Torsten Sträter im Interview: "Ich will keine Weltsichten verändern, nur Leute zum Lachen bringen"
Torsten Sträters Komik ist anders. Eigentlich scheint der wortgewaltige Dortmunder zu schräg für den Mainstream-Erfolg zu sein. Trotzdem füllt er Deutschlands größte Hallen. Zum Staffelstart seiner ARD-Show "Sträter" spricht er über die Kunst des Abschweifens und sein bevorzugtes Lebensmodell.
Torsten Sträter, stoischer Gewinner der ersten "LOL"-Staffel, ist kein Typ, über den man bereits lacht, wenn er den Raum, geschweige denn eine Bühne betritt. Der 1966 geborene Dortmund mit der sonoren Stimme und der Beanie-Mütze als Markenzeichen, war schon über 40, als er von seiner Wortkunst – Geschichten und Slam Poetry – erstmals leben konnte. Mittlerweile lieben so viele Menschen seine wortverspielte Ruhrpott-Schnoddrigkeit, dass nur noch die größten deutschen Hallen die Kapazität haben, das Publikumsinteresse an ihm aufzufangen.
Nebenbei macht Sträter, der über sein Privatleben nicht gerne spricht, sechsmal im Jahr seine ARD-Show "Sträter", deren erste Teilstaffel mit drei Folgen ab 11. Mai (23.35 Uhr, Das Erste) jeweils am späten Donnerstagabend zu sehen ist. In der ARD-Mediathek gibt es die Folgen schon ab 20.15 Uhr zu sehen. Die Gäste der ersten drei Shows heißen Wladimir Kaminer, Ralph Ruthe und Laura Wontorra. Im Interview erzählt Torsten Sträter, wie man aus dem Abschweifen eine Kunstform machen kann und warum er vieles, was andere stressig finden, nicht als Druck spürt.
prisma: Wo sehen Sie die Sendung "Sträter" innerhalb ihrer vielen Aktivitäten?
Torsten Sträter: Es ist die einzige richtige Arbeit, die ich mache. Etwas, für das ich richtig schuften muss. Die Sendung ist sehr kleinteilig, sie ist wie ein sehr aufwendiges Hobby. Deshalb mache ich auch nur sechs Sendungen pro Jahr. Drei im Frühjahr, drei im Herbst.
prisma: Aufwendig, weil Sie all ihre verdrehten und sehr eigenen Texte selbst schreiben und nicht von Autoren zugeliefert bekommen, wie die meisten Hosts vergleichbarer Shows?
Sträter: Ich habe zwei tolle Kollegen, die an den Texten für die Show mitarbeiten. Aber am Ende verwende ich meist nur ihre Ideen, weil ich doch eine sehr eigene Ausdrucksweise habe. Und wenn ich die nicht hätte, wären es auch nicht meine Geschichten. Meine Sprache ist Segen und Fluch. Andererseits finde ich es auch okay, fast alles selbst zu schreiben. Wenn ich nur vortragen würde, könnten sie auch einen Jüngeren mit vollerem Haar nehmen. Dann bräuchten Sie mich ja gar nicht.
Von der Oma über Frikadellen zum Steuerberater
prisma: Ihr letztes Buch wurde mit dem Slogan "Vom Meister des Abschweifens" beworben. Komiker sagen immer, dass "Timing" das Wichtigste beim Humor sei. Wie kann man aus Abschweifen etwas Lustiges kreieren?
Sträter: Also, der Satz stammt nicht von mir, denn ich würde mich niemals als Meister in etwas bezeichnen. Trotzdem stimmt es natürlich – ich schweife schon mal ab. Auch beim Abschweifen gibt es ein Timing. Ich fange damit an, über meine Oma zu erzählen, rede danach zehn Minuten lang über Frikadellen und schließlich über meinen Steuerberater. Das Ganze dauert vielleicht 20 Minuten. Wenn ich am Ende alles zusammenführe, hat sich das Abschweifen gelohnt. Natürlich muss dazwischen der ein oder andere One-Liner sitzen. Der Pay-Off muss stimmen. Man kann diese Exkurse nicht den ganzen Abend durchziehen. Aber ab und an geht das schon mal. Es ist wie bei einer Musik-Playlist: Du kannst was vom Deutschen Symphonie-Orchester spielen, aber dann muss auch wieder was von Depeche Mode oder den Sex Pistols kommen.
prisma: Apropos Timing. In "Sträter" kommen Ihre Gäste zu relativ kurzen Gesprächen. In welchem Moment wissen Sie, dass ein Gespräch gut wird?
Sträter: Wenn wir uns im Vorfeld darauf verständigen, dass wir keinen klassischen Talk machen. Irgendwo in Köln muss es ein Bergwerk geben und da liegen auf Schiefertafeln die festen Regeln für Talks und deren Aufbau. Die habe ich aber nie zu Gesicht gekriegt. Ich kann keinen Talk und lade mir deshalb nur Leute ein, die ich selbst treffen will. So wie jetzt Wladimir Kaminer, Ralph Rute und Laura Wontorra. Im Original sind die Gespräche übrigens sehr viel länger, und wir werden pro Sendung ab sofort auch nur noch einen Gast haben, um ihm oder ihr mehr Raum zu geben.
prisma: Was meinen Sie, wenn Sie sagen, die Gespräche wären im Original sehr viel länger?
Sträter: "Sträter" ist in der Aufzeichnung sehr viel länger. Da kommen schon mal zwei Stunden zusammen. Das ist immer ein großer Spaß fürs Studiopublikum, wenn wir uns richtig lange dem Schwachsinn hingeben. So etwas ist im Fernsehen nicht darstellbar, deshalb gibt es da einen Zusammenschnitt.
"Vielleicht ist das auch ein Stück Arroganz oder Dummheit"
prisma: Sie machen außerdem einen Podcast und eine Radiosendung, Sie schreiben Bücher, sind in anderen Formaten zu Gast und füllen auf Tourneen mittlerweile große Hallen. Ist es nicht ein bisschen Koketterie, wenn Sie sagen, nur "Sträter" wäre richtige Arbeit?
Sträter: Nein, das habe ich schon so gemeint. Die anderen Sachen stressen mich nicht, da bleibe ich ganz entspannt – meistens. Was ich in diesem Jahr anstrengend fand, war meine Teilnahme bei "Grill den Henssler", weil ich mich beim – für meine Verhältnisse anspruchsvollen – Kochen nicht blamieren wollte. Anstrengend ist es immer dann, wenn man seine Komfortzone verlässt. Die meisten Dinge, die ich beruflich tue, liegen aber innerhalb meiner Komfortzone.
prisma: Erklären Sie doch mal den Unterschied zwischen Komfortzone und Herausforderung?
Sträter: Bei "Sträter" schreibe ich die ganze Nacht vor der Sendung, nehme auf alle Elemente Einfluss, bügele sogar noch meine Klamotten selbst und trete dann auf – drei Tage hintereinander dasselbe Spiel mit kaum Schlaf. Ist ein selbst gewähltes Schicksal, aber tatsächlich eine Herausforderung. Heute aber trete ich in Berlin auf und verbringe den Tag wie folgt: Gerade trinke ich Kaffee und rede ein bisschen mit Ihnen. Dann will ich zur Klima-Demo ans Brandenburger Tor und ein Stück mitlaufen. Dann gehe ich zu einem Berliner Schneider, der hat mir eine schöne Weste gemacht, die kann ich heute Abend anziehen. Schließlich gehe ich in den Admiralspalast, wo Leute auf mich warten, die mich sehen wollen. Danach esse ich vielleicht ein Steak. Wie herrlich ist das? So ein Tag ist auf jeden Fall Komfortzone.
prisma: Viele Künstler empfinden Auftritte auch als Druck. Schließlich erwartet das Publikum, dass man abliefert ...
Sträter: Ich war vor Publikum immer extrem sicher. Vielleicht ist das auch ein Stück Arroganz oder Dummheit. Auf der Bühne weiß ich, die wollen das! Die Leute haben Karten gekauft, ich freue mich total auf den Abend. Das ist eine klare Verabredung. Ich habe immer viel mehr Material dabei, als ich anbringen kann. Ich wähle spontan aus und lasse mich durch nichts aus der Ruhe bringen. Wie gesagt, das ist Komfortzone für mich. Aber ich sage auch: Meine Komfortzone ist gar nicht so groß. Verlasse ich sie, überspiele ich das meistens – und ich bin hervorragend im Überspielen. Wenn ich aber kochen muss oder als Talk-Gast zu ernsthaften Themen eingeladen werde, dann frage ich mich oft: Kann ich das überhaupt?
"Die ersten zehn Reihen lachen, der Rest ist wie eine Brandung"
prisma: Sie haben mal in einem Interview gesagt, Ihr einziger Antrieb, den Job zu machen, wären die Lacher. Ist das so? Mehr brauchen Sie nicht?
Sträter: Ja, das ist so. Man will sich unterhalten fühlen. Du gehst ja auch nicht ins Kino zu "John Wick", um ein psychologisches Kammerspiel mit Keanu Reeves zu sehen. Genauso ist es mit mir. Ich will keine Meinungen oder Weltsichten verändern, sondern nur die Leute zum Lachen bringen.
prisma: Funktioniert Komik in großen Hallen genauso gut wie im Club?
Sträter: Weitgehend ... ja. Von der Club-Atmosphäre bin ich jetzt schon länger weg. Unter 1.000 Besuchern ist fast keine Halle mehr dabei. Und dann sage ich auch mal, warum nicht mal in der Kölner Lanxess-Arena spielen. Kleinteiligen Blödsinn kann man natürlich nur machen, wenn der Ton richtig gut ist. Aber unsere deutschen Hallen sind schon stark, in dieser Hinsicht. Die Lacher in der Dortmunder Westfalenhalle sind jedoch andere als in einem kleinen Theater. Die ersten zehn Reihen lachen, der Rest ist wie eine Brandung, die auf dich zurollt. Aber ich komme damit klar.
prisma: Sie waren Sieger bei der ersten Staffel von "LOL" und auch in der aktuellen Staffel dabei ...
Sträter: Ja, aber nur als Gast mit einem kleinen Set. Ich würde mich freuen, wenn sie mich mal wieder als Kandidaten einlüden.
"Auf einer Augenhöhe-Eisscholle dahintreiben"
prisma: Hat das Format nicht nachgelassen in dem Moment, in dem die Teilnehmer ab Staffel zwei wussten, was auf sie zukommt?
Sträter: Es hat nicht nachgelassen, es hat nur einen anderen Duktus. Beim ersten Mal wussten wir gar nicht, was passieren würde. Und das war auch noch mitten in der Pandemie. Man war es gar nicht mehr gewohnt, mit so vielen Leuten in einem Raum zu sein. Eigentlich war die Atmosphäre sehr verkrampft, aber daraus ist auch Komik entstanden. Man hat mir gesagt, das wäre eine ganz teure Produktion, die vielleicht weltweit geschaut würde. Deshalb solle ich so lange drin bleiben wie möglich. Das trägt natürlich auch nicht zur Entspannung bei, aber es führte vielleicht zum besonderen Etwas. Ich stand so unter Druck, dass ich fast geweint hätte.
prisma: Und die zweite Staffel ...
Sträter: Die lebte vor allem von Bastian Pastewka, der mich als Teilnehmer umgebracht hätte. Ich hätte keine Chance auf den Sieg gehabt in jener Staffel. Es hängt sehr von den Leuten ab, die da auftreten. Kurt Krömer muss mich in Ruhe lassen – und auch Anke Engelke. Aber ich war so verkrampft nach dem Sieg in der ersten Staffel, dass ich eine Woche lang Muskelkater hatte. Es war so, als wäre ich auf einen Schlag am ganzen Körper tätowiert worden.
prisma: Gibt es überhaupt so etwas wie einen Zusammenhalt der Humor-Szene und wenn ja – woran merken Sie den?
Sträter: Das spürt man einfach. Natürlich müssen wir uns alle die Bühne teilen. Es ist zwar nicht wie beim Fußball, wo man gegeneinander spielt, aber auf dem Platz sind wir alle gemeinsam. Die Leute haben nur begrenzt Geld, sich Tickets zu kaufen. Ich hoffe und glaube, dass es diesen Zusammenhalt in der Szene gibt, denn ich mag die meisten meiner Kolleginnen und Kollegen sehr, sehr gerne. Aber ich bin auch richtiger Fan von Kolleginnen und Kollegen. Von Bastian Bielendorfer, Anke Engelke, Carolin Kebekus, Kurt Krömer oder Bastian Pastewka etwa. Auch wenn wir den gleichen Beruf haben und vielleicht auf einer Augenhöhe-Eisscholle dahintreiben – ich bewundere diese Menschen für das, was sie tun.
Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH