Interview mit Julius Nitschkoff

Darsteller spricht über Probleme bei deutschen Serien-Produktionen

12.09.2023, 14.03 Uhr
von Danina Esau
Julius Nitschkoff spielt in der ZDF-Serie "Gestern waren wir noch Kinder" den Polizisten Tim.
Julius Nitschkoff spielt in der ZDF-Serie "Gestern waren wir noch Kinder" den Polizisten Tim.  Fotoquelle: picture alliance

Lange spielte Julius Nitschkoff immer nur den Bösewicht. Im ZDF-Serienerfolg „Gestern waren wir noch Kinder“ hat er nun eine Rolle mit Tiefgang übernommen. Ein prisma-Gespräch über das Unterschätzt werden, Zeitdruck beim Dreh und die Probleme deutscher Serien.

Hippe Musik, junge Schauspieler, spannender Plot: Die Serie „Gestern waren wir noch Kinder“ unterscheidet sich von den typischen ZDF-Produktionen. Ist sie deswegen so erfolgreich?

Julius Nitschkoff: Auf jeden Fall. So eine Serie hat es im deutschen Fernsehen noch nicht gegeben, sie ist authentisch und anders als typische Netflix-Serien, die oft nicht sehr realitätsnah sind. „Gestern waren wir noch Kinder“ ist so alltäglich, dass sich jeder damit identifizieren kann. Dazu kommt, dass der Sender bewusst eine jüngere Zielgruppe ansprechen wollte und auf Plattformen wie Instagram und TikTok Werbung gemacht hat, mit der Intention, sich gegen andere Player am Markt durchzusetzen. Ich habe schon einiges für den ZDF gemacht, aber das kannte ich bisher noch nicht. Offenbar hat dort ein Umdenken stattgefunden. Das hat funktioniert, weiter so – aber beim nächsten Mal mit ein bisschen mehr Drehzeit.

Waren die Dreharbeiten sehr stressig?

Nitschkoff: Wir Schauspieler wünschen uns immer die besten Drehbedingungen mit ganz viel Zeit und Budget für unsere Projekte. Dass das in der Praxis nicht immer hinhaut, ist schade und sorgt hin und wieder für Zeitdruck oder Stress. Vieles ist im internationalen Vergleich auch gar nicht möglich, weil hier die fetten Gelder fehlen.

Manchmal entstehen unter Zeitdruck aber auch die besten Ergebnisse, oder?

Nitschkoff: Teils, teils. Nathalie Scharf, die Drehbuchautorin, hatte während des Drehs viele neue Ideen, dadurch haben sich einige Szenen verändert und waren anders, als ich sie mir vorher vorgestellt hatte. Mit ein wenig mehr Zeit hätte man das noch besser ausdiskutieren und ausbauen können. So fühlte ich mich manchmal etwas unvorbereitet und überfordert. Dieses spontane Umdenken hat mir aber als Schauspieler auch sehr viel beigebracht. Und es ist ja auch alles gut gegangen, die Serie ist sehr erfolgreich, was mich wirklich freut.

Sie spielen den Polizisten Tim Münzinger. Was hat Ihnen an der Rolle gefallen?

Nitschkoff: Die Rolle ist sehr vielschichtig und ich hatte Raum, Emotionen zu zeigen. Als Schauspieler ist das ein wahnsinniges Geschenk, weil es so selten vorkommt. Die meisten Rollen sind sehr eindimensional, entweder gut oder böse, aber nichts dazwischen. Dabei ist die Ambivalenz das Spannende.

In letzter Zeit spielen Sie häufiger tiefgründige, ambivalente Rollen. Was reizt Sie daran?

Nitschkoff: Ich bin wegen meiner Körperlichkeit zum Schauspiel gekommen und einer der wenigen Schauspieler in Deutschland, die ihre Stunts selber machen. Deswegen habe ich immer den gleichen Typen gespielt, den Anti-Helden, den Antagonisten, den Draufgänger. Irgendwann wurde das zum Problem, mir ging dieses Schwarz-Weiß-Denken auf die Nerven, weil es die Realität nicht abbildet und ich nicht zeigen konnte, was ich noch kann. Ich bringe zwar Körperlichkeit mit, trage aber auch eine Herzlichkeit in mir, mit denen ich viele Rollen spielen kann. Ich musste aber lange dafür kämpfen, dass mir das zugetraut wird.

Wie schauen Sie auf die deutsche Serienlandschaft? Alles super oder gibt es noch Nachholbedarf?

Nitschkoff: Auf dem Markt ist gerade wahnsinnig viel los, es wird eine Serie nach der anderen gedreht. In den vergangenen Jahren hat es, auch durch die Pandemie, einen Serien-Boom gegeben. Viele Zuschauer warten nun auf die Folgestaffeln, doch in der Zwischenzeit kommen immer bessere und aktuellere Produktionen auf den Markt. Das setzt Produktionsfirmen extrem unter Druck, sie können gar nicht mithalten. Deswegen werden große aufwendige Produktionen eingestampft, Sky hat zum Beispiel verkündet, dass es ab 2024 keine fiktionalen Serien mehr produzieren wird. Darunter auch die fünfte Staffel von „Das Boot“, eine Serie, in der ich auch mitspiele. Stattdessen werden Drehbücher innerhalb von drei bis sechs Monaten geschrieben und gedreht, immer auf dem Stand der aktuellen Trends. Ich würde viel lieber einen Genrefilm drehen, der nicht dafür gemacht ist, jedem zu gefallen, der anders ist als alles, was es zuvor gegeben hat.

Können Sie sich unter diese Bedingungen vorstellen, noch lange als Schauspieler tätig zu sein?

Nitschkoff: Ich bin Schauspieler mit Leib und Seele und ich liebe diesen Beruf. Ich habe aber schon vieles ausprobiert, zum Beispiel ein Studium der Gartentechnologie angefangen und eine Ausbildung zum Versicherungsmakler für Finanzanlagen. Nebenbei bin ich auch als Fotograf tätig. Ich habe verschiedene Eisen im Feuer, die sich nicht ausschließen, trotzdem komme ich immer wieder zur Schauspielerei zurück. Irgendwann möchte ich in der Lage sein, nur das auszuwählen, worauf ich Lust habe und den Fokus auf viele andere spannende Dinge in meinem Leben daneben auch nicht verlieren.

Was hat dir der Beruf bisher beigebracht?

Nitschkoff: Wenn ich einen Betrunkenen spiele, komme ich abends nachhause und lalle, obwohl ich gar keinen Alkohol zu mir genommen habe. Wenn ich in meiner Rolle weinen muss, bin ich abends traurig. Als Schauspieler tauche ich in Situationen ein, mit denen ich in meinem Privatleben nicht immer konfrontiert werde und das verändert die Art und Weise, wie ich mit anderen Menschen umgehe. Ich habe mich schon in so viele Charaktere eingefühlt, dass ich gemerkt habe: Uns alle verbinden dieselben Zweifel, dieselben Fragen. Dieses Bewusstsein hat mich empathischer gemacht.

„Gestern waren wir noch Kinder“ wurde größtenteils in München gedreht. Wir war das für Sie, als richtiger Berliner?

Nitschkoff: Am Bahnhof wurde ich von der Polizei drei Mal auf Waffen und Drogen kontrolliert. In Berlin lebt es sich einfach ein bisschen freier und man merkt, dass sich die Mentalitäten stark unterscheiden. Trotzdem mag ich München total und bin gerne dort, vor allem im Sommer.

Wird es eine zweite Staffel geben?

Nitschkoff: Mal sehen!

Das könnte Sie auch interessieren