Sonntag am "Tatort"

"Tatort": Der Versuch eines Komplotts

19.06.2015, 15.15 Uhr
von Detlef Hartlap
Sebastian Bootz (Felix Klare) und Thorsten Lannert (Richy Müller) müssen den Mord an dem ehemaligen Staatssekretär Jürgen Dillinger (Robert Schupp) aufklären.
BILDERGALERIE
Sebastian Bootz (Felix Klare) und Thorsten Lannert (Richy Müller) müssen den Mord an dem ehemaligen Staatssekretär Jürgen Dillinger (Robert Schupp) aufklären.   Fotoquelle: SWR/Alexander Kluge

Die Staatsräson fährt Rad, und das Verbrechen trägt breitkrempige Hüte. Der Stuttgart-Tatort auf dem Tiefpunkt.

Es komplottet sehr im deutschen Tatortwesen. Nachdem vor einer Woche in Bremen die Nordsee-Windparks zum Gegenstand der Geldmacherei wurden (was zweifellos zutrifft) und als Instrumente eines massenhaften Tiermords gebrandmarkt wurden (was weniger zutrifft), steht diesmal die Geschäftemacherei um den Bau des Riesenbahnhofs "Stuttgart 21" im Mittelpunkt.

"Der Inder" heißt die Folge, und man muss gleich vorausschicken: Ein Inder taucht nicht wirklich auf, und es erschließt sich auch nicht, warum die durchaus hausgemachte Spekulation um perspektivisch reizvolle Immobilien, um die es geht, unbedingt auf eine internationale Ebene geschoben werden muss. Irgendwer im Kreis der Produzenten, ob beim Südwestfunk selbst oder bei der mit Tatort-Filmen grundsätzlich überforderten "Maran Film", wird den Titel in den Raum geworfen haben: Der Inder. Klingt doch super, gell!?

Leider konnte man den Inder nicht mehr so recht ins Drehbuch einbauen.

Der Film beginnt in einem Untersuchungsausschuss. Eine Grüne, Petra Keller, hat hier das Sagen. Sie nimmt den früheren Staatssekretär Dillinger (Robert Schupp) ganz schön in die Mangel, und auch wenn sich Dillinger und sein Anwalt nach besten Kräften wehren, können sie doch nicht verhindern, dass Dillinger ein paar Szenen später mausetot ist. Erschossen beim Joggen. Oder besser: Noch als er sich die Schuhe schnürte.

Politik ist ein mörderisches Geschäft.

In der Folgezeit wird kreuz und quer und natürlich immer unter Hochdruck ermittelt, doch bleibt bei aller filmisch behaupteten Hektik festzustellen: Die politische und mediale Realität im Lande Baden-Württemberg und generell in der Bundesrepublik sähe im Fall eines ermordeten Ex-Staatssekretärs anders aus als in diesem Südwest-Filmchen.

Der Verfassungsschutz wäre massiv ermittelnd zur Stelle, der Generalbundesanwalt würde der aparten Stuttgarter Staatsanwältin Emilia Álvarez das Ruder aus der Hand nehmen, und die beiden Stuttgarter Heldendarsteller Richy Müller und Felix Klare würden allenfalls noch mit polizeilichen Kalfaktorarbeiten betraut.

Ein bisschen Haft, ein bisschen Freigang

Der Komplott. Ein Busso von Mayer soll einst der Strippenzieher hinter den Immobilien-Spekulationen gewesen sein, wofür er jetzt ein bisschen in Haft sitzt und ein bisschen Freigang genießt, mit einem sehr markanten breitkrempigen Hut grüßt, was offenbar das Künstlertum im Betrüger unterstreichen soll – und doch bleibt er genau jener Thomas Thieme, der der Schauspieler Thomas Thieme immer gewesen ist. Der Mann hat fürs Fernsehen so viel Klamauk gedreht (zuletzt als treuer Gehilfe in einigen Landei-Krimis mit Hinnerk Schönemann), dass man ihm den politisch-wirtschaftlichen Strippenzieher aus dem gehobenen Management beim besten Willen nicht zutraut. 

Komplott. Die Ausschussvorsitzende Petra Keller wird, ein Lichtblick im Stück, von Katja Bürkle überzeugend zwiespältig dargestellt, womit wenigstens ein Aspekt des klassischen Komplottes – die Dubiosität mancher seiner Akteure – andeutungsweise gezeigt wird. Petra Keller gibt der erstaunlicherweise immer noch vorhandenen inneren Spaltung vieler Grünenpolitiker ein Gesicht, der Spaltung in die Oppositionshaltung der Vergangenheit und die der aktuellen Regierungsverantwortung. Keller ist eine Radfahrerin mit Chauffeur, eine Szenekneipenkundin mit Staatsräson. Wenn es hart auf hart kommt im Untersuchungsausschuss bedient sie sich schlüpfriger Saunafotos, die ihr anonym zugespielt wurden.

Bleibt der Ex-Ministerpräsident Rupert Heinerle, dargestellt von Ulrich Gebauer. Theoretisch wäre er der beste Kandidat für eine gute Komplott-Story. Er soll die Erinnerung an den realen Affären-Ministerpräsidenten Mappus wachrufen, aber außer gelegentlichem Gebrüll über seine Abwahl "durch den Wähler" passiert nichts. Er bleibt die Person im Stück, die keine Funktion hat.

Am Ende steht ein großes Gähnen

Was manche Zuschauer hier zum ersten Mal erfahren: Baden-Württemberg ist auf der Karte von "Maran Film" unmittelbarer Nachbar von Tschechien, jedenfalls steigt man in nullkommanix hier ein und dort aus, die Distanzen zerfließen ebenso wie die Spannung. Am Ende steht ein großes Gähnen. Richy Müller und Felix Klare mussten für einmal nicht undercover ermitteln, das war sonst ihre Spezialität in den Stuttgart-Krimis. Auch für ihre privaten Probleme finden sich keine Szenen mehr, die Familie Bootz (Klare) scheint sich aufgelöst zu haben, Thorsten Lannert (Müller) hat außer seinem Porsche keinerlei Liebesleben.

Das alles ist entschieden zu mau für einen Tatort und entschieden zu wenig für zwei potenziell starke Schauspieler wie Müller und Klare. Schade drum.

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