Dokumentation über den Einfluss evangelikaler Christen auf die US-Politik






Die ARTE-Dokumentation zeigt, wie Evangelikale Einfluss auf die US-Politik und den Nahostkonflikt nehmen. Mit erschreckenden Bildern und investigativen Einblicken.
Das Rennen ums Weiße Haus nimmt langsam an Fahrt auf. Bis zu den Präsidentschaftswahlen am 5. November stehen sich die Anhänger von Republikanern und Demokraten oftmals erbittert gegenüber. Wie tief die US-Gesellschaft gespalten ist, zeigte nicht zuletzt das schockierende Attentat auf Trump. Doch welche Interessengruppen und politischen Akteure spielen im Wahlkampf eigentlich entscheidende Rollen? Immer wieder erwähnt werden die sogenannten Evangelikalen – also fundamentalistische Christen, die mit ihrer großen Anhängerschaft und enormen Medienpräsenz den gesellschaftlichen Diskurs erheblich mitprägen. Wie viel Macht sie wirklich haben, und welche Rolle der Nahostkonflikt dabei spielt, ergründet eine hochgelobte Dokumentation, die das Erste nun als Free-TV-Premiere zeigt. Unter dem Titel "Armageddon – Evangelikale und die letzte Schlacht" beleuchtet der Film von Tonje Hessen Schei den Einfluss evangelikaler Gruppen auf die US-Politik.
"Praying for Armageddon" heißt die Dokumentation der norwegischen Regisseurin im Original – und man muss ihr zwingend voranstellen, dass sie vor dem Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 fertiggestellt wurde. Wichtig ist das deshalb, weil der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern in dem Film zum Dreh- und Angelpunkt gerät. Die tatsächlichen Ereignisse in Nahost sind zwar eher nebensächlich – vielmehr geht es darum, wie evangelikale Organisationen in den USA den Konflikt interpretieren, für sich nutzen und weiter anheizen, aber dennoch, so arbeitet die gut anderthalbstündige Doku detailliert heraus, scheinen die wesentlichen Akteure bis in die US-Außenpolitik Spuren zu hinterlassen – und damit die realen Verhältnisse in der Region zu beeinflussen. In eindrücklichen Bildern, deren Ästhetik klug mit dem bisweilen schwer erträglichen Inhalt korrespondiert, deckt der Film auf, wie fundamentalistische Politiker ihre religiösen Visionen vom Weltuntergang mit dem Staat Israel verknüpfen und ideologisch nutzen.
Letzte Schlacht im Heiligen Land?
Der Film begleitet den Investigativreporter Lee Fang, der sich seit Jahren mit den gefährlichen Verstrickungen evangelikaler Fundamentalisten in der Politik beschäftigt. Für die Dokumentation beleuchtet er die Folgen der finanziellen und ideologischen Unterstützung aus diesen Kreisen. "Hätte sich die evangelikale Bewegung nicht in die religiöse Rechte verwandelt, wäre Donald Trump nicht an die Macht gekommen", weiß der Journalist, der insbesondere die Organisation Christians United for Israel in den Blick nimmt.
Angeführt wird die Gruppierung vom berühmt-berüchtigten TV-Prediger John Hagee, dessen sektenhafte Auftritte vor tausenden Anhängern in all ihrer bedrückenden Atmosphäre dokumentiert werden. Angesichts der "moralischen Verkommenheit" der Vereinigten Staaten, so Hagee, muss und wird es zur Apokalypse kommen. Weltkriege, Blut, Untergang: Das titelgebende Armageddon, für das man betet, ist aus Sicht der Evangelikalen der erste Schritt zur Erlösung, die ihren Höhepunkt im Heiligen Land in einer letzten Schlacht um Jerusalem finden werde.
So lautet die Denkfigur der Evangelikalen, für die jedes Wort in der Bibel buchstäblich wahr ist: Jesus kehre nur dann – und zudem schnell – zurück auf Erden, wenn Israel seine ursprünglichen Grenzen zurückbekäme. Deshalb müsse ein palästinensischer Staat verhindert werden, wie ein Aussteiger im Film erklärt. Aus diesem Grund, so die Behauptung, könne es für die Evangelikalen einen Frieden in Nahost nicht geben, müsse die Gewaltspirale immer weiter eskalieren. Welche fatalen Folgen diese Ideologie hat, ergründet Reporter Lee Fang in Gesprächen mit republikanischen US-Abgeordneten und Senatoren, die ihre Einstellungen überraschend offenlegen: "Jesus wird zurückkehren, und dann werde ich an seiner Seite stehen", sagt einer; eine andere behauptet: "Es wurden zwei Nationen geschaffen, um Gott zu ehren: USA und Israel".
Prediger mit Cowboyhut
Die fundiert erzählte Doku, die allerdings an ihrer Haltung kaum Zweifel aufkommen lässt, taucht tief ein in eine Bewegung, die an wichtigen Schalthebeln der Macht saß, sitzt und wieder sitzen könnte. Zur Wort kommt unter anderem Donald Trumps geistlicher Berater Robert Jeffress, dessen niederschmetternde Fernsehpredigten von über tausend Sendern in den USA und in 28 weiteren Ländern übertragen werden. Politik und religiöser Extremismus sind hier kaum mehr voneinander zu trennen; betroffen scheinen alle wichtigen Gesellschaftssphären. Dass etwa auch die US-Army durchsetzt ist von der evangelikalen Ideologie, zeigen die Gespräche mit ehemaligen Militärs, die offen über Verstrickungen zwischen bestimmten Zirkeln der Streitkräfte und der Bewegung berichten. Ohnehin liegt Gewalt in der Luft, bei den Predigern und den Followern. Nicht zuletzt traten fundamentalistische Gruppen auch beim Sturm auf das Kapitol 2021 in Erscheinung.
Den evangelikalen Fußtruppen sehr nahe kommt die Dokumentation in der Person eines Mannes namens Gary Burd, der im Film porträtiert und auf seiner Tour durch die Weite der Vereinigten Staaten begleitet wird. Unterwegs ist der markige Typ, bekleidet mit aufnäherübersäter Jacke und Cowboyhut, selbstverständlich mit einem fetten Motorrad. Zwischen wüstenhafter Einöde und provinziellen Örtchen begibt sich Burd auf einen vom Kamerateam begleiteten Roadtrip, der fast romantische Züge besitzt. Wären da nicht die Ansichten des evangelikalen Rockers, die er bei seinen Stationen predigt: "In diesem Krieg Böse gegen Gut muss es einen Höhepunkt geben", preist er der Masse den finalen Kampf im Heiligen Land an. Für seinen Kreuzzug will er rekrutieren: "Jesus hat uns dazu berufen, Krieger zu sein", ruft er der jubelnden Menge zu. Als Zuschauer zweifelt man kaum daran, dass einige von ihnen tatsächlich die Waffe in die Hand nehmen könnten.
Armageddon – Evangelikale und die letzte Schlacht – Di. 30.07. – ARTE: 22.55 Uhr
Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH