Österreichs Oscar-Kandidat

"Was wir wollten": Großes Kino bei Netflix

von Julian Weinberger

Lavinia Wilson und Elyas M'Barek brillieren in dem Beziehungsdrama "Was wir wollten" als kinderloses Paar, welches vergeblich auf eine Schwangerschaft hofft. In Deutschland ist Österreichs Oscar-Hoffnung bei Netflix zu sehen.

Als im Filmdrama "Was wir wollten" (ab 11. November bei Netflix) die erste Träne fließt, ist schon weit über die Hälfte des Films verstrichen. Es ist auch nur ein einziger, fast schon unscheinbarer Tropfen, der an der Wange von Alice (Lavinia Wilson) hinabperlt. Dabei hätten sie und ihr Mann Niklas (Elyas M'Barek) allen Grund für weitaus heftigere Gefühlsausbrüche als eine schüchtern verdrückte Träne. Schon seit langem versucht das Paar vergeblich, sich seinen sehnlichen Wunsch nach einem Kind zu erfüllen. Allein: Eine Schwangerschaft will und will einfach nicht klappen – künstliche Befruchtung hin, exakte Beobachtung des Fruchtbarkeitszyklus her.

Und so schickt die österreichische Regisseurin Ulrike Kofler, deren Debüt als Filmemacherin aufgrund der Corona-Pandemie nur in ihrer Heimat ein Kinostart vergönnt ist, ihre Hauptdarsteller Wilson und M'Barek nach Sardinien. In einem geschmackvollen, wenn auch etwas kühl eingerichteten Haus unweit des Meeres will sich das Paar eine Pause von der betäubenden Wirkung der Kinderlosigkeit gönnen. Wie es der Zufall aber will, zieht nebenan das Südtiroler Paar Christl (Anna Unterberger) und Romed (Lukas Spisser) mit ihren Kindern Denise (Iva Höppberger) und David (Fedor Teyml) ein – mit nicht unerheblichen Folgen auf das Gefühlsleben von Alice und Niklas.

Zwar verstehen sich die beiden Familien ganz gut – Grillabende und einen gemeinsamen Kletterausflug inklusive -, doch Abstand von der eigenen Kinderlosigkeit zu bekommen, fällt Alice und Niklas angesichts der im Garten herumtollenden Denise schwer. Das kluge Drehbuch, an dem Regisseurin Kofler ebenfalls mitarbeitete, fügt dem Szenario an dieser Stelle eine entscheidende Wendung hinzu. Romed und Christl sind mit ihren Kindern alles andere als glücklich: Den Wirbelwind Denise empfinden sie als anstrengenden Quälgeist, und den pubertierenden, unnahbaren Sohn David bezeichnen sie in dessen Anwesenheit als Unfall. "Warum haben die Kinder und wir nicht?", fragt Alice an einer Stelle.

Es ist eine von vielen schonungslosen Fragen, die das hervorragende Skript aufwirft. Den Fehler, den Schmerz der Kinderlosigkeit in pseudomoralischen Weisheiten oder gefühlsduseligen Auseinandersetzungen auszudrücken, macht "Was wir wollten" glücklicherweise nicht. Der Film versucht sich gar nicht erst an so etwas wie einer Lösung, was auch vermessen wäre. Stattdessen erzählt der 90-Minüter von dem Kummer, der Alice und Niklas selbst in den vermeintlich beschwingten Momenten anzusehen ist, auf leise und zurückgenommene Art. Der sorgfältig ausgewählte, dezente Soundtrack tut sein Übriges.

"Das bist du, eine traurige Frau"

Den groß aufspielenden Hauptdarstellern Lavinia Wilson und Elyas M'Barek gelingt es, allein durch Gesten und Blicke eine eindrückliche emotionale Intensität zu erzeugen, die größer ist, als es Worte jemals ausdrücken könnten. Zweifel an der Liebe der beiden kommen an keiner Stelle auf. Unverkennbar sind jedoch die Risse, die das ständige Hoffen auf eine Schwangerschaft hinterlassen hat. "Das bist du, eine traurige Frau", befindet Denise an einer Stelle so unverhohlen offen, wie es nur Kinder vermögen.

Zwischen Augenblicke der Unbeschwertheit schleichen sich immer wieder Zweifel des frustrierten Paares, was sie in einer Zukunft ohne Kinder mit sich anfangen sollen. Während Kofler ihre Protagonisten eines Abends bei einem intimen Tanz wie ein verliebtes junges Paar eng umschlungen glücklich sein lässt, webt sie immer wieder scheinbar beiläufige Bemerkungen über die Kinderlosigkeit der beiden aus ihrem Umfeld ein, die ihre Herzen wie Nadelstiche durchdringen.

Ebenso wenig spart die Regisseurin die sexuelle Gehemmtheit von Niklas nach den Enttäuschungen in der Familienplanung aus: Während Alice nackt im Bett ihrem Liebsten eindeutige Avancen macht, entzieht der sich peinlich berührt der Situation – und beobachtet tags darauf mit begierigen Blicken, wie sich Christl auf der Nachbarterrasse mit entblößtem Oberkörper von der Sonne bräunen lässt.

Nicht umsonst geht "Was wir wollten" bei der Oscar-Verleihung 2021 für Österreich ins Rennen. Der Film besteche durch seine "eindrucksvolle Machart und die genaue Beobachtung der Beziehungsgeschichte eines Ehepaars, dessen sehnlicher Kinderwunsch nicht Erfüllung gehen will", so heißt es in der Begründung der zuständigen Kommission, die zudem die "glaubhafte, aber auch trocken-pointierte Erzählung" lobte. Vollkommen zu Recht.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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