, der seinen Kardiologen konsultiert, wird gesagt bekommen, dass es gesünder ist, weniger Fleisch zu essen. Klar: Die Landwirtschaft ist insgesamt für 15 Prozent des Klimawandels verantwortlich. Ratsam ist es also durchaus. Aber auf dieser Stufe des Kampfes gegen die Erderwärmung möchte ich die Leute nicht bevormunden.

prisma: Weniger als vom Normalbürger wird der Großteil der Erderwärmung ohnehin von ein paar Dutzend Großkonzernen verursacht. Warum kann man die nicht stoppen?

Gore: Es gibt zwar einige gesetzliche Maßnahmen, mit denen die größten Zerstörer des Klimas zur Verantwortung gezogen werden. Im Falle der Tabakindustrie führten uns die juristischen Schritte an einen Wendepunkt: Durch dadurch generierte Gelder und Aufmerksamkeit konnten viele junge Leute davon überzeugt werden, nicht zu rauchen. Einige Gesetzesvorstöße bei anderen Unternehmen dauern noch an. Ergebnisse gibt es aber noch nicht.

prisma: Braucht es dafür mehr einflussreiche Klimakämpfer wie Sie?

Gore: Die wahren Helden sind die Graswurzel-Aktivisten der Klimabewegung. Sie inspirieren mich sehr. Einige davon haben für ihre Aktionen mit dem Leben bezahlt. In den Entwicklungsländern ist das Alltag, auch in Brasilien werden Aktivisten ermordet. Ich war ein guter Freund der 2011 verstorbenen kenianischen Politikerin Wangari Maathai, die für ihren Einsatz für die Umwelt mehr als einmal brutal zusammengeschlagen wurde. Dort ist der Kampf noch härter.

prisma: Glauben Sie, jener Kampf gegen den Klimawandel könnte in einem dritten Film irgendwann für beendet erklärt werden?

Gore: Ich hoffe, wir können eines Tages sagen: Wir haben es geschafft! Dass der politische Wendepunkt erreicht ist. Und dass damit ein dritter Film gar nicht nötig wird.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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