ZDF-Doku über Beckenbauer: "Ich will kein Lebenswerk zerstören"
Welchen Franz Beckenbauer soll man zeigen, wenn man ein Porträt zum Geburtstag nur 45 Minuten zur Verfügung hat? Vor dieser Frage standen auch die Macher von "Mensch Beckenbauer! Schau'n mer mal".
Das ganze Leben eines Kaisers – in gerade mal 45 Minuten. Wie soll das gehen? Auch der Autor Uli Weidenbach stellte sich diese Frage: "Wie kann man in dieser Zeit einer Ikone gerecht werden?" Er selbst hatte dem ZDF eine Dokumentation zum 75. Geburtstag von Franz Beckenbauer vorgeschlagen. Ein Vierteiler wäre allemal drin gewesen. Herausgekommen ist in jedem Fall ein außergewöhnlicher Film. Mit spannenden Originaltönen von namhaften Wegbegleitern. Und vor allem mit vielen bisher unbekannten Bildern aus dem Leben des gebürtigen Münchners. Weidenbach nutzte unter anderem das ZDF-Archiv und erhielt darüber hinaus Hilfe aus dem privaten Umfeld Beckenbauers. Eine "Höllenarbeit" sei es gewesen, lächelt der 1967 geborene Filmemacher. Eine, die sich gelohnt hat.
Franz Beckenbauer – das waren 70 fulminante Jahre, geprägt vom Erfolg. Und dann die letzten fünf, die sein Bild vor allem in den Medien, aber auch in der breiten Öffentlichkeit auf geradezu dramatische Weise veränderten. "Mir war es wichtig, eine gesunde Balance dazwischen zu finden", betont Weidenbach. "Ich will kein Lebenswerk zerstören." Aber natürlich nehmen Sommermärchen-Affäre oder auch die Umstände rund um die WM-Vergabe an Katar 2022 ihren Raum ein. Der Filmemacher lässt Journalisten wie Gunther Latsch vom "Spiegel" zu Wort kommen ("Man musste Beckenbauer nicht in eine korrupte Ecke drängen. Er hat sich selber hineinbegeben."), enthält sich aber selbst ganz bewusst eines Urteils. "Ich habe versucht, den Zuschauer nicht zu bevormunden. Ich wollte Fakten berichten. Und jeder mag dann für sich selbst entscheiden, ob sein Bild von Beckenbauer bestätigt wurde oder revidierungsbedürftig ist."
Weitgehend chronologisch geht der Film mit Beckenbauer durch die Zeit, beginnend im Münchner Stadtteil Giesing. Ein Straßenkind. Ein Straßenfußballer. Acht Jahre war Franz, als er an der Seite seiner Mutter Antonie und seines Bruders Walter die Heimkehr der "Helden von Bern" verfolgt. Sein Idol: Fritz Walter. Um einen Blick auf ihn und die deutsche Mannschaft zu erhaschen, setzten ihn Mutter und Bruder auf ein Dacherl. "Dann saß er da oben und bewunderte die, und dann ... 20 Jahre später ...", erinnert sich Walter Beckenbauer im Film. Und meint damit: 20 Jahre später ist Franz Beckenbauer selbst Weltmeister, gekrönt in seiner Heimatstadt München. Längst hat ihn die Presse zum "Kaiser" erkoren. Er gehört, mit nicht einmal 30 Jahren, zu den berühmtesten und geachtetsten Deutschen weltweit.
Weidenbach klopfte, in der Hoffnung auf Statements der Zeitzeugen von damals, auch beim FC Bayern an und war erfolgreich. Im Film kommen Uli Hoeneß, Paul Breitner und Sepp Maier zu Wort. Allesamt Weggefährten aus jener Zeit und bis zum heutigen Tage. "Wahrscheinlich gehört er zu den zwei, drei besten Spielern, die die Welt je hervorgebracht hat", sagt Uli Hoeneß, bekanntermaßen gerade zu aktiven Zeiten nicht immer der beste Freund Beckenbauers. Und Breitner, für den das Gleiche gilt, räumt mit der Legende auf, Beckenbauer sei stets nur Künstler, aber kein Arbeiter auf dem Platz gewesen: "Wenn er gemerkt hat: Heute läuft's nicht so, wie es sein sollte, dann ist aus diesem Dalí ein ganz normaler Anstreicher geworden."
Der Film erinnert an all jene wichtigen Stationen im Leben des Fußballers Beckenbauer. Weltmeisterschaften, Deutsche Meisterschaften mit den Bayern, dann Cosmos New York und schließlich noch zwei Jahre Hamburger Sportverein. Für den gewohnt kritischen Breitner übrigens "eine Marketingidee", die vor allem mit dem Springer-Verlag zu tun hat. Mehrfach wird im Film die enge Beziehung von Beckenbauer und der "Bild"-Zeitung thematisiert, die letzten Endes auch dafür verantwortlich war, dass der Kaiser nach der Europameisterschaft 1984 die Rolle des Teamchefs bei der deutschen Nationalmannschaft als Nachfolger von Jupp Derwall einnahm. Herbert Jung, ehemaliger Sport-Chef der "Bild München", erinnert sich im Film daran.
Die WM 1990, der Titel in Rom, produzierte die bekannten Bilder des einsam über den Platz schreitenden Teamchefs, die natürlich auch in dieser Dokumentation noch einmal gezeigt werden. Der Film berichtet aber auch über den steinigen Weg innerhalb des Turniers, über den Wutausbruch Beckenbauers nach dem knappen 1:0-Sieg gegen die Tschechoslowakei, den Rudi Völler und Lothar Matthäus eindrücklich schildern.
Und dann, nach all dem sportlichen Erfolg, sah Beckenbauer seine dritte ganz große Aufgabe auf sich zukommen. Er wollte die WM 2006 nach Deutschland bringen. Unbedingt. "Die WM nach Deutschland zu holen, das war für ihn wie ein WM-Gewinn", erinnert sich Rudi Völler. Der Film schildert noch einmal die Diskussionen und teilweise offenen Fragen rund um diese Vergabe. Rund um die 5,5 Millionen Euro, die an Beckenbauer gegangen sein sollen. Und schließlich auch die möglichen Verstrickungen in die WM-Vergabe 2022 an Katar, in deren Zusammenhang Beckenbauer einen Satz sagte, der ihm zum Ende seiner Karriere nachgetragen wir wie kein zweiter: "Also, ich hab noch nicht einen einzigen Sklaven in Katar gesehen. Also die laufen alle frei rum, weder in Ketten, gefesselt, und auch mit irgendwelcher Büßerkappe am Kopf – also, das hab ich noch nicht gesehen."
Natürlich hoffte Autor Uli Weidenbach auch auf ein Interview mit Franz Beckenbauer selbst und stand dazu eng mit dessen Management in Kontakt. In sehr korrekter Form sei ihm schließlich mitgeteilt worden, dass Beckenbauer selbst nicht zur Verfügung stehe. Ohnehin sind dessen öffentliche Auftritte zuletzt sehr selten geworden. Zu gesundheitlichen Problemen kam der tragische Tod seines Sohnes Stephan, der 2015 im Alter von 46 Jahren starb. Beckenbauer, sicher auch getroffen von der nicht enden wollenden Medienschelte, hat sich ins Private zurückgezogen. Am 11. September wird er 75 Jahre alt.
Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH