Klinikalltag

"David und Goliath": Wenn Krankenhauspersonal an seine Grenzen stößt

17.09.2025, 10.23 Uhr
Die ARD-Serie "David und Goliath" mit Ulrike C. Tscharre zeigt die Herausforderungen des Klinikpersonals im überlasteten Gesundheitssystem.

Eine Frau, die führt, fordert und sich in einem System behauptet, das am Limit ist: In "David und Goliath" überzeugt die deutsch-österreichische Schauspielerin Ulrike C. Tscharre in ihrer Rolle als Klinikchefin Dr. Veronika Jelinek. Die neue Medical-Reihe der ARD erzählt von überlasteten Pflegeteams, psychischer Erschöpfung und einem Alltag zwischen Leben retten und Grenzen überschreiten – aber auch davon, wie essenziell Fürsorge nach innen ist: Wer kümmert sich eigentlich um die, die täglich für andere da sind? Im Fokus steht das Krankenhaus als Spiegel der Gesellschaft, wie Tscharre im Interview anlässlich des Starts der Reihe am Mittwoch, 24. September, um 20.15 Uhr, erklärt. Hier treffen Menschen unterschiedlichster Herkunft, Lebenswirklichkeit und Weltanschauung aufeinander, verbunden durch eine gemeinsame Verletzlichkeit und das Streben nach Heilung, körperlich wie seelisch. Die Wahlberlinerin, die einem breiten Publikum unter anderem als Hanna Landauer aus den "Zielfahnder"-Krimis bekannt ist, philosophiert im Gespräch über die Ambivalenz von Stärke, über strukturelle Missstände und weibliche Führung in einem rauen Umfeld.

prisma: Frau Tscharre, warum braucht es neben all den nationalen und internationalen Hits wie "Die Landarztpraxis" oder "Grey's Anatomy" noch ein Medical?
Ulrike C. Tscharre: Ich kenne gar nicht so viele Krankenhausserien. "Die Schwarzwaldklinik" habe ich als Kind mal gesehen, aber "Emergency Room" oder "Grey's Anatomy" – das ist komplett an mir vorbeigegangen. George Clooney in seinen Anfängen? Keine Ahnung (schmunzelt). Ich glaube aber, dass "David und Goliath" gar kein klassisches Medical ist. In den meisten Formaten steht die Beziehung zwischen Ärzten und Patienten im Fokus – bei uns nicht. Bei uns geht's vorrangig um die Probleme der Menschen, die in einer großen Klinik arbeiten: permanente Überforderung, Zeitmangel, hoher Stress. Im Zentrum steht dabei die psychosoziale Beratung des Personals – ein eher ungewöhnlicher, aber sehr aktueller Ansatz.

prisma: Wie nah sind Sie mit dem Thema am realen Klinikbetrieb?
Tscharre: Ich war noch nie als Patientin im Krankenhaus, kenne es also nur von Besuchen oder durch Recherchen. Über den Alltag dort kann ich nicht viel sagen. Aber ich kenne viele Ärzte, die ihre Praxis aufgeben, weil sie in diesem System nicht mehr arbeiten wollen. Auch zwei junge Männer aus der Pflege, die ich neulich kennengelernt habe, haben voller Enthusiasmus angefangen – und machen jetzt etwas anderes. Sie haben den Druck und die ständige Zeitnot nicht mehr ausgehalten. Das finde ich wirklich tragisch.

"Auch das Klinikpersonal kämpft – und meint es nicht böse, wenn die Zeit fehlt"

prisma: Sie wirken sehr betroffen ...
Tscharre: Ja, ich bin vor etwa dreieinhalb Jahren aus Berlin weggezogen, nur eine Autostunde südlich – und brauchte ein Jahr, bis ich überhaupt einen neuen Hausarzt gefunden habe. Nur durch eine Bekannte unserer Nachbarin klappte es dann. Alle anderen Ärzte fahren wir weiterhin in Berlin an, weil es hier im ländlichen Raum kaum welche gibt – oder sie nehmen niemanden mehr auf. Das ist doch eigentlich eine unhaltbare Situation. Und das in Deutschland.



prisma: Wo sehen Sie die Verantwortung, um diese Missstände zu ändern?
Tscharre: Die Verantwortung dafür liegt eindeutig bei der Politik. Es braucht mehr Anreize für Ärzte und deutlich weniger Bürokratie. Ein Zahnarzt sollte sich um seine Patienten kümmern und nicht acht Seiten Papier für eine Füllung ausfüllen müssen. Politisch läuft da viel schief. Allein die Idee, ein Pflichtarztmodell einzuführen, bei dem man sich erst an den Hausarzt wenden "muss", um danach einen Facharzt aufsuchen zu können, ist fragwürdig. Das klingt erst einmal sinnvoll, aber wie schwierig wird das auf dem Land sein, wo man kaum einen Hausarzt findet? Wie lange sollen Betroffene denn da auf einen Facharzttermin warten? Es wird viel versprochen, aber in der Realität hakt es an allen Ecken.

prisma: Glauben Sie, dass Formate wie "David und Goliath" einen Beitrag zur Debatte leisten können?
Tscharre: Ich könnte mir vorstellen, dass Patienten mehr Verständnis entwickeln – dafür, wie es im Klinikalltag wirklich läuft. Viele sind enttäuscht, weil niemand richtig Zeit für sie hat oder sie sich allein gelassen fühlen. Aber wir dürfen nicht vergessen: Auch die Arbeitnehmenden sind dort oft verunsichert, mit großem Gesprächsbedarf. Und wenn es hakt, liegt das nicht an fehlendem Willen, sondern oft an Überlastung. Vielleicht hilft es, zu sehen: Auch das Klinikpersonal kämpft – und meint es nicht böse, wenn die Zeit fehlt.

"Frauen in Führungspositionen sind nach wie vor unterrepräsentiert"

prisma: Haben Sie durch die Arbeit an dieser Reihe neue Perspektiven auf die Themen mentale Gesundheit und Belastung in Pflege- und Führungsberufen gewonnen?
Tscharre: Auf jeden Fall. Mir wurde durch die Beschäftigung klar, wie wichtig es ist, dass Menschen in der Pflege – ob im Altenheim, Krankenhaus oder in der Reha – auch ein psychisches Backup brauchen. Sie tragen täglich schwere Geschichten mit sich herum und brauchen dringend eine Stelle, an die sie sich schnell und ohne Hürden wenden können, um mal was loszuwerden. Einfach, damit sie ein bisschen leichter nach Hause gehen – wo ja oft schon der nächste stressige Alltag wartet.

prisma: Womöglich eine nächste sinnbildliche "David und Goliath" -Situation.
Tscharre: Unser Titel lebt von diesem starken Vergleich. Der biblische Kontext spielt nicht direkt eine Rolle, aber das Bild von David gegen Goliath – klein gegen groß, ohnmächtig gegen mächtig – trifft es sehr gut. Denn genau darum geht's: Dina kämpft als "Kleine" gegen die übermächtige Chefin Jelinek. Und gleichzeitig ist auch Jelinek, bei aller Strenge, selbst Teil eines Machtgefüges – sie steht unter Druck von oben, vom Konzern. Das mochte ich sehr an der Geschichte: Dass es eben nicht nur Schwarz-Weiß gibt, sondern beide Frauen in ihrer Rolle mit dem Gefühl von Ohnmacht zu tun haben und trotzdem – oder gerade deswegen – versuchen, etwas zu bewegen.

prisma: Ein Anreiz für die Zuschauer und Zuschauerinnen, über das Thema "Frauen in Führungspositionen" nachzudenken?
Tscharre: Unter anderem. Ich finde es toll, dass es in unserem Fall zwei starke Frauen in den Hauptrollen sind – auch, dass Frau Jelinek eben nicht Herr Jelinek ist. In unseren gesellschaftlichen Strukturen tut sich zwar was, aber immer noch viel zu langsam. Schaut man sich Fotos von Kongressen an, egal ob in der Wirtschaft, Medizin oder Politik: ein paar wenige Frauen vorne im Bild – und der Rest sind Männer. Frauen in Führungspositionen sind nach wie vor unterrepräsentiert, und das ist ein gesellschaftliches Problem.

prisma: Wer könnte wie dagegen steuern – vor allem auch im Entertainmentbereich?
Tscharre: Da gibt es ganz klar Initiativen wie "Let's Change The Picture" oder "ProQuote Medien e.V.". Unsere Branche ist im Ausführenden immer noch stark männerdominiert, obwohl viele Redaktionen weiblich besetzt sind. Aber diejenigen, die die Filme machen, sind meist Männer. Es tut sich was, langsam, aber spürbar. Bei unserer Reihe "Zielfahnder" hatten wir beispielsweise bisher nur männliche Regisseure – beim nächsten Film soll eine Frau Regie führen. Beim letzten kam das Buch schon von einer Frau. Uns ist wichtig, auch den weiblichen Blick zu zeigen – weil es eben zur Hälfte Männer und zur Hälfte Frauen gibt, und beide Perspektiven gehören gleich gehört und gesehen.

"Ich versuche, immer mehr von männlich und weiblich wegzukommen und stattdessen menschlich zu sagen"

prisma: Sie verkörpern oft Frauenfiguren, die sich in einem Spannungsfeld zwischen Stärke nach außen und innerem Konflikt bewegen ...
Tscharre: Bei mir funktioniert das Gleichgewicht zwischen Beruf und persönlichen Ressourcen grundsätzlich ganz gut. Aber wenn mich vor einer Produktion mal was ärgert, überlege ich mir als Frau doch öfter, ob und wie ich das anspreche – weil Frauen schnell als "zickig" abgestempelt werden. So ein Wort gibt es für Männer gar nicht. Ich versuche, das gar nicht mehr zu benutzen, weil es eigentlich eine Frechheit ist. In Gesprächen mit männlichen Kollegen merke ich oft: Die machen sich über solche Dinge, ihre Außenwirkung und vermeintlichen Gegenwind viel weniger Gedanken. Nicht, weil sie blöd oder unreflektiert wären – aber Männer leben vieles mit mehr Selbstverständlichkeit. Ich versuche, immer mehr, von männlich und weiblich wegzukommen und stattdessen menschlich zu sagen. Am Ende sind wir alle Menschen – mit Brüsten, Penissen oder allem dazwischen. Wenn wir das mal ausklammern und uns auf das Menschliche fokussieren, sind wir gut beraten. Mehr Gemeinsamkeit statt Trennung – dahin sollte sich unsere Gesellschaft bewegen.

"Da wurde mir noch einmal sehr bewusst, wie besonders dieser Ort ist und wie ernst das Leben dort draußen ist"

prisma: Sie gelten als vielseitige Schauspielerin, die vor allem in romantischen Dramen, Krimis und am Theater zu Hause ist. Was bedeutet es für Sie persönlich, in einem Medical-Setting zu spielen, das eine so hohe gesellschaftliche Relevanz hat?
Tscharre: Wir haben in einem Krankenhaus gedreht, in dem der volle Betrieb lief. Eine halbe Etage stand leer und konnte von uns genutzt werden. Sobald wir jedoch den Flur verließen, waren wir mitten im echten Klinikalltag. Das hat etwas mit mir gemacht. Im Krankenhaus geht es um Familien, manchmal um Abschied und um Entscheidungen, die das Leben von Menschen beeinflussen, während wir "nur" einen Film drehen. Jeden Tag habe ich gesehen, wie Angehörige jemanden besuchen, manchmal auch zum letzten Mal. Da wurde mir noch einmal sehr bewusst, wie besonders dieser Ort ist und wie ernst das Leben dort draußen ist. In einem so wichtigen Umfeld zu arbeiten, hat mich sehr berührt.

prisma: Wie haben Sie sich auf diese emotional herausfordernde Rolle vorbereitet?
Tscharre: Ich habe nicht hospitiert oder war in einem Krankenhaus. Ich nähere mich meinen Figuren eher über den Kontext, in dem sie erzählt sind. In diesem Fall waren die Bücher so gut geschrieben, dass sich mir Frau Jelinek schnell erschlossen hat. Ich fand sie von Anfang an toll, sympathisch und in ihrem Handeln konsequent. Sie hat ein großes Herz und schaut über den Tellerrand. Genau das macht für mich eine gute Führungskraft aus – Empathie und der Blick über den eigenen Tellerrand hinaus.

prisma: Etwas, das sie auch als Person auszeichnet?
Tscharre: Ich versuche das schon. Wegen meines Berufs bin ich wahnsinnig privilegiert – ich darf etwas machen, das ich liebe, trotz aller negativen Seiten. Wenn ich jeden Tag nur arbeiten müsste, um Miete, Essen und Schulsachen zu bezahlen, sähe mein Blick auf die Welt sicher anders aus. Aber das ist für viele Menschen Alltag. Gerade deshalb versuche ich, mein Umfeld nicht aus den Augen zu verlieren und mich nicht in meiner kleinen Blase und meinem Alltag zu verlieren.

"Im Krankenhaus menschelt es, und wir werden demütig"

prisma: Warum sind Medicals, die den harten Alltag und die vielen Schattenseiten des Lebens realitätsnah beleuchten, seit jeher so beliebt bei Zuschauerinnen und Zuschauern?
Tscharre: Vielleicht liegt das an dem Respekt, den wir alle vor Ärzten haben – diese "Halbgötter in Weiß", zu denen wir gehen, wenn etwas nicht stimmt, in der Hoffnung, dass sie helfen. Dieses Heilende hat sicher etwas sehr Anziehendes. Und ein Krankenhaus ist auch ein Spiegel der Gesellschaft: Egal ob Topmanagerin oder Fabrikarbeiterin – krank werden kann jede und jeder. Klar, mit Chefarztbehandlung oder ohne, aber am Ende landen alle im gleichen Gebäude. Und im OP-Kittel sehen eh alle ein bisschen albern aus. Dort menschelt es, und wir werden demütig. Das kann manchmal nicht schaden ...

prisma: Müssen TV-Serien, gerade bei den Öffentlich-Rechtlichen, heute politischer, relevanter, psychologisch komplexer und vieles mehr sein, um mit den Streaming-Angeboten mithalten zu können?
Tscharre: Unterhaltung sollte klug, intelligent und relevant sein – also von Dingen erzählen, die viele Menschen betreffen. Ich bin eine große Freundin gut gemachter Unterhaltung. Ich verstehe vollkommen, wenn man nach einem stressigen Tag einfach nur abschalten möchte. Aber man kann sich auch unterhalten lassen und dabei trotzdem Inhalte vermittelt bekommen. Genau das ist, finde ich, die Aufgabe der Öffentlich-Rechtlichen, und diese erfüllen sie auch oft ganz gut.

prisma: Sind nach den ersten beiden Filmen weitere in Arbeit?
Tscharre: Meines Wissens nach wird gerade das Fundament für zwei weitere Filme im kommenden Jahr entwickelt. Aber ich glaube, das entscheidet sich erst nach der Ausstrahlung.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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