ARD-Zweiteiler "Gladbeck"

Sascha Alexander Gersak: Beängstigend gut

von Eric Leimann

Sascha Alexander Gersak kommt vom Rande der Schwäbischen Alb. Er ist verheiratet, Vater dreier Kinder und lebt mitterlweile in Berlin. Ein netter, umgänglicher Typ mit sanft schwäbischem Idiom. So würde man ihn beschreiben, wäre da nicht das Rollenprofil des Schauspielers Gersak: Im deutschen Film ist der 42-Jährige ein Mann fürs Extreme. Kaum einer spielt das Brutale, Böse oder Geknechtete – wie im Film "5 Jahre Leben" als Guantanamo-Gefangener Murat Kurnaz – so überzeugend wie er. In Dominik Grafs Ausnahmeserie "Im Angesicht des Verbrechens" ängstigte Gersak den Zuschauer als russischer Zuhälter. Nun ist der bullige Bartträger als Geisel-Gangster Hans-Jürgen Rösner im ARD-Zweiteiler "Gladbeck" (Mittwoch, 7.3., Donnerstag, 8.3., jeweils 20.15 Uhr) zu sehen. Eine Rolle, deren animalische Authentizität verstört und begeistert – wofür es noch nicht mal viel Text braucht.

prisma: Hatten Sie jemals eine Rolle mit weniger Text, wenn man die Größe ihrer Rolle bedenkt?

Sascha Alexander Gersak: Nein, so wenig war es tatsächlich noch nie. Am Abend vor dem nächsten Drehtag dachte ich immer, ich müsse ja noch Text lernen. Aber in der Tat, da gab es nicht viel ...

prisma: Dafür war es aber eine ungemein physische Rolle!

Gersak: Die physische Präsenz war besonders, aber auch die Tatsache, dass es sich um eine geschichtliche Figur handelte – einen der größten Verbrecher unseres Landes. Wenn man jemanden spielt, an den sich viele Zuschauer noch gut erinnern, ist das eine Art Reenactment. Man versucht, die Geschichte noch einmal möglichst originalgetreu im Film nachzuerzählen.

prisma: War das die Idee des Films?

Gersak: In diesem Falle, ja. Natürlich kann man Historisches auch in anderer Form bearbeiten oder reflektieren. Bei "Gladbeck" war der Ansatz, das Geschehen originalgetreu abzubilden. Viele Szenen sind dem Publikum aus der dokumentierten Realität bekannt. Wir Schauspieler sprechen das nach, was die Gesprächsprotokolle hergeben. Beispielsweise die Telefonate und Verhandlungen der Geiselnehmer mit Behörden oder Menschen auf der Straße. Die Geiselnahme von Gladbeck war ja eine ziemlich öffentliche Schau.

prisma: Sie waren damals im Teenageralter. Gibt es persönliche Erinnerungen an jene Tage im August 1988?

Gersak: Wir waren in Urlaub, als es passierte. Trotzdem habe ich natürlich Bilder im Kopf. Sie wurden ja auch in den Wochen danach immer wieder gezeigt. Die Medien diskutierten nach Gladbeck lange über sich selbst. Viele Menschen waren erschrocken darüber, was passiert war, wie sich Reporter und Schaulustige verhalten hatten. Auch deshalb sind die Bilder von damals ikonografisch: Man hat sie einfach immer wieder gezeigt und gezeigt.

prisma: Warum, glauben Sie, haben Rösner und Degowski damals so intensiv mit den Medien gespielt?

Gersak: Weil es sich ergeben hat. Ihr Plan war, eine Bank zu überfallen. Alles, was danach kam, hatten sie nicht geplant. Natürlich waren sie auch Narzissten. Wenn man über 30 Jahre nicht beachtet wird, weder von der Familie noch später vom Rest der Gesellschaft, ist es natürlich toll, wenn auf einmal alle Interviews haben wollen und man auf allen Titelseiten abgebildet wird. Rösner und Degowski hatten – das ist jedoch nur meine persönliche Meinung – aber noch einen weiteren Vorteil: Sie hatten sich entschieden, dieses Ding durchzuziehen. Und am Ende eben vielleicht zu sterben. Sie waren die treibende Kraft in allem, was passierte. Die anderen haben auf sie gehört und nur passiv reagiert. Auch das war eine Lehre aus Gladbeck: Ein Staat und seine Bürger ließen sich von denen in die Enge treiben, die böse, aber eben angstfrei und skrupellos waren.

prisma: Wie weit war die Figur Hans-Jürgen Rösner für Sie als Schauspieler weg?

Gersak: Tatsächlich dachte ich mal: "Mensch, das wäre eine Rolle für dich." Dann sah ich nach und erfuhr, dass das schon mal verfilmt wurde. Okay, dachte ich – dann halt nicht. Als man fünf Jahre später doch auf mich zukamen, weil es diese Neuverfilmung geben sollte, wollte ich es dann sogar ablehnen. Weil ich nicht wollte, dass Rösner und Degowski auf diese Weise noch mal ein Forum erhalten. Mir haben die Geschädigten und Hinterbliebenen leidgetan. Ich dachte, auf das Thema muss jetzt auch mal der Deckel drauf.

prisma: Aber dann haben Sie Ihre Meinung geändert?

Gersak: Ja, als ich das Drehbuch gelesen hatte. Es ist herausragend gut geschrieben. Und als ich Kilian Riedhof, den Regisseur, getroffen hatte, war ich vollends überzeugt. Er ist ein sehr antreibender, ambitionierter und sehender Regisseur.

prisma: Was sah er in Ihnen? Eine äußerliche Ähnlichkeit zum echten Rösner oder die Tatsache, dass Sie schon öfter brutale, derbe Typen überzeugend spielten?

Gersak: Ich glaube, Kilian Riedhof suchte in seinen Schauspielern eine Durchlässigkeit. Gladbeck war als Ereignis viel größer als die Summe dessen, was die Beteiligten durch ihr Handeln dazu beigetragen haben. Kilian suchte Schauspieler, die in diese Zustände gerieten und sozusagen den Wahnsinn zulassen konnten.

prisma: Wie haben Sie sich ganz konkret auf die Rolle vorbereitet?

Gersak: Durch intensives Üben. Ich stelle mir in etwa vor, dass sich ein Pianist auf diese Weise ein komplexes Klavierstück erarbeitet. Wir versuchten in der Tat, anhand der Gesprächsaufzeichnungen und vorhandenen Bilder alle Situationen möglichst eins-zu-eins nachzubilden. Beim Drehen hatten wir immer Tablets dabei, auf denen wir uns die Originalszenen im Vergleich anschauten. Wie war die Waffen ausgerichtet, welche Finger waren abgespreizt, wie viele Knöpfe des Hemds waren offen? Gladbeck erschuf Bilder, die wir als mediale Mahnmale bezeichnen: Rösner mit der Waffe im Mund beim Interview, Silke Bischoff neben Degowski auf dem Rücksitz des Wagens, der erschossene Junge, der von den Reportern aufgerichtet wird, damit man ihm besser ins Gesicht fotografieren kann – das alles sind Szenen, die mussten genau so inszeniert werden, wie sie passiert sind.

prisma: Haben Sie an Originalschauplätzen gedreht?

Gersak: Viele Szenen sind an Originalschauplätzen entstanden, aber nicht alle. Die Bank in Gladbeck zum Beispiel: Da gibt es heute keine Bank mehr. Aber sie wurde wieder in das Originalgebäude hineingebaut. Als der Dreh losgehen sollte, standen ein paar bestellte Komparsen herum. Der Regieassistent lief mit mir die Strecke ab, die ich später im Fluchtwagen fahren sollte. Da meinte ich: "Da stehen doch viel zu wenig Leute." Und er meinte: "Warte mal ab." Als wir die Szene dann wenig später drehten, hatten sich tatsächlich so viele Schaulustige vor der Bank versammelt, dass es wieder wirkte wie damals. Ein durchaus zwiespältiges Gefühl ?

prisma: Machen Sie sich Gedanken darüber, wie Rösner oder Degowski den Film finden könnten?

Gersak: Ja, diese Gedanken machte ich mir durchaus. Rösner klagte ja gegen unseren Film. Mit der Begründung, er habe ein Recht auf Resozialisierung, und der Film störe diese, weil er alles wieder hochspült. Ich bin der Meinung, wir stellen hier ein Stück Zeitgeschichte exakt so dar, wie sie passiert ist. Mit großer Akribie und Realitätsnähe. Gladbeck war ein beispielloses Verbrechen – und ich bin der Meinung, dass wir das Recht haben, es noch einmal zu erzählen.

prisma: Wie im Film "Fünf Jahre Leben", wo Sie den Guantanamo-Gefangenen Murat Kurnaz spielten, ist auch das wieder eine ungeheuer intensive Rolle. Löst man sich davon schwerer als von anderen?

Gersak: Zunächst löst man sich vor solchen Rollen eher leichter – wegen der Erschöpfung, die mit ihnen einhergeht. Wenn ich so etwas 13, 14 Stunden pro Tag spiele, komme ich abends nach Hause, trinke noch ein Bier – und dann ist das ganz schnell weg. Seelisch bleibt es natürlich haften. Murat Kurnaz blieb noch lange in mir drin. Ich glaube, bei Rösner wird es genauso sein. Es geht dann schneller weg, wenn die Filme endlich zu den Leuten kommen. Wenn ich meine Erfahrungen teilen kann, wird auch das Loslassen leichter.

prisma: Wie groß ist die Gefahr, dass Hans-Jürgen Rösner Sie weiterhin auf ähnliche Rollen festlegen wird?

Gersak: Meine Mutter wünscht sich schon länger, dass ich mal einen Landarzt oder so etwas spiele. Ich mache ihr da wenig Hoffnungen (lacht). Diese Schubladen gibt es natürlich. In Dominik Grafs Serie "Im Angesicht des Verbrechens" spielte ich einen russischen Zuhälter. Danach bekam ich über drei Jahre vor allem Anfragen für russische Zuhälter. Das ist nicht besonders kreativ. Jetzt habe ich gerade ein Angebot bekommen, einen Geiselgangster zu spielen, der eine Bank überfallen hat. Das habe ich natürlich abgelehnt.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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