Interview mit dem Krimi-Star

Bjarne Mädel über "Sörensen": "Was ist nur aus Dir geworden, was hat die Angst aus dir gemacht?"

17.10.2023, 12.52 Uhr
von Eric Leimann

Bjarne Mädel inszeniert mit "Sörensen fängt Feuer" bereits zum zweiten Mal einen der interessantesten Ermittler der deutschen Krimi-Szene. Im Interview gibt der 55-jährige Schauspielstar Einblicke in seine Regiearbeit und verrät, wie es mit Sörensen nun weitergeht.

Mit "Sörensen fängt Feuer" (Mittwoch, 18. Oktober, 20.15 Uhr, Das Erste) verfilmte Bjarne Mädel als Regisseur zum zweiten Mal einen Kriminalroman seines Freundes Sven Stricker. Natürlich spielt Mädel auch wieder seinen mit dem Grimme-Preis ausgezeichneten Kommissar, der so norddeutsch ist wie er selbst. Doch was heißt hier eigentlich Kriminalroman? Die schlauen "Sörensen"-Stoffe bedienen das Genre, erweitern es aber auch mit äußerst klugen Kniffen. Im Interview berichtet Bjarne Mädel (55) von skurrilen Motivsuchen in Ostfriesland und er erklärt, warum ein frischgebackener Oscar-Preisträger für ihn zum "Sondertarif" arbeitet.

prisma: Der erste Sörensen-Film war Ihre erste Regiearbeit. Sie sagten damals, dass Sie so etwas Anstrengendes nicht mehr so schnell wiederholen wollen ...

Bjarne Mädel: Ja, aber andererseits habe ich es einmal überlebt und man vergisst so schnell. Außerdem gab es viel positives Feedback zum Film, das motiviert natürlich auch. Und die Freude auf die Zusammenarbeit mit meinem Team hat dann den Ausschlag gegeben, es nochmal zu tun. Aber anstrengend war es natürlich auch diesmal wieder. Und wir hatten schon auch Pech. Fünf Corona-Fälle im Team, zwei davon bei Schauspielern. Das bringt so einen Drehplan doch extrem durcheinander. Aber ich glaube, dass ich diesmal trotzdem insgesamt etwas entspannter war, weil ich einfach bei vielem besser wusste, wie es läuft.

prisma: "Sörensen hat Angst" wurde 2021 von Kritik und Publikum gefeiert. Macht das den zweiten Film leichter oder ist es eine Bürde? So wie bei der Band, die nach einem tollen Debütalbum das schwierige zweite Werk folgen lassen muss ...

Mädel: Das Lob fürs erste Werk ist natürlich Ansporn, mit der "zweiten Platte" nicht unter dem Niveau der ersten zu bleiben. Wir hatten vor allem den Anspruch, uns nicht eins-zu-eins zu wiederholen. Das ist immer das Problem bei Reihen: Man muss an das Alte anknüpfen, aber möchte auch einen Schritt weiter gehen. Da ging es bei uns beispielsweise um visuelle Entscheidungen. Ich langweile mich immer enorm, wenn am Ende eines Krimis die lange Auflösung des Mordfalles im Monolog oder Dialog heruntergebetet wird. Das haben wir nun sehr speziell gelöst: Die Figuren spielen den Tathergang noch einmal in einem reduzierten, theaterähnlichen Setting. Wir sollten Dinge neu probieren, um uns mit den Formatregeln – gerade beim Krimi – nicht zu langweilen.

Zusage vom Oscar-Gewinner

prisma: Ist der Krimi bei "Sörensen" nur ein Vehikel, um eigentlich ganz andere Dinge zu erzählen?

Mädel: Wir nehmen den Krimi ernst, aber es geht bei Sörensen immer um mehr. Im ersten Film stand seine Angststörung im Mittelpunkt. Im zweiten sind es die Themen Verlorenheit und Einsamkeit. Da fand ich im Zusammenspiel mit dem tollen Kameramann Kristian Leschner die Aufgabe reizvoll, wie man Angst beziehungsweise jetzt die Einsamkeit in Bilder übersetzt. Bilder, die diese Gefühle ausdrücken und transportieren. Natürlich sollten die im besten Fall nicht klischeehaft sein. Aber diese Gegend von Ostfriesland, in der wir drehen, bieten tolle Orte der Einsamkeit. Wir hatten beim ersten Mal so viele trostlose Drehorte notiert, dass wir wohl allein deshalb noch einen zweiten Film machen mussten.

prisma: Kann man Einsamkeit vielleicht sogar am besten über Bilder erzählen?

Mädel: Auf jeden Fall ist das Zeigen fast immer besser als das darüber Reden. Und es gibt noch eine Komponente im Film, die manchmal unterschätzt wird: das Hören – und damit meine ich nicht nur den Dialog. Nein, die Tonspur ist auch ganz wichtig! Wir haben zum Beispiel Vogelstimmen und andere Umweltgeräusche, die eine Szene auflockern und realistischer machen, bewusst weggelassen oder herausgefiltert. Sie glauben gar nicht, wie viel trister eine Szene ist, wenn man die vitalen Vögel eliminiert.

prisma: Und dann gibt es natürlich noch Musik und die stammt bei Ihnen von Volker Bertelmann, der gerade für "Im Westen nichts Neues" den Oscar gewonnen hat ...

Mädel: Volker ist ein herausragender Musiker und Score-Komponist und die Zusammenarbeit mit ihm ist für mich ein Fest und ein Glücksfall. Nach seinem Oscar-Gewinn haben wir natürlich unsere Witze gemacht. Nach dem Motto: Das ist jetzt wahrscheinlich der letzte Film, den du mit uns Dahergelaufenen gemacht hast und der letzte, für den wir dich überhaupt bezahlen konnten ...

prisma: Und – ist es so?

Mädel: Nein, leichtsinnigerweise hat er versprochen: Mit dir mache ich weiter. Das ist wirklich eine tolle Zusammenarbeit mit ihm, deshalb kann ich diese "Zusage" gar nicht hoch genug schätzen. Auch auf der musikalischen Ebene sind wir noch etwas mutiger geworden, zum Beispiel bei der Wahl der Instrumente.

"Tatortreiniger" oder Sörensen?

prisma: Würden Sie sagen, dass es ästhetisch einen klaren Unterschied zwischen Film eins und zwei gibt?

Mädel: Ich würde sagen, dass wir formal anknüpfen und doch einen Schritt weiter gehen. Ich glaube, im ersten Film war der Fall selbst noch etwas drastischer, dafür sind wir aber diesmal in der Form und mit den Bildern diesmal noch konsequenter und etwas wagemutiger.

prisma: Es gibt zwei, drei Stellen im Film, an denen Sörensen monologisiert. Großartig ist zum Beispiel die Szene, in der Sörensen bei einer Autofahrt mit seiner Kollegin über Beziehungen philosophiert. War da ein bisschen "Schotty" aus dem "Tatortreiniger" zu hören?

Mädel: Wenn Ihnen das so vorkam, wäre das nicht gut und auf keinen Fall beabsichtigt. Denn ich möchte, dass meine Rollen unterschiedlich sind. Aber natürlich sind beide Figuren norddeutsch und sie haben mein Gesicht, meine Stimme und sie eint zudem auch noch der lakonische Humor. Aber "Schotty" und Sörensen, das sind schon unterschiedliche Charaktere.

prisma: Sörensens Film-Monologe klingen teilweise improvisiert. Sind sie es?

Mädel: Nein, aber wenn es so wirkt, gefällt mir das, denn alles, was improvisiert klingt, aber aufgeschrieben im Drehbuch stand, ist für mich erstmal gut, denn es setzt freies, überzeugendes Schauspiel voraus. Die Sörensen-Monologe im Film sind aus den Büchern von Sven Stricker übernommen. Die kann ich mir also leider gar nicht ans Revers heften.

Ostfriesische Motivsuche: Ein Dental-Labor als Polizeiwache

prisma: Sie haben eben über die tristen Motive Ostfrieslands gesprochen. Spielen die Romane nicht in Nordfriesland?

Mädel: Ja, aber das war ja schon im ersten Film der Fall. Weil wir Fördergelder aus Niedersachsen erhalten, müssen wir auch dort investieren, also: drehen. Aber wir sind mit den Drehorten sehr einverstanden. Tristesse und trübes Wetter, was wir beides brauchen und diesmal auch hatten, reichen alleine aber nicht aus. Das Schwerste ist, jene Motive zu finden, die in den Büchern total Sinn ergeben, die es in der Realität aber vielleicht einfach gar nicht deckungsgleich gibt. Ein stimmungsvolles Haus mit der richtigen Scheune und Garage zum Beispiel beim ersten Film oder Sörensens Kate direkt am Deich. Diesmal brauchten wir mehrere eng zusammenstehende Häuser, deren Bewohner eine enge Gemeinschaft bilden. Wir hatten auch enormes Glück, dass es unsere Polizeiwache noch gab ...

prisma: Sörensens Polizeiwache wirkt in der Tat seltsam. Nicht unbedingt ein Ort, von dem man glaubt, dass dort Polizisten arbeiten. Was ist das für ein Drehort?

Mädel: Unsere Wache ist der ehemalige Anbau eines Dental-Labors. Das Gebäude sollte eigentlich zwischen dem ersten und dem zweiten Film abgerissen werden, stand aber noch. Es musste jedoch viel Baumaterial und Schutt daraus entfernt werden, denn ein Bauunternehmer nutzt das Gebäude als Lager. Die Räumlichkeiten sind in jeder Hinsicht perfekt für unsere Geschichte. Der Eingang zu unserer Wache ist also der Hintereingang eines ehemaligen Dental-Labors. Von vorne sieht das Ding nach nichts aus. Aber hinten raus wirkt es sehr stimmungsvoll und vereinsamt. So etwas muss man dann haltmachen bei der Motivsuche: einfach mal um ein langweiliges Gebäude herumgehen.

prisma: Überlassen Ihnen die Bewohner Ostfrieslands gern ihre Häuser, damit sie darin drehen können?

Mädel: Grundsätzlich erfahren wir dort viel Unterstützung. Und bei unbewohnten Gebäuden wie unserer Wache ist das – vom Leerräumen abgesehen – kein Problem. Was die Privathäuser betrifft, kommt es darauf an: Natürlich werden die Leute ordentlich entschädigt, und es wird alles um- und wieder rückgebaut. Aber es kommt schon auch darauf an, was man erzählen will. Im ersten Film ging es ja unter anderem um den Missbrauch von Kindern und wenn man das den Leuten erzählt, was man ja fairerweise tun muss, wollen die Eigentümer nicht unbedingt mit ihrer Häuserfassade in einem Film zu sehen sein.

"Früher warst du doch mal ein unbeschwerter Junge ..."

prisma: Das heißt, Sie bekamen viele Absagen?

Mädel: Ja. Die Leute sagen: "Wir leben hier auf dem Land. Jeder hier kennt jedes Haus. Und wir sind dann für immer jenes Haus, in dem Kinder ...." , man kann das nachvollziehen, finde ich. Dann ist das Haus im Gedankenreflex der Nachbarn vielleicht nicht der Ort, wo ein Film gedreht wurde, sondern eben jener Ort, an dem Kinder misshandelt wurden.

prisma: In "Sörensen fängt Feuer" sieht sich Sörensen in Visionen selbst als Kind in einem alten HSV-Trikot. Haben Sie dieses Outfit ausgesucht, als bekennender HSV-Fan?

Mädel: Nein. Das Trikot war Sven Strickers Idee. Die Vision, in der sich Sörensen selbst als Kind sieht und diesem Kind sogar szenisch begegnet, stammt übrigens nicht aus dem Buch "Sörensen fängt Feuer", sondern war für ein späteren Sörensen Roman gedacht. Wir haben das quasi vorgezogen, weil wir für seine Angststörung, die ihn ja weiterhin belastet, ein neues Bild gesucht haben. Der Junge guckt sich kopfschüttelnd seine ältere Version an und denkt sich: Früher warst du doch mal ein unbeschwerter Junge, was ist nur aus dir geworden, was hat die Angst aus dir gemacht?

prisma: Momentan gibt es vier "Sörensen"-Bücher, weitere sollen folgen. Erwächst aus zwei Filmen für Sie nicht die Verpflichtung, auch die übrigen Romane zu verfilmen?

Mädel: Es gibt da für mich keine "Verpflichtung" oder Zwangsläufigkeit. Es ist ein bisschen wie nach dem ersten Film. Ich konnte mir nicht vorstellen, einen weiteren Sörensen-Film zu drehen. Dann haben wir aber mit der Einsamkeit ein Thema gefunden, das uns begeistert und angespornt hat. Sollten wir wieder ein erzählenswertes Meta-Thema finden, würde ich nicht ausschließen, dass wir noch mal nach Katenbüll zurückkehren. Sollte ich tatsächlich erneut Regie führen, würde es mich ehrlicherweise aber mehr reizen, mich in einem anderen Genre auszuprobieren.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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