Felix Brummer von Kraftklub im Interview

"Klar habe ich Angst davor, gehasst zu werden"

von Fionn Birr

"Es gibt Momente, in denen du die Nachrichten anguckst oder Instagram öffnest und dir einfach nur denkst: 'Ich möchte euch allen einmal auf die Fresse hauen!'" – Felix Brummer alias Kummer, bekannt als Frontmann von Kraftklub, veröffentlicht mit "Kiox" sein erstes Soloalbum und lässt im Interview Dampf ab.

"Das nicht die Musik, die du brauchst" – Mit seinem Solodebüt "Kiox" tritt Felix Brummer, der sich als Musiker Kummer nennt, erstmals aus dem Schatten seiner Band Kraftklub heraus. Statt leichtfüßigem Indierock präsentiert der Chemnitzer ein unterkühltes Rap-Album, das zu elektronischen HipHop-Beats die Gefühle und Gedanken eines 30-Jährigen offenbart, dessen Heimatstadt seit einer Weile mit rechter Gewalt in Verbindung gebracht wird. Unverblümt, kritisch, persönlich und aufwühlend drückt Kummer seine Stimmungslage zwischen "himmelhoch jauchzend" und "zu Tode betrübt" aus; es geht um Identitätssuche, Ängste, Wünsche und vor allem Liebe. Ein Gespräch über deutschen Rap, rechte Gewalt, Chemnitz und Hasen in Mannheim.

prisma: Herr Kummer, nachdem Sie drei Nummer-eins-Alben mit Kraftklub hervorbrachten, sind Sie nun erstmals solo unterwegs. Welche Erwartungen haben Sie an "Kiox"?

Felix Brummer: Ich war super aufgeregt, bevor der erste Song "9010" herauskam. Klar, es bedeutet mir sehr viel, und ich habe auch Angst davor, gehasst zu werden, so wie alle Menschen, schätze ich. Wenn man sich so öffnet, tut negatives Feedback besonders weh.

prisma: Sie treten hier auch aus dem Gruppenkontext mit Kraftklub in die alleinige Verantwortung ...

Brummer: In den letzten vier, fünf Jahren, während wir Kraftklub gemacht haben, sind einfach nebenbei Texte entstanden, die mir ein bisschen zu persönlich waren für unsere Band. Wir schreiben ja oft Texte aus der Sicht von Figuren, diese Lieder waren aber sehr nahe an meiner Wirklichkeit. Außerdem hatte ich anfangs nicht das Bedürfnis, diese Texte an die Öffentlichkeit zu tragen, und es wäre auch merkwürdig gewesen, die Band zu fragen, ob sie mit mir mein persönliches Seelenleben vertonen wollen.

prisma: Wie hat die Band auf das Soloprojekt reagiert?

Brummer: Als es konkret wurde, habe ich meinen Mut zusammengenommen und die Jungs auf der Fahrt zu einem Festivalauftritt um ein Gespräch gebeten. Wir waren mit einem Nightliner unterwegs, und ich habe alle hoch zu den Schlafkabinen gebeten für die Ankündigung. Die dachten, etwas Schlimmes ist passiert. Am Ende haben sie sich aber sehr gefreut, weil es ja auch bedeutet, dass die sich auch mal heherausziehen und andere Sachen machen können.

prisma: "Nicht die Musik" ist der Opener von "Kiox" und gleichzeitig ein Statement gegenüber dem Männlichkeitsbild der Selbstoptimierungsgesellschaft, das im Rap eine große Rolle spielt. Wie stark identifizieren Sie sich mit deutschem Rap?

Brummer: Super stark! Ich wuchs mit deutschem Rap auf und wurde damit sozialisiert. "Nicht die Musik" ist auch kein Song gegen deutschen Rap. Deutscher Rap ist unfassbar facettenreich, es wäre dämlich, das über einen Kamm zu scheren. Der Song handelt ja auch nicht unbedingt von Rappern, sondern von Sachen, die in der Gesellschaft verankert sind. Ich finde es albern, dass auf Rapper gezeigt wird in solchen Zusammenhängen: "Ach, guck sie dir an, die Neandertaler und wie sie herumprotzen." Dass Rapper in dem Song als Adressaten herhalten müssen, liegt daran, dass die alle immer austeilen. Jetzt müssen Rapper auch mal einstecken lernen.

prisma: Der Plattenladen Ihres Vaters, nach dem das Album "Kiox" benannt ist, galt lange als Anlaufstelle für die Subkultur in Chemnitz. Wie konnten Sie in der Jugend gegen so "coole" Eltern rebellieren?

Brummer: Da kommt wieder Deutschrap ins Spiel. Meine Eltern sind aufgeschlossen, was Musik angeht, aber als ich mit Die Sekte (erste Band des Rappers Sido, Anm. d. Red.) ankam, konnten sie damit nichts anfangen. Es war aber auch nicht so, dass das Streitgespräche herbeigeführte, nur weil ich den "Arschficksong" hörte. Ich wusste nur, dass meine Eltern das nicht gut finden, vielleicht auch nicht richtig verstehen, und das hat mir gereicht, um es cool zu finden.

prisma: Apropos "cool": Sie sind in diesem Jahr 30 geworden ...

Brummer: Ich habe keine Angst vorm Älterwerden. Da geht es ja auch oft darum, dass man die Kontrolle über Dinge verliert. Ich fürchte mich aber nicht davor, dass ich etwas nicht mehr in der Hand habe oder Dinge nicht mehr tun darf, nur weil ich ein bestimmtes Alter erreicht habe. Ich muss aber zugeben, dass ich noch eine gewisse Melancholie in mir trage, wenn ich bemerke, dass ich meine Zwanziger hinter mir gelassen habe.

prisma: Aus Angst vor wachsender Bürgerlichkeit, wie in Ihrem Lied "Rest meines Lebens"?

Brummer: Was heißt "Angst"? Es gibt ja auch eine dritte Strophe, die das etwas versöhnt und beschwichtigt. Dieses Gefühl, wenn die Biografien von dir und deinen Freunden auseinander gehen und die ersten aufhören zu studieren und alles etwas ernster wird, ist zwar aufregend und schön, aber es ist eben auch schade. Da geht etwas zu Ende, was total Spaß gemacht hat. Das ist aus meiner Perspektive natürlich völlig privilegiert, ich kann ja als Künstler weiterhin eine Menge Quatsch machen. Aber von Leuten, die man früher kannte, wo es politisch etwas schwierig wurde, bis hin zu Kumpels, die in festen Partnerschaften mit Kindern involviert sind, wodurch dann eine Freundschaft auseinander geht, ist eben auch alles dabei.

prisma: Wie landete Max Raabe, der bekannte Bariton und Gastmusiker auf "Kiox", auf Ihrem Album?

Brummer: Ich kaufte meiner Mutter vor vielen Jahren einmal Konzertkarten, die ich damals wahnsinnig teuer fand. Wir gingen zusammen dort hin und seitdem bin ich eigentlich auch Fan. Ich habe mich auch sehr gefreut, als er zusagte. Wir haben für ihn das einzige Mal während der gesamten Produktion ein Studio gemietet. Ich hatte Angst, ihn dorthin mitzunehmen, wo wir den Rest des Albums aufnahmen – nämlich in Blvths (Produzent, d. Red.) Wohnung in Berlin-Neukölln (lacht). Nein, für Max Raabe musste ein richtiges Studio mit großem Mischpult her und allem, was man sich vorstellt.

prisma: Einige Songs auf "Kiox", etwa "Bei dir" oder "Es tut wieder weh", handeln von Depressionen und einer bestimmten Schwermut. Wie schwer war es, diese Seite nach außen zu kehren?

Brummer: Ein paar Leute waren überrascht, dass ich solche Seiten in mir trage. Das verstehe ich aber nur bis einem gewissen Punkt, denn bei Kraftklub schien das eigentlich auch hier und da schon durch. Klar, darunter waren dann ein schneller Discobeat und eine freche Gitarre, aber die Melancholie war schon bei Liedern wie "Ritalin" oder "Mein Leben" spürbar. Die Lieder von "Kiox" sind natürlich viel deutlicher, weshalb ich auch eine Weile brauchte, damit herauszugehen. Es irritiert mich aber auch, dass Leute mich so wahrnehmen, als sei ich nie traurig und immer glücklich. Das ist so eine Instagram-Logik. Wenn man etwas nachdenkt, sollte einem doch auffallen, dass es mehr Momente auf der Welt gibt als die, die auf Instagram stattfinden. Es ist doch auch nicht mein Alleinstellungsmerkmal, dass ich Situationen erlebe, mit denen ich nicht gut umgehen kann. Das kennt doch jeder.

prisma: Auf "Okay" stellen Sie sich selbst als Misanthropen dar. Wie passt das zu dem Idealismus, wie er in solchen Aktionen wie #wirsindmehr zelebriert wird?

Brummer: Ich finde, das ganze Leben besteht aus genau diesen Widersprüchen. Natürlich ist "Okay" vollkommen überzeichnet, ich "hasse" Menschen ja gar nicht. Aber es gibt Momente, in denen du die Nachrichten anguckst oder Instagram öffnest und dir einfach nur denkst: "Ich möchte euch allen einmal auf die Fresse hauen!"

prisma: Sie thematisieren auf dem Album auch Erfahrungen mit rechter Gewalt in Chemnitz während Ihrer Jugend. Wird man zwangsläufig politisch, wenn man immer wieder mit so etwas konfrontiert wird?

Brummer: Ich glaube, besonders politisierend war das für mich nicht. Das liegt daran, dass die Wahl einem quasi abgenommen wurde. Aus der Sicht von Hools war ja jeder, der irgendeine Art Alternativ-Sein an sich hatte, per se ein Feind. Es war egal, ob du Skater, Raver oder Mod warst, die haben einfach alle geschlagen. Und beim besten Willen, du hättest niemals etwas Politisches bei uns herauslesen können – wir sahen für die einfach scheiße aus mit unseren Baseball-Caps.

prisma: Gab es denn eine Solidarisierung unter den einzelnen Jugendgruppen? Schlossen die HipHopper und die Punker sich zusammen, wenn die Nazis kamen?

Brummer: Ja schon, aber das lag auch an der Größe von Chemnitz. Die Subkulturen dort waren zu klein, um für sich alleine zu bestehen. Man hat sich also im Atomio oder im alternativen Jugendzentrum immer wieder gesehen. Was in anderen Städten vielleicht reine Punk-Schuppen oder reine Technoclubs gewesen wären, war bei uns ein Schmelztiegel, da fand freitags die HipHop-Jam statt und samstags eine Technoparty. Es kommt auch immer so rüber, als wäre das ganze Hooligan-Ding so ein riesiges Thema gewesen. Wir haben uns aber nicht nächtelang an der Bar den Kopf zerbrochen, wie wir das Problem der rechten Gewalt lösen. Es war eher ein ärgerliches Beiwerk, dass wir später am Abend vielleicht rennen müssen, aber bei uns ging es in erster Linie auch um die wichtigen Themen: Musik, Knutschen, Besaufen.

prisma: Kam es trotzdem mal zu ernsthaften Keilereien?

Brummer: Ich habe mich nie geprügelt. Wenn überhaupt, dann wurde ich verprügelt, aber zu 99,9 Prozent bestanden diese Konfrontationen einfach nur aus Wegrennen. So heroisch war das alles gar nicht (lacht). Bei "9010" loben die Leute ja auch, dass ich so friedlich mit dem alten Hooligan umgehe, aber um ehrlich zu sein: Ich hätte mich damals sehr gerne gewehrt und ihn verprügelt, wenn ich gekonnt hätte. Deswegen habe ich unglaublichen Respekt vor allen Leuten, die sich in der ostdeutschen Provinz bis heute irgendwelchen Kampfsport-Hools in den Weg stellen. Ich verstehe nicht, warum die Antifa so diffamiert wird. Die stellt sich vor Leute, die sich nicht wehren können.

prisma: Sie sprachen in anderen Interviews von einem "ostdeutschen Minderwertigkeitskomplex" ...

Brummer: Ich tue mich schwer, komplett für Ostdeutschland zu sprechen. Ich beschreibe lediglich das Gefühl, wie ich es aus Chemnitz kenne. In Chemnitz gibt es dieses Gefühl zweifelsohne. Du wächst auf im Konsens, dass du nach dem Abi wegziehst und woanders studierst. Da ist ein Gefühl, sich ein Stück weit auf der Verliererseite von Deutschland zu befinden, aber ohne, dass das großartig artikuliert wird. Ich weiß nicht, woher das kommt. An den subventionierten Häusern und Straßen kann es nicht liegen, Ostdeutschland sieht ja nicht aus wie ein Nachkriegsland. Aber da fängt es halt an, mental zu werden, und dann wird es diffus. Ich bin 30, ich habe die DDR gar nicht mitbekommen. Ich weiß nicht, wie es sich anfühlt, wenn man die eigene Lebensleistung aberkannt bekommt und einem gesagt wird: "So, du hast 30 Jahre in der DDR gelebt und, sorry, ihr habt verloren, wir haben gewonnen."

prisma: Haben Sie sich denn in ihrer Jugend auch mit der sogenannten "Mauer in den Köpfen" beschäftigen müssen?

Brummer: Eigentlich gar nicht, ich habe das nie so gesehen. Ich habe nie Erfahrungen gemacht, wonach "der Wessi" besonders arrogant war. Ich habe den bescheidenen Dortmunder genauso kennengelernt wie den herablassenden Leipziger. Was ich allerdings ein bisschen bemerkte, ist ein Unterschied zwischen Leuten vom Dorf und Leuten aus der Stadt. Wir, aus Chemnitz, kommen aus so einer komischen Zwischenwelt (lacht).

prisma: Sie sind in Karl-Marx-Stadt geboren, dem heutigen Chemnitz. Was ist ihre erste Erinnerung an Westdeutschland?

Brummer: Meine erste Erinnerung ist ein Beispiel aus dem Bilderbuch. Meine Tante flüchtete vor der Wende aus der DDR, und als die Mauer fiel, fuhren wir sie besuchen. Sie wohnte in Mannheim. Dort gab es Wiesen, auf denen Hasen frei herumhoppelten. Das hat mich als Kind sehr beeindruckt und es führte dazu, dass ich jahrelang dachte, das sei mit dem Unterschied zwischen Ost und West gemeint. Der Westen sei sozusagen eine Art Disneyland, wo Tiere auf der Weide frei und friedlich leben (lacht).


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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