Neue ZDF-Serie "Aufgestaut"

Wayne Carpendale im Interview über Klimakleber, Wutbürger und die schweigende Mehrheit

24.09.2023, 12.59 Uhr
von Eric Leimann

Beim Thema "Klimakleber" kochen schnell die Emotionen hoch. Das wird auch in der neuen ZDF-Serie "Aufgestaut" deutlich. Im Interview erzählt Wayne Carpendale, warum er die Rolle eines Porschefahrers, der sein Kind abholen muss, unbedingt spielen wollte und wie er selbst über die Klimakrise, radikale Proteste und mögliche Auswege aus dem großen Dilemma unserer Zeit denkt.

Er spielte in Soaps wie "Unter uns" und "Sturm der Liebe", verkörperte den jungen "Landarzt" und sorgte in zahlreichen Shows für eine charmante Moderation oder den Promi-Faktor der Kandidatenriege. Da ist es schon eine Meldung wert, dass Wayne Carpendale, mittlerweile 46 Jahre alt, in einer Drama-Serie des Senders ZDFneo mitwirkt, die eine radikale Klima-Protestaktion in den Mittelpunkt stellt. "Aufgestaut" (ab Donnerstag, 28. September, in der ZDF Mediathek und Mittwoch, 18. Oktober, 23.15 Uhr, alle Folgen bei ZDFneo) erzählt in sechs knackig kurzen Episoden von meist unter 15 Minuten von den Auseinandersetzungen zwischen Klimaklebern und einer Zufallsauswahl von Menschen, die im Stau an der blockierten Kreuzung stehen. Da Besondere des Formats: Man kann beide Parteien – auch in ihrer Verzweiflung – verstehen.

prisma: In "Aufgestaut" spielen Sie einen wütenden Porsche-Fahrer, der gegen Klimaaktivisten wettert. Die vielleicht unsympathischste Figur der Serie. Für Sie ein Triumph?

Wayne Carpendale: Sie meinen, weil ich sonst meistens eher die netten Typen spiele?

prisma: Ja, genau ...

Carpendale: Klar habe ich mich über die Rolle gefreut. Everybody's Darling macht auch Spaß, aber letztendlich bin ich ja Schauspieler geworden, auch weil ich mal extremere Rollen spielen will. Also hab ich am Set mitten in München Schwabing jedes Schimpfwort und jeden lautstarken Wutausbruch meiner Figur sehr genossen.

"Weil alle irgendwie Recht haben und auch irgendwie nicht"

prisma: Eigentlich ist die Figur das, was man ein Arschloch nennen würde ...

Carpendale: Ist er das Arschloch? Oder sind es vielleicht die Klimakleber, die ihn daran hindern, zu seiner Tochter zu fahren, die mit Bauchschmerzen weinend vor dem Kindergarten steht und sehnsüchtig auf ihren Papa wartet? Kann man nicht alle Seiten ein bisschen verstehen? Bei dieser Serie geht es ja weniger um das Einzelschicksal, als um die vielen Bedürfnisse, die in so einer Situation aufeinanderprallen.

prisma: Was kann man in einem Fiction-Stück über Klimakleber zeigen, das die Diskussion über das wahre Phänomen nicht leisten kann?

Carpendale: Zunächst mal finde ich das Instant-Format toll. Normalerweise braucht es in der Fiction Monate, bis das Gedrehte zu sehen ist. Aber wir haben gerade mal drei Monate gebraucht, bis unsere Folgen online sind. Und so können wir mit unserer Serie an einer hochaktuellen Diskussion teilnehmen, beziehungsweise dazu beitragen, dass der Zuschauer verschiedenste Sichtweisen mitbekommt, in die er im wahren Leben auf der Straße keinen Einblick hat. Nämlich in das Gefühlsleben und die eigentliche Motivation aller Beteiligten. Man schaut diese Serie und erwischt sich dabei, dass man mit Figuren mitfühlt, auf die man im echten Leben vielleicht vorschnell schimpft.

prisma: "Aufgestaut" sorgt dafür, dass man die Dringlichkeit der Klimakleber versteht, aber auch jene Menschen, die unbedingt aus diesem Verkehrsstau rausmüssen, weil es für sie an anderer Stelle um sehr viel geht. Das perfekte Dilemma für die Zuschauer?

Carpendale: Total! Weil alle irgendwie recht haben und auch irgendwie nicht. In der Serie nehmen wir keine Seite ein, sondern bilden ab, was sich hinter den Aktionen und den Standpunkten der einzelnen Protagonisten verbirgt – wir zeigen das Menschliche hinter den Extremen. Ich liebe Stoffe, bei denen die Guten auch böse und die Bösen auch gut sind.

"Schweigende Mehrheiten sind gerade in einer Demokratie ein echtes Problem"

prisma: Können Sie die Hitzigkeit der Debatte, ob radikale Maßnahmen zum Klimaschutz legitim sind, verstehen?

Carpendale: Ja, natürlich. Selbst beim Dreh hat man gespürt, wie viele Emotionen da mit reinfließen. Wir haben die Serie auf einer Münchener Kreuzung gedreht. An diesem Tag war es zwischen 34 und 36 Grad heiß. Wir alle waren total durchgeschwitzt. Und dann kannst du dir schon sehr gut vorstellen, wie sich ein Autofahrer fühlt, der einen aus seiner Sicht existenziell wichtigen Grund hat weiterzukommen – sei es das Kind abholen, eine Lieferung pünktlich auszuliefern oder ein Vorstellungsgespräch. Das führt dann immer wieder zu dem verständlichen, aber egoistischen Gedanken, dass die Klimakleber ja inhaltlich recht haben, aber warum ausgerechnet man selbst jetzt für alle anderen darunter leiden muss?

prisma: Aber führt denn der Streit, führt diese hitzige Atmosphäre zu einem Ergebnis?

Carpendale: Ich fürchte, so erstmal nicht. Weil sich die Fronten einfach nur verhärten und es kaum noch um die eigentliche Sache geht. Das haben wir auch beim Dreh hautnah gespürt. Da kamen immer wieder echte Passanten und Radfahrer vorbei, die dachten, das alles wäre gerade eine richtige Straßenblockade. Und die riefen uns lautstark immer wieder in den Dreh hinein. Da war echt alles dabei! Nicht wörtlich, aber inhaltlich reichte das von "Scheiß Klimakleber!" bis "Yeah, drecks Autofahrer – zeigt es ihnen!" Und dann denk ich mir irgendwie immer wieder, dass das Problem gar nicht die lauten Radikalen sind, sondern die, die sich das Ganze resigniert angucken und nichts sagen.

prisma: Sie reden von jenen Leuten, die man die schweigende Mehrheit nennt?

Carpendale: Ja! Schweigende Mehrheiten sind gerade in einer Demokratie doch ein echtes Problem. Die Radikalen aller Seiten diskutieren nicht miteinander, die feinden sich bloß an. Die, die nicht so emotional ausrasten, sind doch meistens die, die den Überblick und die Weitsicht haben, die Herausforderungen anzugehen. Aber ich hab das Gefühl, wir schauen gerade alle nur bei dem Spektakel zu und lassen ein paar nach rechts, links, oben oder unten abwandern, anstatt die Probleme auch nur ansatzweise anzupacken.

Auch der beste Mensch wird daran scheitern, alles richtig machen zu wollen"

prisma: Klimaschutz stellt für viele Menschen auch ein persönliches Dilemma dar. Einerseits will man verantwortungsvoll leben, andererseits dieses Leben aber auch genießen. Wie sehr stresst Sie diese Frage?

Carpendale: Genauso sehr, wie viele andere Menschen auch und als Vater sowieso. Das Problem ist doch ungeheuer komplex, weil alles miteinander zusammenhängt und sich viele Dinge, die wir tun, sich widersprechen. Da müssen wir noch nicht mal über Klimaaktivisten reden, die mit dem Auto zur Protestaktion kommen, in den Urlaub nach Bali fliegen oder eine Kamera nutzen, die in China produziert wurde. Auch der beste Mensch wird daran scheitern, alles richtig machen zu wollen, insofern müssen wir einander auch verzeihen können. Vor allem werden wir aber zusammenhalten müssen, denn alleine schaffen wir das nicht, nicht als Individuum, nicht als Land, nicht als Kontinent. Das aber wiederum darf keine Ausrede sein, gar nichts zu tun.

prisma: Aber können Sie radikale Umweltaktivisten verstehen? Zum Beispiel Menschen, die sich an Straßen festkleben, um so gegen den Verkehr zu protestieren?

Carpendale: Natürlich verstehe ich diese Aktionen, die daraus folgen, dass man sich nicht anders zu wehren weiß. Ich verstehe emotional auch Selbstjustiz. Aber mir fehlt es relativ schnell an Toleranz, wenn in einem Rechtsstaat, in dem wir schon ungeheuer viele legitime Möglichkeiten haben, gegen etwas zu protestieren oder etwas zum Ausdruck zu bringen, dass wir mit etwas nicht einverstanden sind, wenn in so einem Rechtsstaat die legitimen Grenzen von einzelnen Individuen oder auch Gruppen überschritten werden. Das gilt für den ohrfeigenden Passanten und das gilt auch für Menschen, die Rettungseinsätze verhindern oder Eigentum beschädigen.

"Ich hoffe, dass die Politik irgendwann wieder Verantwortung übernimmt"

prisma: Glauben Sie denn, dass wir Menschen das mit der Klimakrise noch hinkriegen?

Carpendale: Ja, ich persönlich glaube da an uns, was aber nicht heißt, dass sich das von alleine schon irgendwie regelt. Dafür müssen wir viel tun. Vor allem müssen wir aber zusammenhalten und miteinander kommunizieren, so schwer das gerade denjenigen fällt, die auch zu Recht sagen, wir haben keine Zeit zum Reden mehr. Ich wünschte im Nachhinein, wir hätten im letzten Jahr mehr über Klimawandel geredet als über Blockaden und aggressive Autofahrer.

prisma: Aber sehen Sie irgendwo Licht am Ende des Tunnels?

Carpendale: Noch sehe ich es nicht – aber hey, wir fahren noch. Ich hoffe darauf, dass irgendwann die vielen Menschen, die sich gerade nicht äußern, ihrer Meinung Ausdruck verleihen. Ich hoffe, dass die Politik irgendwann wieder Verantwortung übernimmt und die großen Probleme angeht. Ich hoffe auf Medien, die objektiv und glaubhaft über das Eigentliche berichten und weniger Sensationsgier fördern. Ich hoffe auf Unternehmen, die nicht nur kurzsichtig fürs positive Image ein bisschen hier und ein wenig da machen, sondern wirklich ihrer gesellschaftlichen Verpflichtung nachkommen. Und ich hoffe auf Forschung, denn bisher hat die Menschheit solche Probleme immer innovativ gelöst und nicht durch Verbote.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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