Jochen Schweizer im Interview

"Die Freiheit als Schlüsselkind habe ich leidlich ausgeschöpft"

von Julian Weinberger

Ob auf einer extremen Motorradtour, als Bungeepionier oder erfolgreicher Unternehmer: Jochen Schweizer wollte schon immer hoch hinaus. Selbst mit über 60 ist beim nimmermüden Erlebnisfreund noch lange nicht Schluss – auch dank einer neuen Fernsehsendung.

Als im Juni 2017 der Deal unter Dach und Fach war, hatte es Jochen Schweizer eigentlich geschafft. Gerade hatte er die Digitalsparte seines Erlebnisportals an die ProSiebenSat.1-Gruppe verkauft. Der Wert der Transaktion wurde auf 108 Millionen Euro beziffert. Doch der Unternehmer hielt sich nicht lange mit dem Geschäft auf. Schließlich hatte er nur wenige Monate zuvor in Taufkirchen nahe München sein neuestes Prestigeprojekt eröffnet – die Jochen Schweizer Arena. Stillstand, das passt einfach nicht zu dem dynamischen 62-Jährigen. Passend dazu sucht er jetzt den Geschäftsführer für eines seiner Unternehmen nicht etwa über ein klassisches Bewerbungsgespräch, sondern über die TV-Sendung "Der Traumjob – bei Jochen Schweizer" (ab Dienstag, 9. Juli, bei ProSieben). Im Interview verrät der Unternehmer, weshalb er die Bewerber mit auf eine Weltreise nimmt.

prisma: "Zeit-Online" titelte einst über Sie "Der Adrenalinhändler". Eine treffende Beschreibung?

Jochen Schweizer: Teilweise zutreffend. Ich handle mit Erlebnissen. Nicht alle Erlebnisse generieren Adrenalin, aber fast alle Endorphin. Also bin ich eigentlich eher ein Glückshändler.

prisma: In diesem Geschäft mit Adrenalin und Glück: Welche Charaktereigenschaften würden Sie sich zuschreiben?

Schweizer: Ich glaube, dass ich über ausreichend Kreativität verfüge, um immer wieder mit guten Ideen einen Schritt weitergehen zu können. Dazu verfüge ich über die Bereitschaft, mich wirklich anzustrengen. Und ich habe die Fähigkeit, durchzuhalten.

prisma: Darüber hinaus sind Sie offenbar sehr abenteuerlustig. Den Anfang machte eine Motorradtour durch Afrika nach Ihrem Schulabschluss. Wie kam es dazu?

Schweizer: Die größte Triebfeder war Neugierde. Die Neugierde und die Lust am Unbekannten.

prisma: Woher kommt diese Neugierde?

Schweizer: (lacht) Da müsste ich einmal einen Psychologen aufsuchen, um das herauszufinden. Ich war schon als Kind neugierig. Ich finde es immer toll, neue Dinge oder Merkmale an Menschen zu entdecken. Auch Fernweh ist so etwas wie Neugierde.

prisma: Sie wuchsen ohne Vater auf. Inwiefern hat Sie das im Nachhinein geprägt?

Schweizer: Ich musste früh Verantwortung übernehmen, weil ich aus extrem einfachen Verhältnissen komme. Aufgewachsen bin ich als klassisches Schlüsselkind, was ich aber gar nicht als schlimm empfand. Mit dem Schlüssel um den Hals hatte ich wesentlich mehr Freiheiten als meine Klassenkameraden. Diese Freiheit habe ich auch leidlich ausgeschöpft.

prisma: Was sich auf Ihre Schulleistungen ausgewirkt hat ...

Schweizer: Klar. Ich habe mein Abitur zwar geschafft, aber nicht mit den besten Noten. Das hatte sicherlich mit der Tatsache zu tun, dass ich die Schule nur nebenher betrieb und mich stattdessen mit anderen Themen auseinandergesetzt hatte. Was die Vaterlosigkeit aber definitiv bewirkt hat, ist, dass ich sehr bewusst und klar versuche, meinen Kindern ein guter Vater und für sie da zu sein. Weil ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn keiner da ist.

prisma: Wenn Sie heute an die Zeit in Afrika zurückdenken: Was kommt Ihnen in den Sinn?

Schweizer: Endlose Freiheit, endlose Tage, endlose Landschaften, endloser Himmel. Alle diese unglaublich beeindruckenden Begleitparameter einer solch extremen Motorradfahrt.

prisma: Fehlt Ihnen diese Freiheit heute in Ihrem durchgetakteten Leben als Unternehmer?

Schweizer: Nein. Erstens ist es meine bewusste Entscheidung, so zu leben, wie ich heute lebe. Ich könnte es jederzeit anders entscheiden. Und zweitens: Alles im Leben hat seine Zeit. Ich war damals ein junger Mann ohne jede Verantwortung, ohne Familie und war im wahrsten Sinne des Wortes vollkommen frei. Auch frei von irgendwelchen Wünschen, ich wollte einfach fahren. Das habe ich maximal ausgelebt. Würde ich heute noch so leben wollen, hätte ich mich nicht weiterentwickelt.

prisma: Wie empfanden Sie den Kulturcrash, als Sie nach Ihrer Reise zurück nach Deutschland kamen?

Schweizer: Das war krass. In Afrika habe ich Kinder im Straßengraben an Krankheiten sterben sehen und konnte nichts tun, um zu helfen. Zurück in Heidelberg geriet ich in eine Demonstration von Studenten, die gegen die Erhöhung der Beförderungsgebühren der Heidelberger Straßen- und Bergbahn AG um zehn Pfennig protestierten. Für mich, der aus der Weite Afrikas kam und furchtbare Armut gesehen hatte, war das ein Kulturschock: in der Ferne das Bild zurechtgerückt zu bekommen, half, um zu sehen, wie gut das Paket ist, das wir hier haben.

prisma: Wie haben Sie nach diesem Abenteuer in Afrika den Einstieg ins Berufsleben geschafft?

Schweizer: Das ist aus Versehen passiert. Ich wollte eigentlich nur Motorrad und Kajak fahren, sonst nichts. Aber ich habe in Afrika den Eigentümer eines großen Logistikunternehmens kennengelernt, und der hat mich, nachdem ich zurückgekehrt war, dringend für die Lösung eines Problems mit einem LKW-Konvoi in Westafrika gebraucht. Dann bin ich erst einmal Logistiker geworden, später Stuntman und Unternehmer. Davon war nichts geplant.

prisma: Hatten Sie schon früh den Wunsch, etwas Eigenes auf die Beine zu stellen und unabhängig von anderen zu handeln?

Schweizer: Definitiv. Ein freies und selbstbestimmtes Leben halte ich für ein erstrebenswertes Ziel. Ich glaube aber, Freiheit setzt finanzielle Unabhängigkeit voraus.

prisma: Stichwort finanzielle Unabhängigkeit: Sie haben vor zwei Jahren einen großen Teil der Digitalsparte der Jochen Schweizer AG für gutes Geld verkauft. Trotzdem gingen Sie das Wagnis ein, die Jochen Schweizer Arena zu bauen.

Schweizer: Finanziell unabhängig bin ich geblieben, weil der Verkaufserlös um ein Vielfaches höher war, als ich hier investiert habe. Aber ich habe diesen Unternehmensteil nicht des Geldes wegen verkauft. Ich habe ihn veräußert, weil ich dort alle Ziele erreicht habe, die ich mir vorgenommen hatte. Jetzt hätte ich einfach nur zehn Jahre das Gleiche weitergemacht, und das fand ich nicht spannend.

prisma: Wie stolz sind Sie denn auf Ihr neues Projekt?

Schweizer: Es erfüllt mich mit Freude, zu sehen, wie sich dieser Traum realisiert hat. Ich wollte unser Markenhaus bauen. Hier, in einem vertikal konstruierten Windkanal wird unter anderem der Urtraum der Menschheit erlebbar, nämlich frei zu fliegen, mit nichts als dem eigenen Körper. Auf unserer citywave lernen selbst Anfänger in kürzester Zeit das Wellenreiten. Es ist toll, zu sehen, dass immer mehr Firmen mit ihren Mitarbeitern hierherkommen und Veranstaltungen abhalten. Wir hatten neulich ein großes Unternehmen zu Gast, das seine Recruiting-Tage mit Erlebnissen von Jochen Schweizer verknüpft hat.

prisma: Diese Verknüpfung von Erlebnis und Jobsuche ist auch ein Merkmal Ihrer neuen Fernsehsendung "Der Traumjob". Was ist Ihnen bei den Bewerbern besonders wichtig?

Schweizer: Zuerst einmal will ich Bewerber wirklich gut kennenlernen. Das funktioniert im gemeinsamen Erleben am besten. Menschen können durch ein Assessment Center gehen und sich verstellen. So richtig in die Seele kannst du den Bewerbern nicht schauen, außer du bringst sie in ungewöhnliche Situationen.

prisma: Was zeichnet die besten Köpfe in Ihren Augen aus?

Schweizer: Eine solide Grundausbildung, Offenheit, Kommunikationskompetenz und Kreativität in Verbindung mit dem unbedingten Willen, sich anzustrengen.

prisma: Erwartet den neuen Geschäftsführer wirklich ein Traumjob?

Schweizer: Man könnte sich natürlich fragen, ob Geschäftsführer ein Traumjob ist. Es ist eine Typsache. Wenn ich mich entscheiden müsste, ob ich bei Jochen Schweizer lieber Geschäftsführer oder Eventscout wäre, würde ich mich vielleicht für letzteres entscheiden. Auch, wenn es nicht so gut bezahlt ist. Als Eventscout kann ich ohne Sorgen und Verantwortung raus in die Welt ziehen und die coolsten Eventlocations und Veranstaltungsbausteine scannen, um diese an unsere Kunden zu pitchen. Als Geschäftsführer trägt man deutlich mehr Verantwortung, und es landet am Ende des Tages auch all das auf meinem Tisch, was vielleicht nicht so gut funktioniert.

prisma: Haben Unternehmer Ihrer Ansicht nach eine besondere gesellschaftliche Verantwortung?

Schweizer: Selbstverständlich trägt man als Unternehmer gesellschaftliche Verantwortung. In der Mythologie der Heldenreise wird der Protagonist am Ende seiner Reise vom Lernenden zum Lehrenden. Ich habe in meinem Leben viel erlebt, bin auch gescheitert und wieder aufgestanden. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse möchte ich teilen.

prisma: War das ein Grund, für eine Sendung vor die TV-Kameras zu treten?

Schweizer: Das Format bietet mir die Möglichkeit meine Überzeugungen sowohl an die Bewerber, als auch an ein breites Publikum weiterzugeben. Ich bin davon überzeugt, nur im gemeinsamen Erleben lernt man sich richtig kennen. Wenn ich jemanden in einer führenden Position in einem meiner Unternehmen einsetze, will ich genau wissen, wie der- oder diejenige tatsächlich tickt, und ich habe mich auf das Experiment eingelassen, über eine TV-Show einen Geschäftsführer zu finden.

prisma: Neben Ihrem Fernsehengagement und Ihrer Tätigkeit als Unternehmer sind Sie als Motivationsredner tätig und an vielen Unternehmen beteiligt. Wie muss man sich eine Arbeitswoche vorstellen?

Schweizer: Das hängt von der Woche ab, weil mein Leben ja nicht gleichförmig ist. Ich stehe sehr früh auf am Morgen, in jedem Falle vor 6 Uhr. Ich beginne den Tag mit den fünf Tibetern oder einer Yoga-Session, die ich ganz für mich alleine mache. Dieses Investment von etwa 30 Minuten am Anfang des Tages gehört mir. Dann gehe ich in den Tag und kümmere mich um alles, was ansteht. Gestern habe ich neben den alltäglichen Tätigkeiten alleine sechs Stunden an einer großen Keynote Rede gearbeitet, heute steht noch die Abnahme eines Veranstaltungskonzeptes an.

prisma: Welche Rückzugsmöglichkeiten bieten sich Ihnen neben dem Yoga?

Schweizer: Das sind das Kajakfahren und die Zen-Meditation. Meditation ist eine Art von Selbstkonditionierung: Aus dem Lärm in die Stille. Aber ich mache das nicht, um mich zu entspannen, sondern um mich zu fokussieren. Yoga wird ja häufig fehlinterpretiert.

prisma: Inwiefern?

Schweizer: Nach dem Motto: Du musst loslassen. Das ist Blödsinn! Mit Loslassen kommst du nirgendwo hin. Du musst entschlossen handeln. Und Yoga hilft dir, dich zu zentrieren, Kraft zu tanken, Ruhe zu finden, die richtige Entscheidung zu treffen und dann mit frischer Energie und entschlossen durchzustarten.

prisma: In der Vergangenheit gab es durchaus Kritik an der Auswahl der Erlebnisse bei Jochen Schweizer, etwa an Panzerfahren. Wo ziehen Sie bei der Auswahl Grenzen?

Schweizer: Auch wenn jemand Lust hat, mit einem Großbagger ein Loch zu graben, kann man sich natürlich über die Sinnhaftigkeit eines solchen Tuns trefflich streiten. Aber in dem Augenblick, in dem derjenige ein fettes Grinsen im Gesicht hat, ist der Sinn erfüllt. Und wer mit einem demilitarisierten Panzer durchs Gelände rollen will, der kann das tun – da passiert nichts Böses. Wer in einem Schützenklub auf Scheiben schießt, ist ja deswegen kein schlechterer Mensch als der, der lieber einen Helikopterrundflug bucht.

prisma: In Ihrer Firmenphilosophie sind Erlebnisse wichtiger als Materielles.

Schweizer: Nein, das habe ich so nicht gesagt. Es gibt eine Bedürfnispyramide. Nachdem Grundbedürfnisse wie ein sicheres Dach über dem Kopf und ausreichend Nahrung erfüllt sind, empfinde ich es als völlig normal, dass sich moderne, hedonistische Menschen ihre Wünsche eher mit Erlebnissen als mit gegenständlichem Konsum erfüllen. Gegenstände verlieren über die Zeit an Wert, man schreibt sie ab, während Erlebnisse beziehungsweise die Erinnerung daran, an Wert gewinnen.

prisma: Stichwort besondere Erlebnisse: In Willy Bogners Film "Feuer, Eis und Dynamit" haben Sie mit Ihrem Bungee-Sprung neue Maßstäbe gesetzt.

Schweizer: Ich sprang 1990 für diesen Film als erster Mensch von der 200 Meter tiefen Staumauer im Valle Verzasca. Später bin ich aus einem Helikopter für das Guinnessbuch der Rekorde im Auftrag von Fishermans Friend einen 1.000 Meter tiefen Weltrekord gesprungen. "Have a strong Experience", hieß ja damals der Werbeclaim. Jetzt fragen sie mich, was war der Sinn dahinter: Es war mein Job, ich war jung und brauchte das Geld. Und außerdem liebte ich diese extremen Herausforderungen, die nach ihrer Bewältigung ein Glücksgefühl in mir auslösten.

prisma: Bedeuten Ihnen diese Weltrekorde heute noch etwas?

Schweizer: Nein, das bedeutet mir heute nichts mehr. Das Spektakuläre an diesen Sprüngen war am Ende lediglich die Erkenntnis, dass noch tiefer zu springen nicht automatisch auch mehr Glück bedeutet.

prisma: Sie sind vor zwei Jahren 60 Jahre alt geworden. Denken Sie schon an so etwas wie Ruhestand?

Schweizer: Die Ruhe ist doch etwas für die Pyramiden. Soll ich mich in den Schaukelstuhl setzen und Rosen züchten? Ruhe ist als Pol der Aktivität entgegengesetzt. Diese Gegenpole muss man in die richtige Balance bringen. Nur Ruhe ohne Aktivität ist nicht gesund und andersherum ist es das auch nicht.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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